Auf dem Höhepunkt der Fluchtmigration nach Europa im Oktober 2015 etablierte der Berliner Senat eine provisorische Unterkunft in den riesigen Hangars des still gelegten Flughafengebäudes in Tempelhof. Bis zu 2.500 geflüchtete Menschen lebten dort, in nur durch Pappwände abgetrennten Wohnbereichen. Der brasilianische Filmemacher und Wahlberliner Karim Aïnouz begleitet in seinem sensibel beobachtenden Zum Inhalt: Dokumentarfilm über ein Jahr lang den Alltag der Ankommenden. Diese bleiben oft viel länger als die in der Planung angedachten sechs Wochen. Wie in einer surrealen Zwischenwelt harren sie an diesem Transit-Ort aus, bis vielleicht ein Neustart in Deutschland möglich wird.

Einer von ihnen ist der 18-jährige Syrer Ibrahim Al Hussain. Seine Gedanken und Erinnerungen an den Krieg, an sein Heimatdorf und seine Familie ziehen sich als Zum Inhalt: Voice-over durch den Film wie eine Art Tagebuch – poetisch und berührend –, während die Wochen und Monate dahinfließen. Es passiert nicht viel in den Zum Inhalt: überdimensionalen Hallen, die Aïnouz ebenfalls wie einen Protagonisten inszeniert. Immer wieder setzt er die pompöse Architektur des Ortes gegen die im Verhältnis sehr klein erscheinenden Menschen. Die Schlafkabinen wirken aus der Zum Inhalt: Vogelperspektive wie Bienenwaben. Während die Bewohner/-innen der (Not-)Unterkunft auf Papiere warten, Deutschkurse besuchen und ihr Notquartier – für sie – mit jedem Tag ein wenig mehr zur Normalität wird, bespielen die Berliner/-innen das Tempelhofer Feld über die wechselnden Jahreszeiten als Freizeitort. Auch ein Imker betreut hier sein Bienenvolk. In Zum Inhalt: Parallelmontage stellt der Regisseur diese zwei Erfahrungswelten nebeneinander, die sich nur sporadisch berühren, obwohl sie sich örtlich überschneiden.

Zentralflughafen THF, Trailer (© Piffl Medien)

Der Regisseur beweist Zurückhaltung und bewahrt den Menschen, die er filmt, ihre Würde. Aïnouz nimmt sich viel Zeit und ermöglicht den Zuschauenden, sich langsam in die Gegebenheiten und funktionalen Abläufe dieser speziellen Örtlichkeit einzufühlen und damit auch Nähe zu den Mitwirkenden und deren Bedürfnissen aufzubauen. Deshalb bietet der Film eine gute Grundlage, sich im Deutsch- oder Politik-Unterricht mit der Medienberichterstattung über geflüchtete Menschen zu befassen. Nach dem differenzierten Eindruck des Films können sich Schüler/-innen damit auseinanderzusetzen, wie der schnelllebige Nachrichtenfluss die politischen Debatten über vielschichtige Themen wie Migration und Integration beeinflusst. Außerdem lohnt es sich, die Geschichte und Architektur des Flughafens Tempelhof in Beziehung zu seiner neuen temporären Funktion zu setzen. Aïnouz lässt uns am Anfang seines Filmes an einer Führung durch die Hallen teilnehmen. Das größte Baudenkmal Europas sollte den Nationalsozialisten einst für ihre Selbstinszenierung dienen, wurde aber 1948/49 auch durch die Luftbrücke bekannt – und damit zum Symbol für internationale Solidarität.

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