Aus dem weißen Nichts der leeren Leinwand und dem Urknall eines bunten Punktes erwächst in in dem zauberhaften Zum Inhalt: Animationsfilm "Der Junge und die Welt" eine ganz eigene Welt, bevölkert von bunten Blumen, fantastischen Tieren und einem Strichmännchen im rot-weißen Ringelshirt, mit großem Kopf und Augen wie Münzeinwurfschlitzen. Um seinen Vater wiederzufinden, der die Familie auf der Suche nach Arbeit verlassen musste, folgt der kleine Junge dem Weg der Baumwolle von den großen Plantagen über die Spinnereien und Fabriken bis in die Schaufenster der Kaufhäuser und erlebt dabei viele Abenteuer. Mit der Geschichte des neugierigen Kindes wird die Geschichte des "jungen" Kontinents Lateinamerika erzählt.

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Der Film des Brasilianers Alê Abreu funktioniert ohne verständliche Dialoge und arbeitet nur mit Zum Inhalt: Musik, die an zentralen Punkten durch einer Art Sprachtravestie ohne semantischen Gehalt (tatsächlich werden portugiesische Dialoge rückwärts gelesen) ergänzt wird. Die "handgemachte" Animation des Films ist ganz aus dem Geist des Zeichnerischen heraus konzipiert, die Komplexität steigert sich von der hingeworfenen Linie bis zur Bild füllenden Collage. Dabei werden die Bilder immer vielschichtiger und zugleich immer gleichförmiger, sobald die industrialisierte Uniformierung das Bildgeschehen bestimmt und das Heer der Arbeitssklaven marschiert wie in Fritz Langs Stummfilmklassiker Zum Filmarchiv: "Metropolis" (DE 1926). Das urbane Konsumparadies erstrahlt in grellem Schein und ist doch nur Surrogat der Buntheit der Natur – einer Natur, die draußen auf dem Land von gierigen Maschinen gefressen wird, Baum für Baum.

Durch seinen spielerischen Gestus öffnet sich dieser Film verschiedenen Themen und Zugängen. Die zeichnerische Fabulierkunst und anfängliche Naivität spricht schon junge Grundschulkinder an, lässt sich aber über die Animationsverfahren und mit ihren Anklängen Paul Klee und die papier collé-Technik der Kubisten auch im Kunstunterricht höherer Klassen diskutieren. Dasselbe gilt für die Geschichte, die als Trennungsgeschichte universal ist und gleichzeitig komplexe Themen wie Umweltzerstörung, Kapitalismuskritik und Postkolonialismus aufruft. Selbst die Musik ist nicht nur schön, sondern ein akustisches Panorama brasilianischer Traditionen, vom Volkslied bis zum Protestsong.

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