Frau Mikesch, Sie haben ihre Filme von Anfang an selbst produziert. Warum?

Elfi Mikesch: Ja, denn was gab es damals? Es gab die kommerziellen Produktionen, aber wir Newcomer, die wir andere Filme machen und unsere eigene Sprache finden wollten, sind nicht berücksichtigt worden. Die Filmgeschichte wollte in gewisser Weise neu erfunden werden. Wir haben das gemacht. Besonders die Frauen, die gesagt haben, wir können diese alten Muster nicht mehr nachmachen, das ist unzureichend. Was ist der sogenannte männliche Blick oder der weibliche? Das hat sich dann auch wieder aufgelöst, aber erst mal musste das so plakativ in den Raum gestellt werden, um überhaupt zu erkennen, was sich da ausdrückt.

Kerstin Polte: Ich glaube, in gewisser Weise muss jeder im Zuge seines Filmstudiums herauszufinden, welche Perspektive man ganz spezifisch als Mensch einnimmt – auch fernab von Frau oder Mann. Was sind die Geschichten, was ist der Inhalt, wie will ich das ausdrücken, was will ich wie sprengen? Heutzutage haben wir Vorbilder - weibliche Blickwinkel und Protagonistinnen, an denen wir uns abarbeiten können. Was du erzählst, Elfi, ein weißes Blatt vor sich zu haben, klingt nach einer tollen und energetischen Zeit.

Elfi Mikesch: So ist es. Das weiße Blatt aber hatte Flecken – und die sind sehr bedrohlich gewesen. Die Nachkriegszeit und damit der Blick auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und seinem Erbe. So formulierte sich in den Filmen der Widerstand. Es hieß, nicht mehr denselben Fußspuren und bestimmten Traditionen folgen zu können, sondern sich nicht anzupassen und Experimente zu wagen, andere Formen zu finden. Wichtig, auch Frauenbilder neu zu denken. Für mich waren Biografien interessant, die entsprechende Fragen und Bilder zum Beispiel im Zum Inhalt: Dokumentarfilm öffneten. "Ich denke oft an Hawaii" , mein Film, der die Geschichte einer allein erziehenden Mutter mit ihren zwei Kindern erzählt, oder "Was soll'n wir denn machen ohne den Tod?" – Geschichten aus einem Altersheim. Mein Film "Fieber" aus dem Jahr 2004 hat einen biografischen Hintergrund: die Familie, der Krieg und koloniales Erbe. Es ist nach wir vor wichtig, dass vorhandene Schranken überwunden werden, besonders jetzt, wo wir in einer Welt leben, die von uns selbst stark bedroht ist. Wir können viele Probleme nicht lösen, wenn ungerechte Verhältnisse, etwa für Frauen, noch immer als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Das hat Konsequenzen für jede Gesellschaft.

Kerstin Polte: Es geht um Bewusstsein und Vielfalt. Man muss den Raum öffnen für die gesamte Vielfalt, die sich noch nicht in Geschichten und Filmen wiederfindet. Es ist erst einmal gut, mit den Frauen anzufangen, aber es geht noch weiter. Sonst ist man in der Diktatur der Mehrheit. Das Fernsehprogramm ist sozusagen die Diktatur der heteronormativen Mehrheit, die uns vorsetzt, was Realität ist. Wir müssen immer die Minderheit und nicht die Mehrheit bedenken. Denn wie soll uns das Fremde vertraut werden, wenn wir es nicht sehen?

Frau Mikesch, was waren damals die wichtigsten Themen für Sie und andere Filmschaffende?

Elfi Mikesch: Das war ganz universell: das Leben, das Sterben, die Liebe, die Leidenschaft, der Krieg. Damals war es ja ganz wichtig, sich zum Beispiel gegen den Vietnamkrieg zu stellen.

Kerstin Polte: Ich glaube, insgesamt sind wir heute unpolitischer. Na klar, es geht immer noch um Liebe, Tod und Teufel, aber es wird ganz oft in eine Beziehungsthematik reingeschaut. Wir stellen die Frage: Bin ich noch Herr meiner selbst in diesem Leben, was so schnell geworden ist?

Welche Rolle spielen die Filme der ersten Generation von deutschen Regisseurinnen heute noch für die junge Generation, zum Beispiel in der Ausbildung?

Kerstin Polte: An der Uni habe ich so gut wie nie Filme von Frauen gesehen. Vielleicht mal "Das Piano" (1993) von Jane Campion. In der klassischen Filmhochschule und der dort unterrichteten klassischen Filmgeschichte existierte das Filmschaffen von Frauen ebenso wenig wie der Experimentalfilm. Chantal Akerman zum Beispiel habe ich mir privat erschlossen. Aber Filmgeschichte ist für mich sehr wichtig. Ich habe ein breites Fundament, auf dem ich mein eigenes Filmschaffen aufbaue. Ich glaube, man muss immer wissen woher man kommt, um zu wissen, wohin man geht. Auch wenn das abgedroschen klingt.

Und wie geht es Ihnen, Frau Mikesch, wenn Sie auf die Filme der heutigen Generation schauen?

Elfi Mikesch: Unlängst hat mir Michael Bertl von der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin dffb Zum Inhalt: Plansequenzen gezeigt, die die Studentinnen und Studenten gemacht haben. Da habe ich mich sehr zu Hause gefühlt. Wege, wie Geschichten erzählt werden, eine Dramaturgie, die Menschen berührt – ich glaube, das bleibt gleich. Aber dann gibt es natürlich andere Methoden und Spielarten. Die jungen Leute müssen heute all das abtragen, was an Ignoranz, Profitgier und Dummheit passiert, so wie wir damals mit dem Krieg, dem Faschismus und der Nachkriegszeit konfrontiert waren. Und wir können voneinander lernen – aus der Geschichte mit unserem Gedächtnis. Das wünsche ich mir, wenn ich mit dir, Kerstin, über deine Produktionen spreche.

Kerstin Polte sprach von der Filmhochschule. Wie war Ihr Ausbildungsweg, Frau Mikesch?

Elfi Mikesch: Das ist schnell gesagt: Ich bin Autodidaktin. Ich hatte eine kaufmännische, eine fotografische und eine kosmetische Ausbildung. Eigentlich wollte ich Maskenbildnerin werden, weil ich dachte, damit könnte ich schnell und unkompliziert Geld verdienen – was ein Irrtum war. Die Fotografie habe ich vernachlässigt, weil sie, so wie ich sie gelernt habe, für mich wenig reizvoll war. Ich habe dort nichts gelernt, was die künstlerische Ebene betraf. Die Filmkamera war dann eine folgerichtige Geschichte aufbauend auf der Fotografie. Ich hab es aber nicht vorher gekonnt, sondern währenddessen gelernt. Und am meisten habe ich gelernt, als ich an der dffb selber ein Seminar gegeben habe.

Ich empfinde die Filme aus Ihrer Generation, Frau Mikesch, formalästhetisch häufig mutiger als aktuelle Filme. Was glauben Sie, woran das liegt?

Elfi Mikesch: Heute wird ja alles gekonnt. Es gibt die Möglichkeiten, alles zu lernen. Bei uns war das anders. Wir wollten den Film neu erfinden. Zu meiner Zeit wurde alles vom Tisch geräumt und noch mal von vorne angefangen. Das sieht natürlich ungehobelt und grob aus, weil es nicht das Angepasste, das bereits Bekannte ist.

Kerstin Polte: Ich glaube, viele Frauen wollen heute besser sein als Männer, den Erwartungen von außen noch perfekter entsprechen und weniger ausbrechen als kommerziell und unterhaltsam sein. Heute gibt es einen ganz anderen Quotendruck und die Selektion der Stoffe wird viel stärker von Redaktionen beeinflusst. Da ist viel Kalkül und Zielgruppendenken dabei, das auch schon an den Filmhochschulen gelehrt wird. Dadurch wird es eher subversiv. Ich kenne einige Frauen, die zwar eine "adrette" Form wählen, darin aber andere Themen verstecken. Und trotzdem geht es immer noch darum, mit den Bildern die Gesellschaft zu verändern. Das kommt vielleicht nicht so laut daher, aber wenn man genauer hin sieht, entdeckt man es.