Robert Wienes Zum Filmarchiv: "Das Cabinet des Dr. Caligari" (Deutschland 1920) zählt zu den einflussreichsten Filmen des Weimarer Kinos und gilt darüber hinaus als Meilenstein des expressionistischen Films. Nur zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs legte Wiene mit seinem prägnanten visuellen Stil den Grundstein für den künstlerischen Aufschwung der deutschen Filmindustrie. Spuren von "Das Cabinet des Dr. Caligari" ziehen sich durch die Filmgeschichte – vom US-amerikanischen Film Noir über den Horrorfilm bis hin zu den Studioproduktionen im klassischen Hollywoodkino, die Wienes bühnenhafte Inszenierung als postmodernes Gestaltungsmittel – etwa in King Vidors Kulissenwestern "Duell in der Sonne" (Duel in the Sun, USA 1946) – aufgriffen.

Das expressionistische Kino der Weimarer Zeit

Foto: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Murnau-Stiftung), digitale Bildrestaurierung: L'Immagine Ritrovata – Film Conservation & Restoration, Bologna

Heute ist der expressionistische Film untrennbar mit dem Weimarer Kino verbunden. "Das Cabinet des Dr. Caligari" löste in Deutschland eine Welle von stilistisch ähnlichen Filmen wie Friedrich Wilhelm Murnaus Zum Filmarchiv: "Nosferatu" (1921), Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" (1922) und Zum Filmarchiv: "Metropolis" (1926) sowie Paul Lenis "Das Wachsfigurenkabinett" (1924) aus, die sich vor allem fantastischer Themen und Ausdrucksformen bedienten. Charakteristika des expressionistischen Films waren eine stilisierte, dynamisierte Formgebung an der Grenze zur Abstraktion, kühne (Blick-)Winkel, eine artifizielle Zum Inhalt: Lichtsetzung, Gestaltungsmittel, die in der Summe eine Abkehr von allen Formen des Naturalismus darstellten.

Diese Ästhetik fand schnell Nachahmer, sodass der anfänglich bahnbrechende Expressionismus des Weimarer Kinos schon nach wenigen Jahren zu einem zitierfähigen Allgemeinplatz wurde. Schon 1922 benutzte Ernst Lubitsch in "Die Bergkatze" expressionistische Bühnenbilder und asymmetrisch geformte Leinwände zur ironischen Brechung seiner atemlosen Abenteuerkomödie. Heute wird mit dem Adjektiv "expressionistisch" nahezu jede Ausdruckskunst beschrieben, die nicht herkömmlichen Sehgewohnheiten entspricht oder mit starken Licht- und Schattenspielen arbeitet. Kunsthistorisch ist das eine grobe Simplifizierung, denn der Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts verstand sich nicht nur als künstlerischerer Stil, sondern auch als anti-bürgerliche Bewegung. In diesem gesellschaftlichen Zusammenhang muss der Expressionismus von "Das Cabinet des Dr. Caligari" gesehen werden. Wiene und seine Setdesigner bezogen sich durchaus auf kunsthistorische Vorläufer aus dem Bereich der Malerei, dem Theater und der Literatur. Gleichzeitig war der Bezug auf den Expressionismus aber auch Kalkül der Produzenten.

Von Malerei, Dichtung und Dramatik zum Kino

Anfang der 1920er-Jahre hatte das Kino den Sprung vom Jahrmarkt in die neu errichteten Filmpaläste – und damit von einer bloßen Attraktion zum ernsthaften Erzählmedium – geschafft. In Deutschland war es deshalb noch lange nicht gesellschaftlich akzeptiert, dem Kino haftete weiter der Ruch des Gewöhnlichen an. Um es gesellschaftlich aufzuwerten, orientierten sich Produzenten und Regisseure bevorzugt an den traditionellen Kunstformen. Das deutsche Kino fand also erst über Umwege zu einem eigenen Selbstverständnis, einer Autonomie des Kunstwerks.

"Das Cabinet des Dr. Caligari" wurde 1920 als "erster expressionistischer Film" beworben. Sein filmgeschichtlicher Ruf ist also nicht zuletzt einer geschickten Marketingkampagne geschuldet. Allerdings hatten zum damaligen Zeitpunkt die maßgeblichen Akteure des Expressionismus – etwa die Künstlergruppen Brücke und Der Blauer Reiter – ihre Hochphase schon hinter sich. Der literarische und bildende Expressionismus befand sich am Endpunkt seiner künstlerischen Entwicklung, als Wiene mit "Das Cabinet des Dr. Caligari" das expressionistische Kino begründete. Zeitgenössische Filmkritiken belegen, dass dieser Entwicklungsschritt lange in der Luft lag und von vielen Filmschaffenden sehnlichst antizipiert wurde, um das Kino endlich in die Moderne zu überführen. Interessanterweise verbinden noch immer viele den expressionistischen Stummfilm aufgrund der mangelhaften Überlieferung durch gute Filmkopien mit Zum Inhalt: Schwarz-Weiß-Bildern, obwohl "Das Cabinet des Dr. Caligari" seinerzeit, wie die meisten Stummfilme, viragiert, also farblich eingetönt, aufgeführt wurde.

Wie aus einem Fiebertraum

Foto: Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main

Tatsächlich waren viele der expressionistischen Stilmittel ein Rückgriff auf die Formensprache der Malerei und des Theaters. Wiene und sein Team inszenierten das Städtchen Holstenwall als unwirklichen Ort wie aus einem Fiebertraum: mit krummen Gassen, verwinkelten Häuserfassaden und windschiefen, gemalten Zum Inhalt: Kulissen – eingefangen in kantigen und verqueren Bildkompositionen. Während die Darstellung im Stummfilm Anfang der 1920er-Jahre stilistisch schon sehr ausgereift und subtil war, agierten vor allem Franzis, Caligari und Cesare in "Das Cabinet des Dr. Caligari" noch übertrieben theatralisch, pointiert durch eine artifizielle Lichtsetzung, die geisterhafte Schatten auf ihre stark Zum Inhalt: geschminkten Gesichter warf. Wegweisend war "Das Cabinet des Dr. Caligari" da, wo Wiene die Ausdruckskraft des Expressionismus in die gestalterischen Möglichkeiten des Kinos übersetzte. "Das Filmkunstwerk muß eine lebendige Grafik werden", beschrieb der "Caligari" -Filmarchitekt Hermann Warm seine Idee eines filmischen Expressionismus.

Erzählung aus der Innensicht

Im Grunde ist das Medium Film in besonderer Weise geeignet expressionistische Ausdrucksformen zu transportieren, weil es fähig ist eine Art permanenten Traumzustand herzustellen, in dem sich unbewusste (Seelen-)Bilder manifestieren. Die psychoanalytische Theorie Sigmund Freuds, die etwa zeitgleich mit der Erfindung des Kinos entstand, spielt in "Das Cabinet des Dr. Caligari" eine subtile Rolle, denn der Film handelt unter der Oberfläche des Zum Inhalt: Horrorfilms von Verdrängung (einer traumatischen Liebe) und Projektion (einem Wahnzustand).

So erfahren die expressionistischen Elemente in "Das Cabinet des Dr. Caligari" durch seinen unzuverlässigen Erzähler Franzis, der in der Rahmenhandlung des Films bereits in einer Nervenheilanstalt einsitzt, eine formale Berechtigung. Wienes Film erfüllt somit die Anforderung des Expressionismus, eine Geschichte aus der Innensicht zu erzählen. Der Kernplot des Films, der Psychothriller um Dr. Caligari, ist eine subjektive Wahnerzählung: Die labile Psyche von Franzis wird identisch mit einer filmischen Ästhetik des Irrationalen. Wiene benutzt Stilmittel wie und Zum Inhalt: Überblendungen, um die expressionistischen Momente seines Films zu überhöhen.
Insofern repräsentiert "Das Cabinet des Dr. Caligari" im Weimarer Kino einen "puristischen", aus der Geschichte selbst heraus motivierten Expressionismus. Spätere deutsche Filme wie "Nosferatu" (Friedrich Wilhelm Murnau, 1922) oder "Metropolis" (Fritz Lang, 1926) waren formal weit weniger geschlossen. Für "Nosferatu" benutzte Murnau Außenaufnahmen, womit er gegen ein Prinzip des Expressionismus verstieß. "Metropolis" ist ohnehin ein wildes Pastiche aus Welt- und Religionsgeschichte. Die expressionistischen Elemente dienen eher der atmosphärischen Untermalung.

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