Kategorie: Podcast
"Die Macht, die Bilder haben, muss man ihnen erst geben"
Klaus Lemke hatte als junger Filmregisseur "kein Geld, aber beste Laune". Im Interview erzählt er von der Haltung, vom Lebensgefühl und Aufbruch der Filmschaffenden in den späten 1960er-Jahren.
Klaus Lemke, geboren 1940, gehörte in den 1960er-Jahren zur Generation des "Jungen Deutschen Films" sowie zum Umfeld der sogenannten Münchner Gruppe zusammen mit Filmschaffenden wie May Spils, Werner Enke und Rudolf Thome. Er hat über vierzig Langfilme realisiert, dreht bis heute unabhängig von Filmförderung und TV-Anstalten und arbeitet meist mit Laiendarsteller/-innen.
Im folgenden Audio-Interview erzählt Regisseur Klaus Lemke von seinen Erinnerungen an das Jahr 1968, seinem Film "Brandstifter" (BRD 1969) und von der Macht der Bilder. Das Gespräch wurde im Rahmen der Filmreihe "Ruhestörung – Leinwand in Revolte" geführt, die die Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2008 im Amerika Haus Berlin veranstaltete.
Hier können Sie das Gespräch nachlesen:
Sprecherin: Dieses Gespräch wurde anlässlich der Filmreihe "Ruhestörung – Leinwand in Revolte" geführt. Die Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung fand im Jahr 2008 im Berliner Amerika-Haus statt. Klaus Lemkes Film "Brandstifter" eröffnete das Programm, das mit Filmen aus den Jahren 1967 bis 1970 einen cineastischen Umbruch der späten 1960er-Jahre erinnerte. Im Gespräch blickt der Regisseur auf diese Zeit und seien für den WDR gedrehten Film zurück. Das Interview führte Andreas Resch.
bpb.de: Ich begrüße den Filmemacher Klaus Lemke. Herr Lemke, danke, dass sie gekommen sind. Wie haben sie die Zeit um 1968 herum erlebt?
Klaus Lemke: Betrunken, stoned und ohne Geld, aber mit wirklich fabelhafter Laune, weil – ich will ja nicht gleich wortwörtlich werden –, aber die Macht die Bilder haben, die muss man ihnen geben erst. Und wir wurden damals überschwemmt mit Bildern aus Amerika, aus Berkeley, wo hübsche Mädchen im Strahl der Wasserwerfer und überall Tränengas – und das Entscheidende war: Die Mädels liefen oben ohne rum. Das haben wir gesehen. Dann haben wir gehört, dass in Vietnam zwei Drittel aller Soldaten auf Drogen sind und dass Amerika im Drogenrausch untergehen würde. Da wären wir auch gerne im Drogenrausch mit untergegangen. Im selben Moment. Das war die Darkrooms unserer Seele. Da waren wir Flieger, die von amerikanischen Flugzeugträgern abgeschossen wurden und ihre Bomben über Vietnam abgeladen haben mit diesen geilen Bildern, wie die runterfallen. Das ist auch in meinem Film drin. Das waren die Darkrooms. Und tagsüber oder abends, sind wir dann, vom Bier schön angetrunken, zu Springer gelaufen und haben paar Steinchen geworfen. Da war endlich mal was los in diesem langweiligen Leben in den 60er-Jahren. Und das andere Bild, das uns alle sehr geprägt hat, war Bob Dylan. Das war dieser Bob Dylan. Das sah immer so aus, als hätte er tausend Wörter im Mund und einen nach den anderen würden die aus dem Mund rausfallen. Und es waren immer noch tausend Worte da, und es war so wenn er sprach, als würde die Sprache selbst sprechen. Und das war der stärkste Eindruck, den wir überhaupt je kulturell bekommen haben, dieser Bob Dylan mit seiner Art, wie die Worte aus seinem Mund fallen. Trotzdem haben wir diese einmalige Chance verloren, vielleicht ein bisschen Anschluss zu finden an die angelsächsische Welt, weil eigentlich hätte man eine Rufumleitung machen müssen vom Kopf in den Instinkt.
bpb.de: Sie haben sich im Nachhinein später trotzdem häufig kritisch den 68ern gegenüber geäußert. Wie sehen Sie denn die Folgen oder die politischen Auswirkungen? Sehen Sie diese kritisch oder doch überwiegend positiv?
Klaus Lemke: Das waren alles Abiturienten und Spinner. Und politische Auswirkungen – das sind alles Erfindungen von Redakteuren, die ihre Jugend nochmal aufbeben, sodass … Es gibt keine politischen Reaktionen. Das waren nicht wir, die das gemacht haben, das waren die Franzosen. Die haben, da war ich dabei, das Festival in Cannes einfach unterbrochen. In Berlin, die Berlinale, lief wie immer weiter. Das waren die Amerikaner in Berkley und das waren die Rolling Stones in England. Das war die Revolution und wir waren, wie üblich, die abgehängten Außenseiter und alles was darüber geschrieben wird, kommt aus dem Gruner-und-Jahr-Retro-Knast und ist wirklich reine Science-Fiction.
bpb.de: In Ihrem Film "Brandstifter" beziehen Sie sich auf den Kaufhausbrand in Köln. Was war die Motivation? Wie sind Sie auf das Thema gekommen? Was wir Ihnen da wichtig?
Klaus Lemke: Ich habe damals mit Baader und Söhnlein zusammengelebt und kannte die. Und das waren die anderen jungen Alkoholiker um uns herum. Wir haben Filme gemacht, die haben eigentlich nur Quatsch geredet und die wollten auch gerne, dass die Worte so aus ihrem Mund rausfallen. Deswegen haben sie irgendwie Marcuse auswendig gelernt, ohne auch im Geringsten darüber nachzudenken, was da steht. Nur so. Damit so aus dem Mund rauspurzelt. Und so habe ich das erlebt. Ich habe die Leute erlebt vor der Kaufhausbrandstiftung. Ich hätte nie gedacht, dass das jemals Kriminelle wären. Dafür waren sie mir einfach zu … wie können die Söhne von Pfarrern, von schwäbischen Pfarrern, Kriminelle werden? Das ging mir absolut nicht in den Kopf. Sie sind es geworden.
bpb.de: In "Brandstifter" ist das so, dass die Männer weitgehend Reden schwingen und über Zeichensetzung auf irgendwelchen Pamphleten diskutieren und die Frau, Anka, handelt. Steckt da eine generelle Sicht dahinter? Oder beschränkt sich diese Darstellung sozusagen auf diesen Film?
Klaus Lemke: Ja, das erstaunt mich auch, dass ich das damals schon gesehen habe. Selbst damals waren die Jungs schon total vermädelt. Heute ist eigentlich der Fall gänzlich hoffnungslos. Heute könnte man eine ganze Generation in die Wüste schicken und das würde keinem Menschen auffallen. Weil, die Mädels haben die Macht übernommen und die Jungen sind die Pflaumen geworden. Damals ging das mal los.
bpb.de: Und wie ist das jetzt heute? Der Film wird ab und zu auf Festivals oder auf Retrospektiven gezeigt. Wie ist die Wahrnehmung jetzt? Würden Sie sagen, das ist mehr so ein historischer Blick oder was sagen Ihnen die Leute, die den Film heute gucken?
Klaus Lemke: Also jetzt ist es so, dass das der einzige authentische Film ist über diese Zeit. Denn alle anderen Filme über Baader-Meinhof sind danach gedreht worden, als man wusste, wie es ausging. Dieser Film wurde zu einem Zeitpunkt gedreht, wo niemand wusste, wie es weiterging. Insofern ist er unendlich authentischer als all das, was danach kam. Diese Meinung hat sich jetzt auch – dank eines Vortrags von Herrn Reemtsma in Hamburg, den alle Zeitungen gedruckt haben, der Baader-Meinhof am Anfang eben auch als größenwahnsinniger Spießer und Suffköpfe begriffen hat. So wie das mein Film auch tut. Das ist inzwischen, was vorher ganz allein meine Meinung war, Mainstream und insofern ist aus "Brandstifter" plötzlich ein richtiger Film geworden. Ich kann darüber nur staunen, dass der jetzt in Amerika-Haus läuft – dem Amerika-Haus, das wir früher stürmen und die Fahnen herunterreißen wollten. Aber, tja, jetzt läuft "Brandstifter" hier.