Als Erziehungswissenschaftler und Fußballfan führt Birger Schmidt in seiner Arbeit seit vielen Jahren erfolgreich Sport, Film, Kultur und politische Bildung zusammen: Er ist Initiator und Leiter des seit 2004 jährlich in Berlin stattfindenden internationalen Fußballfilmfestivals 11mm, das der von ihm mitbegründete Sportkulturverein Brot und Spiele e.V. veranstaltet. Zu seinen weiteren Projekten zählt Lehrort Stadion, das sich gezielt der Vermittlung demokratischer Grundwerte an fußballbegeisterte Jugendliche widmet.

Unter dem Podcast finden Sie das Gespräch auch in schriftlicher Form. Der Text weicht von der Hörfassung leicht ab.

Interview mit Birger Schmidt (© kinofenster.de 2022)

kinofenster.de: Hallo und herzlich willkommen zum Podcast über Fußballfilme für Kinder von kinofenster.de: "11 Freunde sollt ihr sein – Fußballfilme für Kinder und Jugendliche." Mein Name ist Anna Wollner und bei mir ist Birger Schmidt, Gründer des Fußballfilmfestivals 11mm. Schön, dass Sie da sind. Was sind die Genres im Fußballfilm, die überwiegen? Wie vielfältig sind die Geschichten, die um den Ball erzählt werden?

Birger Schmidt: Die sind schon recht vielfältig. Einen Großteil unserer Filme finden wir dann doch im Bereich des Zum Inhalt: Dokumentarfilms – schon sehr stark mit dem Thema gesellschaftliches Engagement, sozialkritische Filme, dann klassische Filme über Spieler, Vereine, Trainer, Legenden des Fußballs. Aber im Spielfilmbereich ist mittlerweile alles möglich. Wir haben Splatter-Filme (Glossar: Zum Inhalt: Horrorfilme), wir haben wirklich auch Romantik in den Filmen vertreten, also Komödien. Es ist wirklich breit gefächert.

kinofenster.de: In der medialen Wahrnehmung ist Fußball noch immer ein männerdominierter Sport. Wie stark sind Frauen- und Mädchenfußballfilme vertreten?

Birger Schmidt: Das hat kolossal zugenommen. Das ist wirklich eine sehr schöne Entwicklung. Wir hatten das erste Mal 2011 sowohl in unserem Hauptfestival als auch im Kinder- und Jugendfestival einen Schwerpunkt "Fußball und Frauen, Fußball und Mädchen." Und da war es gar nicht so einfach, Filme zu recherchieren. Das hat sich in der letzten Dekade vollkommen verstärkt. Also gar nicht immer nur zu Großveranstaltungen, sondern das spielt mittlerweile rund um die Bereiche Empowerment und Resilienz gerade bei Akteurinnen eine große Rolle in den Filmen.

kinofenster.de: Eine Mannschaft ist nichts ohne ihre Fans. Was sind Beispiele für Filme über Fans?

Birger Schmidt: Da gibt es einen Klassiker, einen italienischen Film, "Ultras" , der wirklich die Gewaltfaszination von Fußballfans darstellt. Der hat damals für Furore gesorgt ob der brutalen Zum Inhalt: Szenen. Da gab es so einen Fluss von Hooligan- und Ultra-Filmen, Filme aus England oder auch Skandinavien. Nach und nach hat sich das Ganze mehr dazu entwickelt, auch Fußballkultur darzustellen. Beispielsweise, wo kommt so ein Lied wie "You'll never walk alone? her, was gibt es für Geschichten rund um die Fans, die als Ground Hopper unterwegs sind? Ich glaube, dass die Fans mittlerweile viel, viel präsenter und auch vielfältiger gesehen werden als die Leute, die von 15.30 bis 17.15 Uhr im Stadion stehen und grölen. Also, von daher ist es doch eine sehr facettenreiche Geschichte geworden.

kinofenster.de: Ins Stadion gehen, ein Fußballspiel gucken ist das eine, einen Fußballfilm gucken das andere. Für wen werden Fußballfilme gemacht?

Birger Schmidt: Eine schöne Frage, die wir Jahr für Jahr versuchen neu zu analysieren. Es gibt eigentlich keine Konstanz, dass man sagen kann, dass es sich im Laufe der Jahre so entwickelt hat, dass mehr Cineastinnen und Cineasten ins Kino kommen, die mal reingucken wollen, was man eigentlich rund um Fußball für Geschichten erleben kann. Wir haben genauso starke Jahrgänge, wo Leute mit ihren Fanklamotten im Kino sitzen. Das war vielleicht für sie vorher hochschwellig, sich ein Ticket für neun Euro zu kaufen und sich 90 Minuten in den Kinosessel zu setzen, um zu gucken, was erzählt mein Sport eigentlich noch? Und es gibt Leute, die einfach drauf gespannt sind, was es für skurrile Geschichten rund um den Fußball gibt.

kinofenster.de: In vielen Kinder- und Jugendfilmen ist Fußball ein verbindendes Element. Was können Kinder und Jugendliche vom Fußball lernen? Und was aus Fußballfilmen?

Birger Schmidt: Ich glaube, dass der Bereich Teamzusammenhalt, Zivilcourage eine Rolle spielt – einer für alle, alle für einen auf dem Spielfeld, auch bei den elf Spielerinnen und Spielern. Das Engagement, die Liebe, sich für etwas einzusetzen, kann eine große Rolle spielen. Kinder können aber eben auch aus sehr traurigen Geschichten lernen. Beispielsweise wird das Thema Klassismus sehr häufig in Filmen angespielt, dass Kinder aus ärmeren Verhältnissen kommen, wie sie es schaffen, den Sprung über den Sport zu schaffen, größere Anerkennung zu bekommen, aber auch Freundschaften. Aber auch Themen wie Mobbing oder Homophobie oder verschiedenste Diskriminierungsaspekte können in diesen Filmen aufgezeigt werden, sodass man wirklich die Möglichkeit hat, hinterher auch sehr gute Anschlussgespräche zu führen.

kinofenster.de: Die WM in Katar hat begonnen. Viele sehen das Event kritisch. Wie stehen Sie dazu?

Birger Schmidt: Natürlich ist es eine vollkommene Fehlentscheidung, die Weltmeisterschaft nach Katar zu geben oder in ähnliche Länder, wo man weiß, es ist mit allen Schwierigkeiten verbunden und mit starken Menschenrechtsverletzungen. Also, von daher kann auch ich nur auf der Seite sein derjenigen, die sagen: Mensch, man hätte bei der Entscheidung damals sofort "nein" sagen müssen, man hätte mit allen Landesverbänden reagieren müssen und schon da ansetzen müssen, das Turnier zu boykottieren. Jetzt findet es statt und ich kann nur sagen: Ich bin Fußballfan. Das ist eine andere Geschichte. Ich werde jeden Tag denken "Oh, verdammt noch mal, warum findet das gerade dort statt?" Und trotzdem werde ich als privater Konsument nicht derjenige sein, der nicht mal auf die Fernbedienung drücken und sich ein Spiel angucken wird.

kinofenster.de: Natürlich stellt sich die Frage, ob man die Spiele gucken möchte. Wenn nicht, dann bietet es sich doch alternativ an, ins Kino zu gehen. Was ist Ihr persönlicher Fußballfilmtipp?

Birger Schmidt: Mein persönlicher Fußballfilmtipp ist fürs kommende Jahr schon gesprochen. Ein Film über drei herausragende Fußballer von Nottingham Forest (Anm. der Redaktion: John Warrington, "Local Heroes" , GB 2021). Ich bin 1.FC-Köln-Fan und ich habe das größte Leiden meiner Fußballfanzeit bei einem Halbfinale eines Europapokal-der-Landesmeister-Spiels zwischen dem 1. FC Köln und Nottingham Forest gehabt. Der FC spielte in England 3:3, kam zurück als Favorit und es wäre ein leichter Endspielgegner auch gewesen. Das heißt also, wir wären auf der höchsten Treppenstufe gelandet, und verlieren dieses Rückspiel 0:1. Und ein herausragender Spieler war Tony Woodcock, der dann kurz danach vom FC selbst verpflichtet wurde. Und der ist an diesem Film mitbeteiligt und erzählt die Geschichte von Nottingham Forest, die jetzt glücklicherweise wieder in die richtige Richtung gegangen ist. Nach einem Verbleiben in der dritten Liga ist der Aufstieg in die zweite Liga und jetzt sogar die Premier League gelungen. Und es ist für uns immer ein besonderes Bonbon, wenn man Leute aus dem Film oder Fußballbereich einladen kann, die eine tolle Geschichte haben und viel erzählen können.

kinofenster.de: Herr Schmidt, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Sehr, sehr gerne.