Kategorie: Filmbesprechung
"Hive"
Zgjoi
Eine Kosovarin, deren Mann seit dem Krieg verschollen ist, beginnt zu arbeiten und wird dafür von ihrem konservativen Umfeld abgelehnt.
Unterrichtsfächer
Thema
Fahrije lebt mit Tochter, Sohn und dem im Rollstuhl sitzenden Schwiegervater in einem Bergdorf im Kosovo (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), wo sie mit einer Bienenzucht das bescheidene Familieneinkommen bestreitet. Seit sieben Jahren wird ihr Ehemann Agim vermisst. So wie ihr geht es etlichen Frauen in dem Dorf: Ihre Männer sind im Kosovo-Krieg von 1998/99 getötet worden oder seither verschollen. Und die Suche der Behörden nach den Vermissten kommt nur schleppend voran. Als sich die Herstellung von Honig nicht mehr rentiert, ergreift Fahrije die Initiative, macht den Führerschein und gründet mit ihrer älteren Freundin Nazmije eine kleine Genossenschaft von Frauen, die landestypische Lebensmittel wie Ajvar, eine Paste aus Paprika, herstellt und vertreibt. Mit ihrer emanzipatorischen Initiative stoßen die Frauen auf heftige Abwehr in den eigenen Familien und der konservativen Dorfgemeinschaft. Doch Fahrije und Nazmije geben nicht auf und gewinnen nach ersten Verkaufserfolgen im Kosovo und sogar im Ausland viele weitere Witwen und Frauen von Vermissten, die sich ihrem Projekt anschließen.
Die Spielhandlung lehnt sich an den realen Fall von Fahrije Hoti an, die im Kosovo-Krieg mit ihren beiden Kindern zeitweise nach Albanien flüchtete und 1999 in ihr zerstörtes Dorf zurückkehrte, in dem serbische Einheiten ein Massaker verübt hatten. Der ruhige Erzählstil des Erstlingsfilms von Blerta Basholli mutet mit seiner sparsam eingesetzten Musikbegleitung (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) fast dokumentarisch (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) an, die aufmerksame Handkamera (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) beobachtet die leise Revolte der Protagonistinnen gegen das traditionelle Rollenverständnis ebenso geduldig wie diese an ihrem Vorhaben festhalten. Mit sanfter Melancholie hält die Regie auch die stoische Gelassenheit der Heldin fest, die die ungerechten Vorwürfe sogar ihrer eigenen Kinder aushält, die die patriarchalischen Wertvorstellungen verinnerlicht haben. Die Kamera offenbart aber auch die unfassbaren Schrecken des Krieges, wenn Fahrije auf einem Lastwagen Säcke öffnet, die die aufgefundenen sterblichen Überreste von Vermissten enthalten.
Im Fach Sozialkunde bietet es sich an, das Spannungsfeld zwischen patriarchalischen Strukturen, generationenübergreifender Trauerarbeit und weiblichem Emanzipationsstreben zu beleuchten. Warum erwartet die konservative Dorfgemeinschaft von den Witwen, dass sie im Haus bleiben, von Sozialhilfe leben und jahrelang auf die Rückkehr ihrer Männer warten, die wahrscheinlich längst tot sind? Der soziale Aufstieg der Jungunternehmerin Fahrije erweist sich als packende Erfolgsgeschichte Made in Kosovo. Inwieweit kann sie als Vorbild für andere Frauen dienen, sich von männlicher Fremdbestimmung zu lösen und ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen? Im Fach Politik liefert der Film Ansatzpunkte, um die Spätfolgen des Kosovo-Krieges (1998/99) zu analysieren, der erst durch das Eingreifen der NATO beendet wurde. Bis heute weigert sich die serbische Seite, den Verbleib der vermissten (und mutmaßlich getöteten) kosovo-albanischen Männer aufzuklären. Inwiefern behindert das die Aussöhnung und die politische Weiterentwicklung auf dem Westbalkan?