"Jäger und Sammlerinnen" – Viele Kinder lernen so heute noch, dass es seit Beginn der Menschheitsgeschichte einen bedeutenden Unterschied zwischen den Geschlechtern gegeben habe: Die Männer haben mit erlegtem Wild die Familie ernährt, während die Frauen Beeren sammelten. Ist dies auch die evolutionsbiologische Erklärung für Unterschiede in Arbeitsarten und damit auch Löhnen? Nein, schon die Annahme der damaligen geschlechtsspezifischen Unterschiede im Jagen und Sammeln sei ein Konstrukt der jüngeren Forschungsgeschichte, sagen viele Anthropologen/innen heute.

Lohnunterschiede in Deutschland

In der Wissenschaft mag diesbezüglich ein Denkwandel eingesetzt haben, doch in der heutigen Arbeitswelt gibt es immer noch unübersehbare Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. So liegt der unbereinigte "Gender Pay Gap", also der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, in Deutschland bei rund 23 Prozent. "Während Frauen im Jahr 2006 einen Bruttostundenlohn von 13,91 Euro erzielten, belief sich der Durchschnittsverdienst der Männer auf 17,99 Euro", heißt es dazu in der jüngsten Studie (Oktober 2010) des Statistischen Bundesamtes.

Ost und West im Vergleich

Der Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland bringt dabei ein überraschendes Ergebnis: Die unbereinigte Lohnlücke im früheren Bundesgebiet liegt bei 24 Prozent, in den neuen Bundesländern lediglich bei sechs – bei allgemein immer noch niedrigeren Löhnen in der ehemaligen DDR. Der bereinigte Verdienstunterschied, bei dem nur Frauen und Männer mit gleicher Qualifikation und Tätigkeit miteinander verglichen wurden, zeigt jedoch ein anderes Bild: In den alten Bundesländern sind es dann durchschnittlich nur noch acht Prozent, in den neuen dagegen zwölf. Frauen in Ostdeutschland schneiden im direkten Vergleich mit männlichen Kollegen demnach sogar schlechter ab. Bezieht man also Merkmalsunterschiede zwischen Männern und Frauen in die Berechnung mit ein, schrumpft der Lohnunterschied im gesamtdeutschen Durchschnitt von 23 Prozent auf die Hälfte zusammen.

Qualifikation macht sich bezahlt

"Das häufig genannte eine Viertel an Lohnunterschied sagt eigentlich nicht viel aus", erklärt Christina Anger vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Das sei nur ein grober Durchschnittswert. Anger teilt die Unterschiede in sechs Kategorien: Bildungsstand, Erfahrung, Auszeiten, Branche, Unternehmensgröße und Verantwortung im Job. "Männer sind häufig besser ausgebildet", erklärt sie. "Aber dieses Merkmal wird an Bedeutung verlieren, weil die jüngeren Frauen inzwischen ebenso qualifiziert sind wie die Männer." Auch Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit seien eine wichtige Kategorie: "Hier spielen Auszeiten, die Frauen häufig wegen Kindern nehmen, eine Rolle", erläutert Anger. Dazu komme, dass Frauen nach der kinderbedingten Auszeit häufig auch nur in Teilzeit zurückkommen. Nicht zuletzt hätten immer noch die unterschiedlichen Branchen, Unternehmensgrößen und Positionen einen großen Einfluss auf die durchschnittlichen Lohnunterschiede. Männer arbeiten häufiger in technischen Berufen. "Und wir sehen ja gerade in der Fachkräftemangel-Debatte, wie begehrt diese sind", so die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Kaum Unterschiede?

Christina Anger kommt zu dem Schluss: Wenn man diese Unterschiede berücksichtige und Frauen und Männer innerhalb der Kategorien vergleiche, seien die Lohndifferenzen gar nicht mehr so groß. "Der Gender Pay Gap ist also gar kein so großes Problem", sagt sie. Frauen mit sehr kurzen Erwerbsunterbrechungen wiesen sogar nur noch einen Verdienstabstand von vier Prozent auf, der statistisch auch nicht mehr signifikant sei. Dennoch könne die Politik durchaus daran arbeiten, etwa durch den Ausbau von Kinderbetreuung oder Initiativen, um Frauen auch für männerdominierte Berufe zu interessieren. "Letztlich bleibt es aber eine Wahlentscheidung der Frauen, ob und in welchen Berufen sie in welchem Umfang arbeiten möchten."

Gleichstellung per Gesetz

Ulrike Helwerth vom Deutschen Frauenrat sieht das anders als die Wirtschaftswissenschaftlerin vom arbeitgebernahen IW-Institut: "Das ist doch ein Witz, all das rauszurechnen und darauf zu warten, bis sich die Statistik auswächst", empört sie sich. Der Frauenrat will den Prozess beschleunigen und fordert deshalb gesetzliche Rahmenbedingungen für Entgeltgleichheit und gleiche Beförderungsbedingungen auch in der Privatwirtschaft. Aber die Arbeitgeber/innen wollten sich auf keine Verpflichtung einlassen. "Ein allgemeines Gleichstellungsgesetz würde den Prozess nicht nur beflügeln, sondern auch transparenter machen", fügt Helwerth hinzu. So wie es für die Bundesverwaltung bereits seit 2001 das Bundesgleichstellungsgesetz gibt. Auch die Einführung einer Quote gehe ihrer Meinung nach in die richtige Richtung.

Gründe für Benachteiligung

Frauenrechtlerin Helwerth sieht nur drei wesentliche Gründe für die "Entgeltungerechtigkeit": festgefahrene Stereotypen, den Vereinbarkeitskonflikt vieler Frauen zwischen Familie und Beruf und Aufstiegsschwierigkeiten im Beruf. "Die so genannten Frauenberufe werden durchschnittlich schlechter bezahlt", erklärt sie. "Das ist auf die uralte Einstellung zurückzuführen, dass Frauen, wenn überhaupt, nur ein Zubrot verdienen, während Männer die Haupternährer sind." Dieses Denken, so Helwerth, spiegele sich heute zum Beispiel in den Tarifverträgen wider. "Anders lässt sich nicht erklären, warum ein Tierpfleger mehr verdient als eine Altenpflegerin." Dazu komme der Konflikt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: "Viele Frauen können sich beruflich nicht so entwickeln, wie sie vielleicht wollen." Weil die Kinderbetreuung in weiten Teilen des Landes noch immer nicht gut genug ausgebaut ist, bleibt die Kinderbetreuung häufiger den Frauen überlassen. Als dritten wesentlichen Grund für die Lohndiskriminierung nennt sie erschwerte Aufstiegschancen. "Der Hintergrund ist der, dass Frauen vor einem halben Jahrhundert wirklich noch geringer qualifiziert waren. Heute aber haben wir die am besten ausgebildete Frauengeneration, die wir je hatten. Da kann die Qualifikation nicht mehr die Erklärung sein."

Rollenbilder – neu überdacht

Um den nachwachsenden Generationen ein anderes Verständnis vom Ursprung der Rollenverteilung mitzugeben, haben das Neanderthalmuseum in Mettmann sowie das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle die neueren Erkenntnisse der Anthropologen/innen bereits in ihren Ausstellungen umgesetzt: Sie zeigen Frauen bei der Treibjagd auf Waldelefanten oder mit erlegtem Wild auf den Schultern.