Wenn man auf etwas wartet, scheint die Zeit still zu stehen. So erlebt es auch Cléo, eine aufstrebende Sängerin, an einem Nachmittag im Juni. Das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung steht an und die junge Frau rechnet mit dem Schlimmsten. Erst am Abend wird sie Gewissheit haben. Was also tun in der Zwischenzeit? Cléo geht ins Café, kauft einen Hut, empfängt ihren Liebhaber, probt neue Chansons ein und flüchtet, aufgewühlt durch ein Lied, aus ihrer Wohnung. Ziellos streift sie umher, trifft eine Freundin, schaut einen kurzen Zum Inhalt: Stummfilm (in dem Jean-Luc Godard und Anna Karina ein Zum Inhalt: Cameo haben) und begegnet einem Soldaten auf Fronturlaub, dem sie sich schnell verbunden fühlt. Doch Antoine muss zurück in den Krieg nach Algerien.

Warten mit Cléo

"Cléo – Mittwoch von 5 bis 7" kommt ohne große Ereignisse und klassischen Spannungsbogen aus. Der Film erzählt vom Zustand des Wartens und folgt seiner Heldin durch Bangen und Hoffen. Die Regisseurin Agnès Varda spart dabei das Belanglose und Beiläufige nicht aus: etwa das Verharren der Protagonistin an der Ampel oder ihre minutenlange Fahrt im Taxi, während im Radio Werbeclips und Nachrichten laufen. Cléos Zeiterleben wird für die Zuschauenden zum eigenen Erleben, denn die erzählte Zeit entspricht fast der Erzählzeit – doch wie die Zwischentitel (Glossar: Zum Inhalt: Insert) im Film exakt angeben, sind es etwas weniger als anderthalb Stunden: Der Film beginnt um 17:05 bei einer Wahrsagerin und endet um 18:30 im Garten des Krankenhauses Hôpital de la Salpêtrière.

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Die Kamera als Werkzeug

"Cléo" ist der zweite Film von Agnès Varda. Wie andere Akteure/-innen der Nouvelle Vague war sie Autodidaktin. Allerdings erfolgte ihr Zugang zum Film nicht über Cinephilie und Filmkritik, sondern über die Fotografie. Ihr semi-dokumentarischer (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) Debütfilm "La Pointe-Courte" (1955), in dem sie die Krise eines Paars dem wirtschaftlichen Überlebenskampf der örtlichen Fischer gegenüberstellt, nimmt bereits formale Ideen der Nouvelle Vague vorweg. So begriff sie die Kamera als ein Werkzeug, sich selbst als Autorin mit persönlicher Handschrift. Als "Cinécriture", als Schreiben mit Film, beschrieb Varda ihre Art Filme zu machen.

Varda drehte "Cléo" an Originalschauplätzen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) in Paris. Die Stadt ist nicht bloß Kulisse, sondern spiegelt das Innenleben von Cléo, deren Gedanken aus dem Zum Inhalt: Off zu hören sind. Gleich zu Beginn, als ihr die Karten gelegt werden, wechselt der Film von Farbe auf Schwarz-Weiß (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) – eine Abgrenzung zwischen Prophezeiung und Wirklichkeit. Zum Inhalt: Jump-Cuts und eigenwillige Zum Inhalt: Cadragen lenken den Blick auf die Protagonistin. Die bewegliche Kamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) begleitet die junge Frau, wechselt immer wieder in die Subjektive (Glossar: Zum Inhalt: Subjektive Kamera), um Cléo im nächsten Moment wieder aus der Distanz einzufangen, wie sie durch Paris streift inmitten von Menschen, die ihren alltäglichen Besorgungen nachgehen, Straßenkünstlern zuschauen oder in Cafés sitzen und dort über Privates reden und über Politik diskutieren. Es sind diese zum Teil dokumentarischen Zum Inhalt: Szenen, die besonders unmittelbar wirken und damit Cléos Geschichte in einer realen Welt verorten, im Paris der frühen 1960er.

Eine Frauenfigur mit Widersprüchen

Auch Cléo, die eigentlich Florence heißt, ist nicht als Stereotype angelegt, sondern als komplexe und ambivalente Figur. Sie ist eitel, arrogant und verwöhnt, aber auch charmant, großzügig und liebenswert. Im Laufe des Films entwickelt sie sich von einer Frau, die immerzu betrachtet und bewertet wird und die sich auch selbst immer wieder in Spiegeln anschaut, zu einer Frau, die ihre Rolle ablegt, in die Welt hinausgeht und die Menschen wahrzunehmen beginnt. Sie wird vom Objekt zum handelnden Subjekt. In den Gesprächen mit ihrer Freundin Dorothée und später auch mit Antoine findet sie Selbstgewissheit und die Zuversicht, Leben und Krankheit annehmen zu können.

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