Kategorie: Filmbesprechung
"Rain Man"
Klassiker zum Thema Autismus mit Dustin Hoffman und Tom Cruise
Unterrichtsfächer
Thema
Als "Rain Man" im Jahr 1988 in die Kinos kam, gab es kaum massenmediale Darstellungen von Menschen mit Autismus. So wurde der Film von Barry Levinson für viele zur prägenden Repräsentation des Phänomens. Die Geschichte zweier ungleicher Brüder beginnt mit dem Tod ihres Vaters. Der emotional distanzierte Autohändler Charlie Babbitt erfährt, dass er beim Erbe des beträchtlichen Vermögens kaum berücksichtigt wurde. Hauptbegünstigter ist der in einem psychiatrischen Pflegeheim lebende Raymond – ein älterer Bruder, von dem Charlie nichts wusste. Als sogenannter hochfunktionaler Autist ist Raymond in abstraktem Denken und sozialer Interaktion eingeschränkt, findet sich mit strengen Routinen aber im Alltag zurecht. Als Charlie ihn im Auto Richtung Los Angeles mitnimmt, um an einen Teil des Erbes zu kommen, wird Raymonds Routine empfindlich gestört. Im Verlauf der Reise lernt Charlie nicht nur von den Inselbegabungen seines Bruders, etwa im Kopfrechnen und bei Gedächtnisleistungen, sondern auch von der Geschichte ihrer gemeinsamen Familie.
Die Bedeutung des Films für das Bild von Autismus liegt neben Dustin Hoffmans Performance vor allem in seinem immensen Erfolg. Als Mid-Budget-Produktion (25 Millionen Dollar Produktionskosten) spielte das Zum Inhalt: Drama mehr als 350 Millionen Dollar ein und gewann die vier wichtigsten Oscars sowie zahlreiche weitere Preise. "Rain Man" ist ein Zum Inhalt: Schauspielfilm, der im Aufeinandertreffen zweier Darsteller mit unterschiedlichen Stilen reüssiert: Tom Cruise verkörpert den aalglatten Charlie wirkungsvoll mit seinem Star-Image; Method Actor Hoffman hingegen imitiert in seinem Spiel Manierismen von autistischen Menschen, die er bei der Vorbereitung auf die Rolle traf. Der ausweichende Blick, die Wiederholung von Phrasen ("Of course", "I don‘t know") und die gestischen Ticks werden bis heute als präzise Darstellung von Verhaltensweisen im autistischen Spektrum beurteilt –auch von Betroffenen. In der Summe jedoch ist Raymond ein extremes und wenig repräsentatives Beispiel: Die Kombination von Autismus mit einer sogenannten erstaunlichen Inselbegabung (Savant-Syndrom) ist äußerst selten. So machte der Film damals zwar auf die neurologische Entwicklungsstörung aufmerksam, schuf gleichzeitig aber auch ein stereotypes Bild.
Im kritischen Rückblick auf den Film schreibt deshalb der Journalist Noel Murray, Vater eines autistischen Kindes: "Aufgrund von "Rain Man" denken viele Menschen, dass ein autistisches Kind eine lebenslange Garantie für frustriertes Herumschreien und unerwiderte Liebe ist – mit gelegentlichen Mathematik-Kunststücken zur Entlastung." [Übersetzung des Autors] Wissenschaftlich ist das breite Autismus-Spektrum heute viel besser erforscht. Viele Betroffene bekommen frühzeitig eine Diagnose und leben mit deutlich weniger Einschränkungen als Raymond. Ein Unterrichtseinsatz des Films in Sozialkunde oder Ethik sollte deshalb unbedingt um andere Autismus-Bilder ergänzt werden, etwa mit der sehenswerten "Quarks"-Folge zum Thema. Alternativ eignen sich zum Vergleich auch Ausschnitte aus Filmen wie "Der Geschmack von Schnee" (Snow Cake, Marc Evans, GB/CA 2006) oder dem Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Life, Animated" (Roger Ross Williams, USA 2016). Die Zum Inhalt: Dramaturgie von "Rain Man" kann in Bezug auf Zum Inhalt: Genre-Muster ( Zum Inhalt: Roadmovie, Zum Inhalt: Buddy-Movie) untersucht werden: Sie zielt auf die emotionale Annäherung zwischen den Brüdern, stellt jedoch die Entwicklung von Charlie (nicht die von Raymond) in den Mittelpunkt. Für eine Szenenanalyse eignet sich der Zum externen Inhalt: zentrale Moment des Films (öffnet im neuen Tab), in dem auch nach einem weiteren Schreianfall Raymonds die Bedeutung des Titels aufgedeckt wird.