Erst als Teenager erfuhr die deutsch-iranische Schauspielerin Maryam Zaree (Zum Filmarchiv: "4 Blocks", Zum Filmarchiv: "Transit") von ihrer bedrückenden Herkunft: Sie wurde in Evin geboren, einem berüchtigten Gefängnis der iranischen Revolutionsgarden. Nach dem Sturz des Schahs und dem Machtantritt Ayatollah Khomeinis wurden ihre Eltern dort als politische Gefangene inhaftiert. Aus dem Gefängnis entlassen, floh die Mutter mit ihr nach Frankfurt am Main, der Vater kam Jahre später nach. Die Zeit ihrer frühen Kindheit ist für Maryam Zaree eine Leerstelle in ihrer Biografie. Denn ihre Mutter weigert sich, über ihre traumatischen Erfahrungen in Evin zu sprechen. Deshalb fasst die Tochter den Entschluss, die Umstände ihrer Geburt und ihrer ersten Lebensjahre selbst zu erforschen. Sie will herausfinden, was ihre Eltern damals durchmachen mussten. Wurden sie gefoltert? Wurde sie als Kind Zeugin furchtbarer Ereignisse, an die sie sich nicht mehr erinnern kann? Sie sucht das Gespräch mit Verwandten und Trauma-Expertinnen und forscht vor allem auch nach überlebenden Müttern und Kindern, die ihr Schicksal teilen. In den Gesprächen bekommt sie zwar viel Verständnis, aber nur wenige Informationen. Die ältere Generation, so scheint es, will die jüngere schützen, indem sie die Vergangenheit begräbt.

Zarees Zum Inhalt: Dokumentarfilmdebüt beginnt als persönliche Familiengeschichte, in der sie ihre getrennt lebenden Eltern mit ihrem Vorhaben konfrontiert. Alte Tonaufnahmen und Videos, die die Regisseurin dazwischen Zum Inhalt: montiert, zeugen von einer behüteten Kindheit nach der Flucht aus dem Iran. Die Immigrantenfamilie Zaree ist in Deutschland angekommen, die Mutter promoviert und engagiert sich in Frankfurt in der Kommunalpolitik. In Gesprächen mit einer Psychologin, Verwandten und einer Mitgefangenen ihrer Mutter erfährt Zaree die mutmaßlichen Gründe ihres Schweigens, doch die Geschehnisse in Evin bleiben im Dunkeln. Traumhafte Zum Inhalt: Sequenzen von Zaree unter Wasser oder wie zu Beginn als Fallschirmspringerin im freien Fall stehen für ihre Gefühlslage. Eindrückliche Bilder zeigen die Filmemacherin auf Konferenzen iranischer Exilverbände, wo sie um Mitarbeit an ihrem Projekt bittet, um anschließend im Foyer lange vergeblich auf auskunftswillige Zeitzeuginnen zu warten. Auch aus Angst vor dem iranischen Regime geben sich viele bedeckt. Erst in London und in den USA trifft Zaree auf gleichaltrige Frauen, die als Gefängniskinder auf ähnliche Erfahrungen zurückblicken. Im Scheitern ihres Projekts erkennt sie letztlich einen hoffnungsvollen Neuanfang.

Born in Evin, Trailer (© Real Fiction)

Auch wenn der Filmemacherin an einer Stelle die Tränen kommen, ist der Spagat zwischen persönlicher – potenziell zu intimer – Biografie und kollektiver Erinnerung gelungen. Denn Zaree öffnet ausgehend von ihrer individuellen Geschichte immer wieder den Blick für andere Themen. Für den Geschichtsunterricht bietet der Film deshalb interessante Hintergründe zur Iranischen Revolution von 1979, der in den Folgejahren zehntausende Regimegegner zum Opfer fielen. Besonders bewegend sind die Gedanken zur Verarbeitung von Traumata infolge politischer Verfolgung. Die Erfahrung von Inhaftierung, Folter und anschließendem Exil hinterlässt unheilbare Wunden, die nicht selten an die Kinder weitegegeben werden – auch durch den Schutzmechanismus des Schweigens aus Scham oder dem Wunsch, die jüngere Generation mit der Vergangenheit nicht zu belasten. In Sozial- und Gemeinschaftskunde, Geschichte, aber auch im Fach Deutsch lässt sich diskutieren, wie etwa in Deutschland die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs in den Familien und in der Gesellschaften der BRD und DDR aufgearbeitet wurden und welche Folgen das verbreitete Schweigen hatte. Der Film zeigt allerdings auch, wie schwer das Sprechen fällt.

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