Schwangerschaft als Rebellion

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In der bretonischen Hafenstadt Lorient wird die 17-jährige Schülerin Camille ungeplant schwanger – und entdeckt darin ihre Chance: Die Schwangerschaft wird für sie zu einem Akt der Selbstbestimmung, mit dem sie die vorgeschriebenen Lebensentwürfe der Erwachsenen auf den Kopf stellen kann. Ein eigenes Kind, glaubt sie, würde ihrem Leben zudem einen Sinn geben und ihr erlauben, ihre Vorstellung von Familie zu verwirklichen. Als Camille ihren Freundinnen davon erzählt, schließen die Mädchen einen Pakt: Sie wollen alle zur gleichen Zeit schwanger werden und ihre Kinder gemeinsam aufziehen. So müssen sie weder auf ihre Ausbildung noch auf das Ausgehen verzichten. Zum Entsetzen von Eltern und Lehrern/innen setzen sie ihren Plan in die Tat um und genießen die Macht, die sie kraft ihrer Körper besitzen. Nur allein in ihren Zimmern steht den Mädchen die Angst vor den Veränderungen ins Gesicht geschrieben. Mit 16 Schwangerschaften ist der Skandal an dem Gymnasium perfekt: Lehrer/innen und Eltern beschuldigen sich gegenseitig und dem Rektor fällt kaum mehr ein, als einen Kondomautomaten aufzustellen. Nur die Schulärztin fragt nach den Motiven der Mädchen, kann aber Camilles Argumenten nichts entgegensetzen. Während der Druck von außen die Mädchen zusammenschweißt, wird ihre Gemeinschaft intern auf die Probe gestellt. Als die Ultraschalluntersuchung bei einer von ihnen Unregelmäßigkeiten zeigt, kann die Gruppe sie nicht auffangen.

Camille, die Anführerin

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Dreh- und Angelpunkt aller Beziehungen innerhalb der Clique ist Camille. Mit einer alleinerziehenden und häufig abwesenden Mutter ist sie früh selbstständig geworden. Unabhängig und stark, wie sie deshalb wirkt, gibt sie den Ton an. Wen sie ablehnt, der findet keinen Anschluss. So wie Florence, die erst aus ihrer Außenseiterposition herauskommt, als sie sagt, dass sie ebenfalls schwanger sei. Die kindliche Clémentine dagegen, eine von Camilles besten Freundinnen, will nicht hinter den körperlich reiferen Mädchen zurückstehen. Andere Mädchen schließen sich an: Sie lassen sich schwängern – auch um Camille und ihrer Vision von einem selbstbestimmten Leben in der Gemeinschaft zu folgen. Sie wollen damit der Langeweile und Perspektivlosigkeit ihrer Heimatstadt entfliehen, in der die einzigen Abwechslungen in Treffen auf dem Spielplatz oder dem Fast Food-Restaurant bestehen. Nur Mathilde entscheidet anders: Sie muss niemandem etwas beweisen.

Fast bedeutungslos: die Jungen

Wie die Erwachsenen spielen auch die Jungen keine große Rolle. Sie sind für die Mädchen bloß Mittel zum Zweck und kommen in ihrer Vision eines gemeinschaftlichen Lebens nicht vor. Allein Tom tritt stärker in Erscheinung, weil er mit Camille und ihrer Freundin Julia schläft. Doch auch er bringt sich nicht als möglicher Vater ein, vielmehr sorgt er nur für einen schwelenden Konkurrenzkampf zwischen den Mädchen. Camilles Bruder ist der einzige Erwachsene, der Verständnis für ihre Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Leben zeigt, weil er dieses selbst vergeblich als Soldat in Afghanistan gesucht hat. Doch er ist zu resigniert, um Camille mehr als eine Warnung vor dem Scheitern mit auf den Weg zu geben.

Macht und Ohnmacht der Mädchen

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Die Regisseurinnen Delphine und Muriel Coulin erzählen konsequent aus Sicht der Mädchen. Dazu passend rahmt der Off-Kommentar (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) eines der Mädchen die Filmhandlung ein. Im Vordergrund steht Camilles Geschichte, andere werden nur angerissen, etwa der Konflikt zwischen Clémentine und ihren Eltern. Die Kamera wirkt stets beobachtend und distanziert, auch wenn sie den Mädchen nahe rückt und ihre Gesichter in Großaufnahmen oder Details (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) ihrer Körper zeigt. Dazu im Kontrast stehen Panorama-Ansichten von Meer und Horizont. Sanfte Pastelltöne (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) verleihen diesen Weiten etwas Ätherisches und vermitteln das Gefühl von Unendlichkeit und Ungreifbarkeit. Davor wirken die sich langsam verändernden Mädchenkörper sehr konkret. In diesem Gegensatz spiegelt sich der harte Kontrast zwischen den Wünschen und Sehnsüchten der Mädchen und der Realität ihrer Schwangerschaften wider. Die Energie der Mädchen überträgt sich durch den Einsatz treibender Popmusik (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) auf die Zuschauenden. Die diegetische Filmmusik (Glossar: Zum Inhalt: Off-/On-Ton) tönt aus Kopfhörern und Lautsprechern, wenn die Figuren dem Alltag entfliehen und Spaß haben wollen. Sonst erzählt der Film ruhig, fast nüchtern.

Das Scheitern einer Utopie

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Die Stärke des Films besteht darin, dass er das Gruppenverhalten der Mädchen sehr genau zeichnet und das Ungestüme dieser Lebensphase gut vermittelt. Er nimmt die Teenager und ihre Rebellion ernst und bewertet nicht. Damit liefert "17 Mädchen" eine Studie des Erwachsenwerdens, die viel Raum für eigene Interpretationen lässt. Am Ende scheitert die Utopie der Mädchen an einem Unglücksfall. Mit dieser einfachen Wendung umgeht der Film die Frage, ob sich der Traum vom selbstbestimmten Leben hätte verwirklichen lassen. Die vielen Protagonistinnen und Handlungsstränge erschweren allerdings die Identifikation mit den Figuren und rauben den Geschichten Kraft. Insgesamt mutet der Film – obwohl er auf einer wahren Begebenheit basiert, die sich 2008 ähnlich in den USA ereignete – fast märchenhaft an. Sein Ton ist so träumerisch-leicht wie die Utopie der 17 Mädchen.

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