Kategorie: Hintergrund
Filme gegen Mobbing: Zwei Pädagogen berichten aus der Praxis
Der Hintergrundartikel beleuchtet, wie Pädagogen Mobbing-Erfahrungen der Schüler/-innen aufgreifen und die dabei entstandenen Kurzfilme für die Präventionsarbeit einsetzen. Eine weiterere Säule der Mobbing-Prävention stellt das Einbinden von Lehrer/-innen und Eltern in die Projektarbeit dar.
Filme liefern nicht nur Anschauungsmaterial, um das Thema Mobbing im Unterricht zu thematisieren. Die Arbeit mit und die Produktion von Filmen kann auch helfen, die Beteiligten für dieses verbreitete, aber oft verschwiegene Fehlverhalten zu sensibilisieren. Durch die filmische Auseinandersetzung können Schüler/-innen und Lehrende, aber auch betroffene Eltern erfolgreich intervenieren, sobald sie erste Anzeichen von Mobbing an der Schule oder im Sportverein bemerken. Dieser Artikel stellt zwei unterschiedliche Projekte vor, in denen Schüler/-innen und Pädagog/-innen Mobbing-Erfahrungen aufgreifen und medial so verarbeiten, dass die dabei entstandenen Kurzfilme für die Präventionsarbeit eingesetzt werden können. Durch die Partizipation der Schüler/-innen gelingt eine Ansprache, die das Interesse Gleichaltriger weckt. Ein Ziel besteht darin, neben den Lehrer/-innen auch die Eltern in die Projektarbeit einzubinden. Hinter diesem Ansatz steht die Idee, dass ein offener Dialog zwischen allen Beteiligten hilft, Mobbing-Vorfälle frühzeitig zu erkennen.
Das Medienkompetenzzentrum Pankow in Berlin (MEZEN) betont in seinem Leitbild die Bedeutung individuellen Lernens. Auch in der Mobbing-Prävention und -Intervention spielt die Stärkung der Schüler/-innen sowie das Arbeiten mit deren individuellen Voraussetzungen eine wichtige Rolle. Medienpädagoge Julian Kulasza, Projektleiter am MEZEN, legt allerdings großen Wert darauf, dass nicht nur Schüler/-innen für das Thema sensibilisiert werden. Zum Angebot des Medienzentrums gehören neben Präventionsworkshops für die Kinder und Jugendlichen auch Elternabende und Lehrerqualifizierungen.
Medienverhalten kritisch reflektieren
Die Workshops "Youthexperts Social Media" und insbesondere "Netkids Pankow", die im Rahmen des bundesweiten Förderprogramms "Peer³" stattfanden, zählen zu den ambitioniertesten Projekten des MEZEN. Zwölf Schüler/innen der fünften und sechsten Klassenstufe der Berliner Paul-Lincke-Grundschule nahmen im Februar 2014 an einer Projektwoche im Rahmen von "Netkids Pankow" teil, während der sie den Umgang mit digitalen Medien und sozialen Netzwerken erlernten. Das Ziel der Initiative "Peer³" bestand darin, Jugendliche zu befähigen, ihr eigenes Medienverhalten, beispielsweise in sozialen Netzwerken, kritisch zu reflektieren, um ihre Erfahrungen später mit Gleichaltrigen teilen zu können. Begleitet von Sozial- und Medienpädagog/-innen erprobten sie den kreativen Einsatz digitaler Medien und erkundeten in einem der Workshops das Thema Cybermobbing. Dabei entstand unter anderem der vierminütige Kurzfilm "Cybermobbing" eines Schülers mit dem Pseudonym MrVerknallt, der beschreibt, wie systematisches Mobbing bei den Opfern zu Suizidgedanken führen kann.
Zeit nehmen für die Mobbing-Prävention
Als großen Vorteil einer Projektwoche hebt Kulasza hervor, dass hinreichend Zeit zur Verfügung steht, um alle Schüler auf den gleichen Stand zu bringen. "Meistens haben die Schulen nur wenig Zeit für die Mobbing-Prävention. Das läuft dann oft auf eine Doppelstunde im Ethikunterricht hinaus", sagt der Medienpädagoge. Bei längeren Workshops sei es dagegen leichter, zunächst grundlegende ethische Werte herauszuarbeiten, die bei Mobbing-Fällen zu kurz kommen. Handlungsbedarf bestehe allemal, da statistisch jeder achte Schüler in Deutschland schon einmal gemobbt wurde. Kulasza wird noch konkreter: "Man kann davon ausgehen, dass in jeder Klasse vier, fünf Kinder sind, denen das bereits widerfahren ist."
Cybermobbing als neue Dimension des Mobbing-Phänomens
Bei den Mobbing-Seminaren arbeiten die MEZEN-Mitarbeiter insbesondere heraus, warum Cybermobbing heutzutage für viele Jugendliche gefährlicher ist als die klassischen Formen des Mobbings. "Die Täter sind anonym, es findet rund um die Uhr statt und das Publikum ist unüberschaubar groß", so Kulasza. Dazu kommt, dass jedes Mobbing in der heutigen Lebenswelt der Kinder einen medialen Anknüpfungspunkt hat: Irgendein Medium ist immer beteiligt. Wenn dann auch die unterschiedlichen Formen von Cybermobbing (die Beleidigung/Drohung, das Anschwärzen, die Ausgrenzung, Stalking, die Annahme fremder Identitäten) erarbeitet sind, beginnt der kreative Teil.
In Kleingruppen entwickeln die Schüler/-innen eigene Geschichten und halten diese in einem Storyboard fest, bevor sie im Plenum diskutiert werden. "Dann dürfen die Gruppen loslegen und mit Digitalkamera, Tablet oder Smartphone kleine Szenen drehen", erklärt Kulasza. "Erfahrene Medienpädagogen begleiten diese Drehs und geben Hilfestellung, wo es nötig ist." Nach den Dreharbeiten werden die Aufnahmen in den Gruppen diskutiert. Beim Zum Inhalt: Schneiden der Zum Inhalt: Szenen können die Schüler noch Verbesserungsvorschläge einbauen. "Am Ende stehen dann meist fiktionale Filmgeschichten, die aber oft einen Funken Wahrheit enthalten."
Die Rolle der Eltern
Zwei Aspekte der Projektwochen sind für Kulasza besonders entscheidend: Mit ihren gewonnenen Erfahrungen können die Schüler/-innen anschließend ihre gleichaltrigen Klassenkamerad/innen aufklären. Außerdem sind die Eltern in die Projektarbeit einbezogen. "Wenn Schüler Medienprodukte erstellen, kommen die Eltern viel eher zur Präsentation oder zum Elternabend. Im Anschluss können wir das Projekt mit den Eltern reflektieren und sie weiter aufklären." Die Eltern spielten für das Gelingen jedes medienpädagogischen Projekts eine große Rolle, denn nur wenn sie diese gut über das Problemfeld Cybermobbing informiert sind, können sie diese im Ernstfall erfolgreich intervenieren. Am MEZEN werden Eltern an themenspezifischen Elternabenden auf die Auswirkungen und Erscheinungsformen von Mobbing im Netz vorbereitet und erhalten umfangreiche Tipps und Infomaterialien. "Wir raten Eltern zur Initiierung von Vertrauensgesprächen mit dem Kind, aber auch zum gemeinsamen Anschauen von kurzen Videoclips."
Mobbing-Dokumentation als Langzeitprojekt
Aber auch die Lehrer/-innen spielen in der Mobbing-Prävention eine wichtige Rolle. Durch den täglichen Kontakt zu den Schüler/-innen stehen sie der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen oftmals näher als die Eltern und können so bei ersten Anzeichen von Mobbing, beispielsweise wenn ein Kind in der Gruppenarbeit ausgegrenzt wird, rechtzeitig intervenieren. An der Friedrich-Ebert-Schule (FES) in Gießen entstand 2012 auf Initiative der Film-AG ein Filmprojekt, das sich dem Thema Mobbing in der Schule widmete. Unter Leitung des Rektors Sascha Ruhweza realisierte die Film- und TV-AG der Gesamtschule in monatelanger Arbeit die Dokumentation "Mobbing – erkennen, verstehen, handeln" . Betreut hat die Dreharbeiten die Schulpfarrerin Sigrid Failing, die durch ihre langjährige Erfahrung als Aggressionsberaterin eine Schlüsselfigur des Projekts wurde. Einen "langsamen Mord an der Seele eines Schülers oder einer Schülerin" nennt die Theologin das Mobbing-Problem.
"Wir wollten nicht einfach nur einen Film über Mobbing machen, sondern auch das Problem verstehen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen", erklärt eine der zwölf beteiligten Schülerinnen und Schüler im Film. Über Monate arbeiteten sie an dem Projekt, befragten Wissenschaftler/-innen, Experten, Polizisten, Lehrer/-innen, Schulleiterin und Schulsprecher/-innen und kombinierten deren Aussagen mit Spielszenen, um typische Verhaltensweisen von Täter/-innen, Mitläufer/-innen, Möglichmachern und Opfern zu veranschaulichen.
Selbst kein Mittäter werden
In einer Zum Inhalt: Szene schlurft ein Junge mit hängenden Schultern durch den Schulgang, während Mitschüler/-innen tuscheln. Auf seinem Rücken haftet ein Papier mit der Aufschrift: "Ich bin ein Opfer." Ein anderer Schüler filmt das Geschehen und stellt das Video später online. Als über Facebook gehässige Kommentare bei dem Jungen eingehen, dreht sich die Opferspirale immer schneller. Ans Ende ihres Films haben die jungen Filmschaffenden eine klare Botschaft gestellt: "Seid keine Mittäter!"
Kompetenzen in der Mobbing-Prävention
Der fertige Film ist nach seiner Premiere im Rathaus auch in der Gesamtschule vorgeführt worden und sogar mehrmals im Offenen Kanal Gießen gelaufen. Zudem gewann er einen Preis des Arbeitgeberverbands AGV für das zweitbeste Schulprojekt der Region. "Wir setzen den Film an der Schule im Bereich Prävention ein, interessierte Gruppen können ihn auch über die Mediathek Hessen abrufen", erläutert Ruhweza.
Ein wertvolles Ergebnis ist laut Ruhweza, dass die Arbeit an dem Projekt die AG-Mitglieder zum "strukturellen Denken" veranlasst hat: "Sie mussten in der Vorbereitung und Umsetzung reflektieren lernen: Was wollen wir zeigen und wie? Wie erklären wir Mobbing? Was fragen wir wen vor der Kamera?" Was das Wissen über das Thema Mobbing angeht, waren die Schüler der AG ihren anderen Mitschüler hinterher um "Meilensteine" voraus. Seitdem sei die soziale Kompetenz im Umgang mit Mobbingfällen an der Schule deutlich gestiegen.