Immer wieder lösen Filme oder Serien öffentliche Debatten über die Angemessenheit von Alterskennzeichnungen aus. Zuletzt stand die südkoreanische Netflix-Serie Zum Filmarchiv: "Squid Game" im Mittelpunkt. Gut an solchen Debatten ist, dass dadurch im besten Fall ein Diskurs angestoßen wird über Zumutbarkeiten, über Verantwortung (von Eltern wie von Anbietern), die Bedürfnisse und die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, den Umgang mit provokanter Kunst und Popkultur. Gerade die Debatte um "Squid Game" offenbart aber auch Defizite, die über eine moralische oder ästhetische Bewertung der Serie hinausgehen. Sie führt vor Augen, wie zentrale Begriffe des Jugendschutzes – etwa Altersfreigaben, Alterskennzeichnungen und Altersempfehlungen – fälschlicherweise gleichbedeutend verwendet oder wahrgenommen werden und wie intransparent oft ist, wer die Alterseinstufungen auf welcher Basis eigentlich vorgenommen hat.

Die Altersfreigaben der Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK)

Altersfreigaben für Filme sind in Deutschland eng mit der FSK verbunden, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft. Auf Basis des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) prüft diese auf Antrag und kostenpflichtig filmische Inhalte für die öffentliche Vorführung beispielsweise im Kino sowie für die Verbreitung auf Trägermedien wie DVD und Blu-ray. Die weißen, gelben, grünen, blauen und roten Quadrate mit den Alterskennzeichnungen ab 0, ab 6, ab 12, ab 16 sowie ab 18 Jahren sind ein etablierter und auffälliger Hinweis für die Bewertung der FSK und legen fest, ab welchem Mindestalter ein Zutritt zu Kinovorstellungen oder die Abgabe eines Films im Handel oder Verleih gestattet ist.

Leitend bei der Prüfung ist der Schutzgedanke: "Filme und andere Trägermedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, dürfen nicht zur Vorführung vor oder zur Abgabe an ihre Altersstufe freigegeben werden", heißt es in den Grundsätzen der FSK. Dazu werden die zur Prüfung vorgelegten Werke von Expert/-innen vollständig gesichtet und von personell wechselnd besetzten Prüfungsausschüssen bewertet. Seit 2010 veröffentlicht die FSK ihre Freigabebegründungen für Kinofilme (mit Ausnahme von Titeln ab 18) auf ihrer Website Zum externen Inhalt: www.fsk.de (öffnet im neuen Tab) und macht damit ihre Entscheidungsgrundlage transparent.

Nachdem eine FSK-Freigabe festgesetzt wurde, ist diese verbindlich für alle öffentlichen Aufführungen. Dazu zählen auch schulische Veranstaltungen innerhalb des Klassenverbunds, wenngleich in begründeten Einzelfällen mit Auflagen davon abgewichen werden kann. Bei einer Ausstrahlung geprüfter Filme im Fernsehen bestimmt die FSK-Freigabe, ab welcher Uhrzeit diese gezeigt werden dürfen. Im privaten Umfeld wiederum haben die FSK-Freigaben keine Geltung und es obliegt der Verantwortung von Eltern und Sorgeberechtigten, welche Inhalte sie ihren Kindern zugänglich machen.

Seit langem steht zur Diskussion, inwieweit die 1957 eingeführten Alterskategorien der FSK, die auch im gegenwärtigen Jugendschutzgesetz verankert sind und für alle Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle gelten, heute noch tragfähig sind und zur tatsächlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen passen. Nichtsdestotrotz haben sie sich als sinnvolles Konstrukt erwiesen. Den nötigen Anpassungsspielraum über die gesetzlichen Freigaben hinaus bieten die pädagogischen Altersempfehlungen.

FSK-Altersfreigaben sind keine Altersempfehlungen

Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung handelt es sich bei den Alterskennzeichnungen der FSK ausdrücklich nicht um pädagogische Altersempfehlungen. In medienpädagogischen Publikationen werden daher pädagogische Altersempfehlungen zusätzlich zu den FSK-Angaben genannt und ermöglichen es, eine genauere Einschätzung zur Alterseignung abhängig von der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sowie von der Thematik und Ästhetik einer Produktion vorzunehmen. Pädagogische Altersempfehlungen berücksichtigen insofern, ab welchem Alter die Geschichte und Machart eines Films von dem jungen Publikum verstanden werden kann.

Da Altersempfehlungen – im Gegensatz zu FSK-Freigaben – an kein gesetzlich vorgeschriebenes Altersschema gebunden sind, ist eine feingliedrige Abstufung möglich, die meist in Zweijahresschritten, manchmal sogar in Jahresschritten erfolgt und damit Eltern, Multiplikator/-innen oder jungen Zuschauer/-innen selbst eine möglichst exakte Orientierung bietet. Es gibt in Deutschland keine einheitliche Prüfstelle, die pädagogische Altersempfehlungen festlegt. Je nach Informationsquelle ist es daher möglich, dass die Altersempfehlungen abweichen.

Die Alterseinstufungen der Streamingdienste

Im Laufe der letzten Jahre hat sich das Angebot an Filmen und Serien, die exklusiv auf Streaming-Plattformen zum Abruf bereitstehen und nicht für die öffentliche Aufführung im Kino oder den Vertrieb auf Trägermedien bestimmt sind, erheblich erweitert. Da dort auch für Kinder und Jugendliche ungeeignete Filmangebote rund um die Uhr abrufbar und nicht wie im analogen Fernsehprogramm auf festgelegte Uhrzeiten beschränkt sind, müssen die Anbieter technische Sperren in ihre Systeme einbauen. Die Aufsicht über die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen im privaten Rundfunk und in den Telemedien obliegt gemäß Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Als von der KJM anerkannte Selbstkontrolleinrichtung für Internetangebote wiederum fungiert die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM), der sich Streamingdienste wie Netflix oder Disney+ angeschlossen haben. Die FSM begutachtet die Jugendschutzfunktionen der Plattformen nach deutschem Recht und berät bei Anpassungen für den deutschen Markt. Dazu zählt neben den technischen Sperren auch die Verwendung der etablierten Altersstufen.

Streamingdienste, die in den Bereich der Telemedien fallen, können zwar ihre Eigenproduktionen, oft "Originals" genannt, und Lizenzankäufe sowie andere bislang ungeprüfte Titel der FSK zur Prüfung vorlegen, sind jedoch nicht dazu verpflichtet und können die Alterseinstufung nach eigenem Ermessen vornehmen. Bei Titeln, zu denen bereits eine FSK-Bewertung vorliegt, wird diese in der Regel übernommen.

Alterskennzeichnung ist nicht gleich Alterskennzeichnung

Amazon Prime Video beantragt beispielsweise FSK-Bewertungen für alle Amazon Original Produktionen sowie für exklusiv lizenzierte Titel. Liegen Empfehlungen der Jugendschutzeinrichtungen des Herstellungslandes höher als die der FSK, wird diese höhere Alterseinstufung übernommen. Für weitere in Deutschland noch ungeprüfte Inhalte, die von Drittparteien lizenziert werden, vergibt Amazon ein internes Jugendschutzrating.

Disney+ legt ausgewählte Titel ebenfalls der FSK zur Prüfung vor. Andere Titel, die bisher keiner anerkannten Selbstkontrolleinrichtung vorlagen, durchlaufen einen internen Prüfprozess. Ein in Jugendschutzfragen ausgebildetes Team sichtet die Programme vorab vollständig und kommt in enger Zusammenarbeit mit der Jugendschutzbeauftragten des Unternehmens zu einer Alterskennzeichnung.

Netflix wiederum hält sich bei diesem Thema bedeckt und verweist auf Anfrage lediglich auf die Zusammenarbeit mit der FSM. Von der FSK lässt das Unternehmen seine Original-Produktionen nicht prüfen. Gemäß eigenem Kriterienkatalog spielt vor allem die Häufigkeit etwa von Gewalt, Nacktheit oder obszöner Sprache eine Rolle bei den Einstufungen. Bei der Feststellung dieser Häufigkeiten und Bewertung der Inhalte greift Netflix auf einen Algorithmus zurück. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob qualifizierte Mitarbeiter/-innen die Inhalte auch vollständig vor der Einstufung sichten.

Problematisch ist, dass auf den Streaming-Plattformen nicht sichtbar gemacht wird, um welche Alterskennzeichnung es sich bei dem ausgewählten Titel letztendlich handelt: Ist diese das Ergebnis einer FSK-Prüfung? Wurde sie im Rahmen eines internen Gremiums festgesetzt? Und wenn ja – nach einer vollständigen oder nur auszugsweisen Sichtung, von Mitarbeiter/-innen mit welcher Expertise, nach welchen Kriterien und vor welchem kulturellen Hintergrund? Oder wurde gar eine Voreinschätzung einem Algorithmus überlassen?

Eine Frage der Verantwortung

Sofern Filme und Serien gewissenhaft im Hinblick auf eine Alterskennzeichnung geprüft und bewertet wurden, sind technische Sperren ein wirksames Instrument, um zu verhindern, dass ungeeignete Inhalte von Kindern und Jugendlichen entdeckt und gesehen werden können. Dass Minderjährige Wege finden, sich Material zu beschaffen, das sie unbedingt sehen wollen, aber eigentlich noch nicht sehen sollten, bleibt davon unberührt und ist kein neues Phänomen.

Dass massenhaft Kinder und Jugendliche die von Netflix ab 16 Jahre eingestufte Serie "Squid Game" sehen und gesehen haben, stellt daher kein Versagen der Jugendschutzvorrichtungen des Streaming-Dienstes dar. Die Verantwortung liegt in diesem Fall bei Eltern und Sorgeberechtigten. Sie sind dazu angehalten, die angebotenen technischen Sperren zu nutzen und sich über die Medieninhalte vorab zu informieren und genau abzuwägen, ob diese für ihre Kinder geeignet sind.

Wichtiger Hinweis:

Infokasten
Verlässliche und auf medienpädagogischer Expertise beruhende Altersempfehlungen finden sich auf Zum externen Inhalt: kinofenster.de (öffnet im neuen Tab), bei den Publikationen des Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrums (etwa Zum externen Inhalt: www.kinderfilmwelt.de (öffnet im neuen Tab), Zum externen Inhalt: www.kinofilmwelt.de (öffnet im neuen Tab) oder Zum externen Inhalt: www.kinder-jugend-filmportal.de (öffnet im neuen Tab)) oder in den FilmTipps von Zum externen Inhalt: Vision Kino (öffnet im neuen Tab).