Frau Stern trinkt, raucht und kifft. Die 90-Jährige spricht über Sex, geht mit ihrer Enkelin in Berliner Clubs und gelegentlich stiehlt sie im Laden um die Ecke. Die Holocaust-Überlebende umgibt sich gerne mit jungen Menschen, weil die Deutschen ihrer Generation die Ermordung ihrer gesamten Familie zu verantworten haben. Ihr eigenes Überleben der NS-Zeit empfindet sie als einen Zufall. Sie hat danach geheiratet, eine Familie gegründet und ein Restaurant betrieben, doch nun ist sie des Lebens müde geworden. Die Passivität, die ihr das Warten auf den Tod aufzwingt, will sie nicht hinnehmen. Ihr Tod soll ihre Sache sein: "Man soll abtreten, wenn man es noch kann", sagt sie. Deshalb versucht sie, sich eine Waffe zu besorgen, aber weder ihr Hausarzt noch die Ladenbesitzer im Viertel unterstützen sie bei ihrem Vorhaben.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Der Film "Frau Stern" und seine Protagonistin kommen schonungslos auf den Punkt, angefangen mit ihrer ersten Aussage: "Ich will sterben". Ihre klaren Worte erschüttern und bannen. Wiederholt blickt sie unverblümt in die Kamera (Glossar: Zum Inhalt: Kameraperspektiven) und dem Publikum geradewegs in die Augen. Damit zwingt Frau Stern die Zuschauenden, sich bewusst mit ihr und ihren Überzeugungen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig durchzieht die im sommerlich warmen Licht (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) gefilmte Tragikomödie (Glossar: Zum Inhalt: Genre) eine herzliche Wärme – in manchen Momenten gar eine Leichtigkeit –, die die alte Frau insbesondere im Miteinander mit ihrer Enkelin Elli und anderen jungen Menschen im Kiez vermittelt. "Frau Stern" macht unmissverständlich klar, dass die Beschäftigung mit dem Lebensabend und dem Tod nicht allein Thema einer älteren Bevölkerungsschicht ist.

Indem der Film auf den Austausch zwischen den Generationen setzt, ist er prädestiniert, Schüler/-innen zu erreichen und im Unterricht Diskussionen anzustoßen – sowohl in den Fächern Ethik und Religion als auch in Deutsch und Geschichte. "Frau Stern" wirft soziale und ethische Fragen auf: Welche Möglichkeiten, Aufgaben und welche Verantwortung haben junge Generationen im Zusammenleben mit älteren Menschen in einer alternden Gesellschaft? Die Kombination der Thematik mit dem Medium Film lädt zu praktischen Projekten ein: In Filminterviews mit den eigenen Großeltern etwa können Schüler/-innen selbstreflexiv der Frage nachspüren, was Jung und Alt voneinander und miteinander lernen können. Der Film schafft zudem eine Grundlage, um die aktuelle Debatte um Sterbehilfe zu behandeln. Der Dreiklang selbstbewusster Frauen – Frau Stern, ihre Tochter und ihre Enkelin – fächert überdies Variationen weiblicher Selbstbestimmung auf, die sich zu einer gesellschaftspolitischen Betrachtung eignen. "Frau Stern" verknüpft diese Themen untrennbar mit dem Holocaust und jüdischem Leben in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts. Als die Titelfigur in einer Talkshow auftritt und der Moderator versucht, ihre Geschichte medienwirksam in Szene zu setzen, verweigert sich Frau Stern jeglicher Fremdbestimmung. So regt diese Zum Inhalt: Szene zu einer Reflexion an: Über das Selbstverständnis Frau Sterns sowie darüber, wie die Gesellschaft NS-Verbrechen thematisiert und wie sie den wenigen noch verbliebenen Holocaust-Überlebenden begegnet.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Mehr zum Thema