Zu Beginn der 1950er-Jahre: Siggi, junger Insasse einer Besserungsanstalt, soll im Deutschunterricht über "Die Freuden der Pflicht" schreiben. Er bringt kein Wort zu Papier. Erst als er in einer Zelle den Aufsatz als Strafarbeit nachholen muss, beginnt er wie im Rausch mit der Niederschrift seiner Kindheitserinnerungen: 1943 überbringt sein Vater Jens Ole Jepsen, Polizist in einem norddeutschen Dorf, seinem Freund, dem Maler Max Ludwig Nansen, ein Malverbot. Nansens expressive Kunst haben die Nationalsozialisten als "entartet" abgewertet. Unerbittlich überwacht der extrem pflichtbewusste Vater die Einhaltung des Verbots und spannt dafür sogar seinen elfjährigen Sohn ein. Doch das Kind wird auch von seinem geliebten Patenonkel Nansen, der nun heimlich malt, um Hilfe gebeten. Siggis innere Zerrissenheit verstärkt sich, als sein Bruder Klaas auftaucht. Der junge Soldat hat sich verstümmelt, um dem Kriegsdienst zu entkommen. Klaas wird von seinem Vater, gemäß der Maxime "Pflicht ist Pflicht", an die Behörden ausgeliefert. Nach Kriegsende glaubt Siggi weiterhin, mit allen Mitteln Nansens Gemälde vor seinem Vater retten zu müssen.

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Siegfried Lenz’ 1968 veröffentlichter Roman Deutschstunde ist ein Schlüsselwerk der deutschen Nachkriegsliteratur. In der ersten Kinoadaption (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) – nach einem Fernsehzweiteiler von 1971 - des über 600 Seiten umfassenden Buchs orientieren sich Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautorin Heide Schwochow (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) an der Struktur der Vorlage. Während die Rahmenhandlung in der Anstalt spielt, wird die von 1943 bis kurz nach Kriegsende reichende Binnenhandlung als Zum Inhalt: Rückblende erzählt. Beibehalten wurde auch die Perspektive des auktorialen Ich-Erzählers Siggi. Neben der unumgänglichen Verdichtung des Inhalts nahm die Drehbuchautorin Veränderungen an Charakteren wie Siggis Mutter und dem Maler – im Original von Emil Nolde inspiriert – vor. Im ästhetisch herausragenden Szenenbild kontrastieren weite Panoramen von Watt, Dünen und Meer (hauptsächlicher Zum Inhalt: Drehort war die dänische Insel Rømø) effektvoll mit der erdrückenden Stimmung in Siggis Elternhaus. Die düster-malerischen Filmbilder (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) sind, abgesehen von Uniformen (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild), frei von Hinweisen auf die NS-Zeit. Diese Beschränkung verleiht dem Drama eine zeitlose Atmosphäre, in der mit symbolisch aufgeladenen Bildern eine universelle Parabel erzählt wird.

Durch den Verzicht auf nationalsozialistische Symbolik und durch die elliptische Erzählweise (Glossar: Zum Inhalt: Elliptische Struktur) öffnet sich der Film für eine Diskussion, die thematisch bis in die Gegenwart reicht. Auf Augenhöhe mit Siggi entfaltet sich ein zugleich individuelles wie allgemeingültiges Drama, das zur Identifikation einlädt und pädagogische Anknüpfungspunkte für den Kunst-, Deutsch-, Ethik und Geschichtsunterricht bietet. So kann Siggis private Vergangenheitsbewältigung mittels Erinnern und Schreiben als Überleitung zur Analyse des politischen Kontexts während der nationalsozialistischen Diktatur dienen und der darin agierenden Figuren. Anhand seiner Zerreißprobe zwischen zwei Vaterfiguren – einerseits ein autoritärer Charakter, andererseits ein freiheitssuchender Künstler – lässt sich diskutieren, wie viel Spielraum sich Menschen in einer Diktatur erkämpfen können. Der Widerstreit zwischen unmenschlicher Pflichterfüllung und individueller Verantwortung leitet auch zu ethisch-moralischen Fragen der Gegenwart – etwa in Bezug auf Zivilcourage – über. Vertiefend lässt sich anhand des ursprünglichen Vorbilds für den Maler Nansen, den expressionistischen Maler Emil Nolde, sowohl der Begriff "Entartete Kunst" wie auch das Verhältnis zwischen Kunst und Macht erörtern, wurde Nolde doch inzwischen als Antisemit und Parteigänger der Nationalsozialisten entlarvt.

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