Als die sechzigjährige Putzfrau Emmi an einem verregneten Abend nach einem Unterschlupf sucht, betritt sie eine Kneipe, die vermehrt von Gastarbeitern frequentiert wird. Der aus Marokko stammende, deutlich jüngere Ali spricht sie an, die beiden tanzen unter den skeptischen Blicken der Anwesenden und verbringen schließlich die Nacht miteinander. Aus der flüchtigen Begegnung wird schnell eine Liebesbeziehung: Emmis Einsamkeit nach dem Tod ihres Mannes trifft auf die Einsamkeit Alis, der fernab der Heimat und konfrontiert mit dem Rassismus des deutschen Wirtschaftswunder-Alltags wenig mehr als die Arbeit und das Trinken mit den Kollegen hat. Schon früh zeigt sich, dass die Gesellschaft diese Beziehung nicht tolerieren kann. Die alte Frau und der junge Mann, "eine von ihnen" mit "einem von denen", das ist zu viel des Guten. Dennoch entscheiden sich die beiden zu heiraten. Nach und nach nehmen die Rituale des Ausschließens, des Ächtens, der Druck auf das Ehepaar zu. Emmis Kinder wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben, die Nachbarn drangsalieren ihn und sie, wo sie nur können und der Lebensmittelhändler gegenüber weigert sich gar, Ali zu bedienen.

In der für Rainer Werner Fassbinder typischen Genauigkeit und Insistenz beschreibt "Angst essen Seele auf" die gesellschaftlichen Prozesse und Normierungen, die einen Druck ausüben, unter dem das individuelle Glück zerbricht. Wer glaubt, die Liebe zu einem anderen Menschen könne jenseits der Konventionen existieren, wird schnell eines Besseren belehrt. Schon bevor sich die Familie, die Nachbarn, die Arbeitskolleginnen gegen das Paar wenden, deutet Fassbinder die Abwesenheit von Spielräumen an: Immer wieder verwendet er dazu Rahmungen im Bild (Glossar: Zum Inhalt: Bildkomposition) – Türrahmen, Treppengeländer, Hauswände –, um den Bildraum zu verengen und so sichtbar zu machen, wie klein der Aktionsradius aller Menschen in dieser BRD in Wirklichkeit ist. In keiner einzigen Zum Inhalt: Einstellung des Films tut sich in der Bildtiefe ein Horizont auf, immer sind die Menschen umstellt von Wänden und Gittern, in der Öffentlichkeit genauso wie in den Wohnungen, die doch eigentlich dem Privaten auch einen Schutz bieten sollten.

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Vorlage für "Angst essen Seele" auf waren die Zum Inhalt: Melodramen des von Fassbinder verehrten Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk, besonders "Was der Himmel erlaubt" ("All That Heaven Allows" , USA 1955), der von der gesellschaftlich untragbaren Liebe zwischen einer wohlhabenden Witwe und ihrem Gärtner erzählt. Fassbinder überträgt diese Grundkonstellation auf die deutsche Alltagsrealität der 1970er-Jahre und in das Milieu der kleinen Leute. Die Härte des Systems, das Emmis und Alis Liebe nicht dulden kann, wird dabei immer wieder auch als Kontinuität des Nationalsozialismus sichtbar: In der wiederholten Abwertung Alis (und mit ihm aller Gastarbeiter) als dreckig, minderwertig, unzivilisiert, im Hervorheben der "eigenen" Kultur und Sauberkeit und Überlegenheit, in den flüchtig wiederkehrenden Verweisen auf Adolf Hitler. Gegen Ende scheint es kurz so, als ob der Händler gegenüber, der Sohn, die Nachbarn Emmi und Ali akzeptieren könnten, schnell aber zeigt sich, dass dies immer nur dann der Fall ist, wenn der eigene Vorteil, die Steigerung des Umsatzes in Aussicht gestellt wird.

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