In ihrem Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Becoming Black" setzt sich die in Berlin lebende Regisseurin (Glossar: Zum Inhalt: Regie) Ines Johnson-Spain mit ihrer eigenen Biografie auseinander: Anfang der 1960er-Jahre in Leipzig geboren, wächst sie als Schwarze Tochter einer weißen ostdeutschen Familie auf. Die Fragen des Kindes nach dem Grund für seine Hautfarbe beantworten die Eltern allenfalls mit kuriosen Ausreden. Erst im Alter von 12 Jahren erfährt Ines zufällig, dass ihr leiblicher Vater aus Togo stammt. Er hatte ihre Mutter während eines einjährigen Studienaufenthalts in der DDR kennengelernt. Ines ist demnach das Kind eines "Seitensprungs" – ein Thema, über das in der biederen Gesellschaft nicht offen gesprochen wird. Angesichts des sie umgebenen Schweigens verschließt sich auch das Mädchen zusehends gegenüber ihrem Umfeld. Jahre später sucht Ines Kontakt zu ihrem Vater und reist auch zu dessen Verwandten nach Afrika.

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Ines Johnson-Spain hat "Becoming Black" als eine sehr persönliche und emotionale filmische Recherche inszeniert: Vor der Kamera befragt sie Bekannte und Verwandte ihrer verstorbenen Mutter, ihren Adoptivvater und ihren älteren Bruder, wie sie sich an die familiäre Situation und konkret an sie als Kind erinnern. Dabei hält die Filmemacherin auch ihre eigenen spontanen Reaktionen fest. Den in Deutschland gefilmten Interviews (Glossar: Zum Inhalt: Talking Heads) stehen Zum Inhalt: Szenen gegenüber, die Ines Johnson-Spain bei Besuchen der Familie ihres ebenfalls bereits verstorbenen Vaters in Togo und Benin zeigen. Die Interviewszenen ergänzt die Regisseurin, indem sie im Zum Inhalt: Voiceover das Gesagte reflektiert und durch eigene Kindheitserlebnisse ergänzt. Obwohl der Film größtenteils Gesprächssituationen und Privatfotos zeigt und somit relativ wenig Schauwerte bietet, ist "Becoming Black" thematisch und dramaturgisch ein fesselnder Film, denn Ines Johnson-Spain hat ihre Geschichte geschickt wie ein kriminalistisches Puzzle arrangiert. So erschließt sich beispielsweise oft erst im Nachhinein, in welchem Verhältnis die Filmemacherin zu ihren Interviewpartner/-innen steht. Hier fordert "Becoming Black" die genaue Aufmerksamkeit der Zuschauenden. Dabei vermittelt der Film gerade durch seinen offenen forschenden Ansatz eindringlich, wie schmerzhaft und prägend sich Ausgrenzungserfahrungen auf Betroffene auswirken.

Im schulischen Kontext bietet sich der Dokumentarfilm vor allem an, um in den Fächern Ethik, Religion und Gemeinschaftskunde über Themen wie Familienmodelle, Identität und Alltagsrassismus zu diskutieren. Dabei sollte auch über den Doppelsinn des Titels gesprochen werden, der das "Schwarzwerden" einerseits als Ausgrenzung durch eine weiße Mehrheitsgesellschaft, andererseits als Prozess der Identitätsfindung der Filmautorin meinen kann. In "Becoming Black" entwirft Ines Johnson-Spain aber auch ein Zeit- und Sittenbild der DDR-Gesellschaft der 1960er- und 1970er-Jahre, in der uneheliche, beziehungsweise außereheliche Kinder, insbesondere von Schwarzen Gaststudierenden, stigmatisiert waren: Das eisige Schweigen, dem die Filmemacherin als Kind ausgesetzt war, wirkt aus heutiger Sicht erschütternd. Auch wird an verschiedenen Stellen eine paternalistische Haltung der staatlichen Funktionsträger/-innen der DDR gegenüber Afrikaner/-innen deutlich. Im Geschichtsunterricht kann der Film so als Anlass dienen, um das Selbstverständnis der DDR als aufgeklärter, egalitärer und antikolonialistischer Staat kritisch zu hinterfragen.

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