Billis Familie lügt. Die in China geborene New Yorkerin, ihre ebenfalls in den USA lebenden Eltern und ihre Großmutter Nai Nai (Mandarin für Oma väterlicherseits) im chinesischen Changchun schwindeln sich permanent an: Ob es um den Alltag oder den Job geht, niemand soll sich Sorgen machen. Doch als die Ärzte bei Nai Nai Krebs im Endstadium diagnostizieren, wird das familiäre Gebot "Du darfst nichts sagen" zur Zerreißprobe für Billi, die ihrer Großmutter sehr nahesteht. Wie in China oft üblich sagt Nai Nai niemand, selbst die Ärzte nicht, dass sie bald sterben wird. Damit die Großfamilie in China, den USA und Japan dennoch einen Vorwand hat, nach Changchun zu kommen und sie noch einmal zu sehen, muss Billis Cousin überhastet seine Freundin heiraten. Billi stürzt in einen moralischen Konflikt – mit sich selbst, ihrer Verwandtschaft und den beiden Kulturen, zwischen denen sie steht.

Im Beisein der Großmutter spricht Billi auf Englisch aus, was auf Mandarin unaussprechlich ist. Die für sie unsagbare Wahrheit steht der Familie ins Gesicht geschrieben. Dreh- und Angelpunkt des Geschehens sind immer wieder die Mahlzeiten, die die Zum Inhalt: Drehbuchautorin und Regisseurin Lulu Wang in fast schon Zum Inhalt: grell ausgeleuchteten Räumen Zum Inhalt: inszeniert. Die Zuschauenden – wie die Familie – besitzen einen Wissensvorsprung gegenüber der lebenslustigen Großmutter, was ein Gerüst für Subtext und zahllose Doppeldeutigkeiten schafft. Dem Tragischen und gar Schmerzhaften wird dabei fortwährend eine an Zum Inhalt: Screwball-Komödien erinnernde Komik gegenübergestellt. Inmitten dessen versucht sich die westlich sozialisierte Billi wiederzufinden. Nicht nur die Sprache, auch das nicht mehr vertraute Wertesystem ihres Geburtslandes fordert sie heraus. Doch der Film spielt weder die Figuren noch kulturelle Besonderheiten gegeneinander aus. Er formuliert kein Dogma. Stattdessen avanciert "The Farewell" für das Publikum zu einer geleiteten Selbstreflexion: Muss man einer Todkranken ihre Diagnose mitteilen?

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Der Film spinnt ein engmaschiges Netz zwischen Aufrichtigkeit und Verantwortung, zwischen Eigennutz und Gemeinnutz, zwischen Individuum, Familie und Kultur. Schulklassen können Perspektiven entwickeln, um dieses Netz zu entflechten – in Ethik, Philosophie und Sozialkunde. Kernstück ist die Frage nach der "gute(n) Lüge", wie es im Film heißt. Gibt es Situationen, die die Unwahrheit rechtfertigen? Billis Onkel gibt seiner Nichte zu bedenken, sie sei im Westen mit dem Verständnis aufgewachsen, ihr Leben sei allein ihre Sache: "Im Osten ist das Leben einer Person Teil eines Ganzen. (…) Wir sagen es Nai Nai nicht, weil es unsere Pflicht ist, diese emotionale Last für sie zu tragen." Konfuzianische Lehren sind in Medizin und Philosophie fundamental für diese Praxis des Schweigens. In simulierten Streitgesprächen können Schüler/-innen aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen, realistische Umstände antizipieren und auf Fälle aus einer gemeinsamen Medienrecherche zurückgreifen. In dem skizzierten Spannungsfeld liefert "The Farewell" Nährstoff für Diskussionen, inwiefern Antworten absolut sind – und inwiefern verschiedene Menschen und Gesellschaften unterschiedlich mit ethischen Dilemmata umgehen.

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