Für die 17-jährige Suzume beginnt der Tag in ihrem japanischen Küstenstädtchen mit einem ganz normalen Morgen – bis ihr auf dem Weg zur Schule ein mysteriöser junger Mann begegnet, der sie nach Ruinen in der näheren Umgebung fragt. Er sei auf der Suche nach "einer Tür". Suzume ist sofort fasziniert von dem Unbekannten, der sich ihr als Sōta vorstellt. Und so entschließt sie sich, den Unterricht sausen zu lassen und ihm heimlich an den verlassenen Ort zu folgen.

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Mit dieser Begegnung bricht das Übernatürliche in die Alltagsrealität der jungen Titelheldin von Makoto Shinkais Zum Inhalt: Anime "Suzume" ein: Beim Durchstreifen der Ruinen findet die Teenagerin die gesuchte Tür, die sich unversehens als ein geheimnisvolles Portal entpuppt, das die reale Welt mit dem Jenseits verbindet. Als zerstörerische Kräfte durch die Tür dringen, die in dem Küstenort ein Erdbeben auslösen, gelingt es Sōta und Suzume unter größter Anstrengung, die Tür wieder zu schließen. Damit ist jedoch die Gefahr nicht auf Dauer gebannt: Wie Sōta Suzume aufklärt, existieren derartige Türen in verschiedensten Gegenden Japans. Seine Aufgabe sei es, sie rechtzeitig aufzuspüren, um Naturkatastrophen zu verhindern. Als daraufhin eine sprechende Katze auftaucht, die weitere Erdbeben ankündigt und Sōta in einen Kinderstuhl – ein Andenken an Suzumes verstorbene Mutter – verzaubert, entspinnt sich eine irrwitzige Verfolgungsjagd: An der Seite von Sōta, der trotz seiner kuriosen neuen Gestalt laufen und sprechen kann, hetzt Suzume der Katze hinterher. Dabei begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise, auf der sie sich auch den Traumata ihrer Kindheit stellen muss.

Eine Reise durch Raum und Zeit

In der Form eines Zum Inhalt: Roadmovies führt Shinkais Film quer durch Japan: Auf seiner Reise von Kobe bis Tokio stößt das Held/-innenduo überall auf verlassene Ruinen, wo es weitere Portale schließen muss. Zwar fungiert Sōta nach seiner Verwandlung zunächst als "Zum externen Inhalt: comic relief (öffnet im neuen Tab)", dennoch wächst er trotz seiner hölzernen Fassade zu einer vollwertigen Figur heran. Der Fokus der Erzählung liegt aber auf Suzume. Von Beginn an als willensstarke Protagonistin etabliert, avanciert sie in den Stiefeln Sōtas selbst zur Retterin.

Trotz der fantastischen Elemente (Glossar: Zum Inhalt: Fantasyfilm) bleibt die Filmhandlung stets in der Gegenwart verwurzelt. Neben den realen Schauplätzen wird das vor allem in der Omnipräsenz des Smartphones (Glossar: Zum Inhalt: Requisite) deutlich: Als zentraler Alltagsgegenstand ist es Symbol für das digitale Zeitalter, gleichzeitig stellt es durch wiederkehrende Erdbebenwarnungen die Verbindung zum mystischen Ursprung der Naturkatastrophen dar. Und auch wenn die Beben durch übernatürliche Kräfte ausgelöst werden, waren und sind ihre Auswirkungen doch real.

Immer wieder nimmt Suzume Bezug auf historische Katastrophen, in deren hinterbliebenen Ruinen sich die Portale finden. So offenbart das Finale des Films, was zuvor schon zu erahnen war: Suzumes Mutter fiel dem verheerenden Tsunami zum Opfer, der durch das Tōhoku-Erdbeben 2011 ausgelöst wurde. Die Naturkatastrophe, in Deutschland primär als Auslöser des Reaktorunfalls im Atomkraftwerk von Fukushima im Gedächtnis, behandelt "Suzume" aber nicht nur als persönliches Trauma der Titelheldin. Das Schließen jeder Tür wird von Momentaufnahmen aus der Erinnerung unterschiedlicher Menschen begleitet – was auf tief in der Bevölkerung verankerte Erfahrungen mit den Katastrophen verweist. Diese Form der kollektiven Traumabewältigung hat im japanischen Kino bereits Tradition: Der Monsterfilmklassiker (Glossar: Zum Inhalt: Horrorfilme) Zum Filmarchiv: "Godzilla" ("Gojira" , Ishirō Honda, 1954) ist ein prominentes Beispiel dafür.

Ungewohnte Perspektiven für den westlichen Blick

"Suzume" fügt sich damit in das Werk Makoto Shinkais ein. Schon in Zum Filmarchiv: "Your Name – Gestern, heute und für immer" ("Your Name" , JP 2016) thematisierte der japanische Anime-Star Naturkatastrophen, mit denen er seine jungen und lebensnahen Protagonist/-innen konfrontiert. Anders als die im Westen bekannteren Filme von Hayao Miyazakis aus dem Studio Ghibli verzichtet Shinkai dabei jedoch auf übergreifende Gesellschaftskritik, um den Fokus stattdessen auf die persönliche Entwicklung seiner Figuren zu richten. Dagegen spielt der Shintoismus bei Miyazaki und Shinkai gleichermaßen eine zentrale Rolle, speziell auch in "Suzume" : Die japanische Religion geht von einer Vielzahl an "Göttern" ("kami") aus, die, weder gut noch böse, als animistische Beseelungen der Natur existieren.

Suzume und Sōta rufen die "kami" beim Schließen der Türen direkt an, um ihnen die Ruinen "zurückzugeben". Die zerstörten, von der Natur langsam zurückeroberten Gebäude symbolisieren die verdrängten Erinnerungen an die Katastrophen. Erst mit dem Schließen der Türen wird die Vergangenheit buchstäblich abgeschlossen. Der Film greift mit den Türen zudem die Shinto-Symbolik der bekannten Torii-Torbögen als Übergang zwischen zwei Welten auf. Die Ambivalenz einer durch "kami" beseelten Natur zeigt sich in der Gleichzeitigkeit ihrer Schönheit und ihrer Zerstörungskraft. In einem Moment formen sich dicke Regentropfen zu bedrohlichen Sturmfluten, in einem anderen löst sich die drohende Katastrophe in einem schillernden Schauer auf. Die warmen Lichteffekte, die Reflektionen in der eigentlich nichtexistenten Kameralinse erzeugen, unterstreichen allgegenwärtig den Realitätsanspruch der Animation.

So erweist sich "Suzume" auf vielfältigste Art als Unterhaltungsfilm, der zutiefst in der japanischen Kultur verankert ist. Selbst die Bedeutung der Blickachsen nach links und rechts sind im Vergleich zum westlichen Kino gespiegelt: Die Bewegung zum rechten Bildrand führt – analog zur Leserichtung – in die Vergangenheit, das vermeintliche Zurückblättern in einem Tagebuch tatsächlich in die Zukunft. Suzume ist reich an Symbolen und Narrativen, die für den Blick eines westlichen Publikums ungewohnte Sichtweisen vermitteln. Der Anime ermöglicht auf diese Weise einen faszinierenden Perspektivwechsel.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

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