Ari Folman wurde 1962 in Haifa geboren. Nach seinem Armeedienst absolvierte er ein Filmstudium, das er 1991 mit einem satirischen Dokumentarfilm über den ersten Golfkrieg abschloss. In "Saint Clara" (1996) übertrug er einen Schülerroman des tschechischen Autors Pavel Kohout auf israelische Verhältnisse und gewann damit in sieben Kategorien den Israelischen Filmpreis. Sein zweiter Spielfilm "Made in Israel" (2001) ist eine klischeereiche Groteske um einen nach Israel überstellten deutschen Nazi-Verbrecher. In Zum Filmarchiv: "Waltz with Bashir" widmet sich der Regisseur erstmals der lückenhaften Erinnerung an seine Militärzeit im ersten Libanonkrieg. Der Film wurde von Israel als bester fremdsprachiger Film für die Oscar® -Preisverleihung nominiert.

Herr Folman, die vierjährige Arbeit an Zum Filmarchiv: "Waltz with Bashir" hat Sie nach eigenen Angaben in eine schwere Krise gestürzt. Was hat Sie letztlich dazu gebracht, sich filmisch mit Ihrer Erinnerung auseinanderzusetzen?

Es begann in meiner Zeit in der israelischen Reserve-Armee. Man dient in der Regel zwei Wochen im Jahr. Ich arbeitete dort als Drehbuchautor und schrieb alberne Kurzfilme etwa darüber, wie man sich bei einem atomaren Angriff verhält. Vor fünf Jahren hatte ich genug. Sie ließen mich unter der Bedingung gehen, dass ich an einem Experiment teilnehme: Ich sollte einem Militärtherapeuten alles über meine Vergangenheit erzählen. In den acht Sitzungen stellte ich zweierlei fest: Ich hatte in zwanzig Jahren nie über diese Geschichte geredet – und: es gab "schwarze Löcher", Erinnerungen, die mir fehlten. Nach meiner Entlassung begann ich, andere zu befragen. So begriff ich erst, wie viele ehemalige Soldaten ihre Erinnerungen aus dem ersten Libanonkrieg verdrängen – aus guten Gründen.

Was hat Sie von einem "realistischen" Dokumentarfilm abgehalten?

Ein Animationsfilm erschien mir völlig natürlich, etwas anderes hätte ich mir nie vorstellen können. Wer entscheidet überhaupt darüber, was realistisch ist? Ist das Bild wirklicher, weil es mit einer Digitalkamera aufgenommen wurde?

Vielleicht ist Ihnen die Animation angenehmer, weil sie einen gewissen Abstand ermöglicht.

Hoffentlich! Jedenfalls hätte man Zum Filmarchiv: "Waltz with Bashir" nicht für die Oscar-Nominierung ausgewählt, wenn er nicht animiert wäre. Dann wäre es einer dieser vielen Filme über einen Typen, der seine Erinnerung verliert und nun Nachforschungen anstellt. Das hätte niemanden interessiert.

Was waren Ihre filmischen Vorbilder?

Mehr als jeder Film hat mich der Stil verschiedener Graphic Novels aber auch die Lektüre meiner Jugendzeit beeinflusst. Das waren meist Autoren, die den Krieg miterlebt hatten und später mit ironischem Abstand ihre damaligen Erlebnisse reflektierten. Kurt Vonneguts Schlachthaus 5 oder Catch-22 von Joseph Heller betrachten den Krieg auf sehr unglamouröse Weise, zeigen seine Dummheit. So sehe ich das auch. Und eine "bewegte" Graphic Novel schien mir die beste Form der Umsetzung.

Welche Rolle spielt das Massaker von Sabra und Shatila in der israelischen Erinnerung?

In der israelischen Geschichte markierte das Massaker einen Wendepunkt. Zum ersten Mal führte Israel keinen Verteidigungskrieg. Es war ein reiner Angriffskrieg, der erstmals auch eine Konfrontation mit Zivilbevölkerung brachte. Das Massaker wurde als riesige Schande begriffen, niemals davor und danach gab es solch wütende Reaktionen und auch Demonstrationen. Die Bilder der geöffneten Lager, die man am Ende meines Films sieht, erinnerten jeden Juden in Israel an die jüdische Geschichte. Deshalb, bin ich überzeugt, waren die Proteste so laut. Wegen des Films ist das Thema jetzt wieder in den Schlagzeilen – allerdings nicht wegen der Fakten. Die sind und waren jedem bekannt. Sharon und einige Generäle wurden damals aus ihren Ämtern entlassen. Ironischerweise wurde Sharon auf Lebenszeit als Verteidigungsminister entlassen und kehrte als Premierminister zurück, als ob nichts passiert wäre.

Wie wurde Zum Filmarchiv: "Waltz with Bashir" in Israel aufgenommen?

Die Reaktionen waren sehr positiv. Die einzige Kritik kam von der extremen Linken, die behauptete, der Film nähme zuwenig Schuld auf sich. Aber wir hatten mehr als 100.000 Zuschauer, das ist ein großer Erfolg. Leider ist es mir nicht gelungen, die jungen Leute ins Kino zu bringen. Vielleicht lag es an der Kategorisierung als Arthouse-Film. Dabei wäre es mir sehr wichtig gewesen, die 16- oder 17-Jährigen zu erreichen, die gerade vor ihrem Militärdienst stehen.

Wie unterschieden sich die Reaktionen in anderen Ländern?

Eine sehr gute Frage. Ein bekannter französischer Verleiher sah den Film noch vor dem Cannes-Festival und wollte ihn unbedingt kaufen. Er sagte, der Film würde in Frankreich ein "Riesending wegen Algerien". Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete. Für die Franzosen, sagte er, wäre dies kein Film über Israel, sondern über sie selbst – über "culpabilité", also Schuldgefühle. Meiner Meinung nach geht es in dem Film um verlorene Erinnerung, post-traumatische Störungen – aber nicht um Schuld.

Und in Deutschland?

Hier dreht sich natürlich alles um die deutsche Vergangenheit und den Holocaust. Es gibt eine gewisse Übervorsicht, was Israel angeht. Immer wieder fragt man nach dem Vergleich mit dem Holocaust, den ich in dem Film mache. In Israel wäre das überhaupt kein Thema, der Zusammenhang ist viel zu offensichtlich. In den USA hingegen wurde der Film zwar mit großartigen Kritiken, aber doch ausschließlich als Kunstfilm aufgenommen. Er hat angeblich nicht das Geringste mit der amerikanischen Gesellschaft zu tun. Sie sind wohl nie in ein anderes Land eingefallen (lacht). Offenbar spiegelt der Film die jeweilige Gesellschaft, in der er gezeigt wird.