Das Kino wird zum Klassenzimmer – nach diesem Prinzip finden seit 2006 jährlich die SchulKinoWochen statt, die von Vision Kino – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz veranstaltet in allen 16 Bundesländern angeboten werden. Für die Dauer von einer oder mehreren Wochen können Lehrende mit ihren Schulklassen speziell für den Unterricht ausgewählte Filme in nahegelegenen Kinos sehen. Das Angebot umfasst neben aktuellen Kinofilmen auch Klassiker der Filmgeschichte und richtet sich an unterschiedliche Altersgruppen und Schularten. Zu allen Programmfilmen sind pädagogische Begleitmaterialien zur Vor- und Nachbereitung online abrufbar. Das Netzwerk für Film- und Medienkompetenz arbeitet bei der Organisation und Durchführung der SchulKinoWochen mit regionalen Projektbüros und über 850 Kinos zusammen. Zusätzlich werden in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein in größerem Umfang auch mobile Filmbildungsangebote in ländlichen Regionen ohne Kino angeboten. Finanziert wird das Filmbildungsangebot durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, die Filmförderungsanstalt und die beteiligten Bundesländer. Weitere Partner kooperieren mit Vision Kino im Zusammenhang mit gesonderten Programmangeboten. Für die Realisierung von Lehrerfortbildungen, Kinoseminaren und thematischen Sonderprogrammen mit Klassikern ist die Bundeszentrale für politische Bildung wichtigste Partnerin. Für kinofenster.de hat Michael Jahn, Projektleiter der SchulKinoWochen bei Vision Kino, Fragen zum Thema Filmbildung in ländlichen Regionen beantwortet.

Was versteht Vision Kino unter Filmbildung?

Filmbildung ist für Vision Kino vor allem die Kompetenz, audiovisuelle Angebote zu verstehen, zu analysieren und zu bewerten. Bei den SchulKinoWochen verbinden wir diesen Filmbildungsansatz mit dem Kino als Ort einer besonderen ästhetischen Erfahrung.

Warum ist Filmbildung auch oder gerade im ländlichen Raum wichtig?

Film und Kino gehört zu einer lebendigen Kultur und aus unserer Sicht zur kulturellen Grundversorgung. Die Wertschätzung für einen Film als Werk benötigt eine solide Filmbildung. In dünn besiedelten Gebieten ist die Zahl der kulturellen Angebote eher gering. Filmbildung stellt ein Förderinstrument der kulturellen Bildung dar, das das Leben auf dem Land bereichern und ergänzen kann.

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Angebot?

Mit den SchulKinoWochen wollen wir vor allem ein Angebot schaffen, das Lehrerinnen und Lehrer motiviert, den Kinofilm als audiovisuelles Kunstwerk im Unterricht zu behandeln und hierfür den Ort der bestmöglichen Rezeption zu nutzen – den Kinosaal. Die Kinos stehen auch für eine kulturelle Vielfalt. Sie gehören gerade im ländlichen Raum zu den selten gewordenen kollektiven Räumen, wo sich Kulturschaffende und Publikum begegnen können, wo es Diskussionen gibt, wo Meinungen geäußert werden und wo Ideen Gestalt annehmen. Kino ist demnach ein gemeinsames Kulturerlebnis an einem in der Fläche verfügbaren sozialen Treffpunkt. Dieses Potenzial wollen wir im Rahmen unseres Angebots nutzen, um fehlende kulturelle Impulse zu ersetzen. Die kostengünstigen Kinoveranstaltungen stellen ein niedrigschwelliges kulturelles Angebot dar, gemeinsam Filme zu sehen, die in ihrer Ästhetik oder Thematik jenseits reiner Unterhaltung liegen. Die filmpädagogischen Referenten und Referentinnen, die das Gespräch über den Film anleiten, befähigen die Schülerinnen und Schüler darin, filmkompetenter zu werden, ihren Horizont zu erweitern sowie den Blick für audiovisuelle Erzeugnisse zu schärfen und Film als Kunstform für sich zu entdecken.

Mit welchen besonderen Angeboten erreicht Vision Kino Lehrende und Filmpädagogen/-innen jenseits der Metropolen und Ballungsgebiete?

Ein Kino ist für viele Schulen der nächstgelegene Kulturort. Mit den SchulKinoWochen sind wir zum Großteil außerhalb der Ballungsgebiete präsent. Vom Inselkino auf Borkum, über das Clubkino in der Mecklenburgischen Seenplatte, das Kinocenter in Bebra bis hin zum Kurfilmtheater Oberstdorf. Doch es bleibt nicht bei den Filmvorführungen allein: Wir schaffen, unterstützt durch zahlreiche Filmreferentinnen und -referenten, Gesprächsangebote direkt im Kino – und nicht zuletzt schicken wir auch Filmschaffende und hochkarätige Gäste aufs Land. In diesem Jahr besuchte beispielsweise Michael "Bully" Herbig eine Schulkinovorführung in der hessischen Kleinstadt Nidda. Demnach kommen wir mit unseren Angeboten den Lehrenden im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich weit entgegen. Der weite Weg in die nächste Großstadt entfällt. Dadurch wird die Akzeptanz innerhalb der Schule – Stichwort Zeitaufwand – sowie die Akzeptanz bei den Eltern erhöht.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf Filmbildung im ländlichen Raum?

Als Angebot, das vor allem mit Kinos kooperiert, müssen wir natürlich schauen, dass die Kinos in der Fläche erhalten bleiben. Hier ziehen glücklicherweise die Förderer aus Bund und Ländern gemeinsam an einem Strang, so dass Vision Kino aktuell nicht mit einem Kinosterben rechnet. Ich gehe davon aus, dass die Kinos demnach auch künftig über entsprechende Ressourcen verfügen, um attraktive Schulkinoangebote zu realisieren. Etwas schwieriger sieht es auf Seiten der Lehrenden aus: Da sie im Rahmen ihres Studiums meist nur marginal mit Methoden der Filmvermittlung vertraut gemacht wurden, müssten sie aktiv vor Ort unterstützt werden. Unterstützungsangebote, etwa Fortbildungsmöglichkeiten oder ausgebildete Expertinnen und Experten vor Ort, sind aber auf dem Land kaum vorhanden. Das ist ein krasser Unterschied zu den Großstädten, der allerdings durch ein vermehrtes Angebot von Online-Fortbildungen oder durch Skype-Gespräche im Kino gemildert werden kann.

Stichwort: Digitalpakt/digitaler Wandel: Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die zukünftige Entwicklung im ländlichen Raum ein?

In der schulischen Film-Bildung stellt die Digitalisierung eine Chance dar. Der einfachere Zugang zu innovativem Bewegtbildmaterial, zu Fort- und Weiterbildungsangeboten und interaktiven Lernmitteln im Klassenzimmer verändert und bereichert den Unterricht. Lehrende erhalten leichter Zugang zu Filmen oder Streaming-Möglichkeiten und nutzen Online-Medien zur Arbeit an unterrichtsrelevanten Themen. Kinos können von der Digitalisierung profitieren, zum Beispiel durch eine digitale Anlieferung der Filme via Breitbandleitung. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass Streaming-Dienste die Existenz vieler Kinos gefährden könnten. Umso wichtiger erscheint es, Filmbildungsangebote in Kinos zu verstetigen und ihre Attraktivität zu steigern, um das Kino als originären Rezeptionsort für Film für nachfolgende Generationen zu etablieren und als kulturellen Ort positiv zu besetzen. Wer nicht weiß wie anders es ist, einen Film im Kino zu sehen als allein am Computer oder am Handy, vermisst das auch nicht.