Maria Schrader absolvierte 1983 eine Schauspielausbildung am Max Reinhardt Seminar in Wien. Ihre erste große Kinorolle übernahm sie 1992 in "I was on Mars" von Dani Levy, wofür sie beim Filmfestival Max Ophüls mit dem Preis als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet wurde. Den Bundesfilmpreis erhielt Maria Schrader unter anderem für ihre Darstellungen in den Filmen "Keiner liebt mich" , "Burning Life" und "Aimée & Jaguar" . Zuletzt spielte sie in der Miniserie "Deutschland 83" . Ihr Regiedebüt gab Schrader 2005 mit der gleichnamigen Zum Inhalt: Verfilmung des Romanbestsellers "Liebesleben" von Zeruya Shalev, für die sie auch das Zum Inhalt: Drehbuch schrieb. Zum Filmarchiv: "Vor der Morgenröte" ist ihre zweite Regiearbeit.

Frau Schrader, was hat Sie daran gereizt, die Lebensgeschichte von Stefan Zweig zu verfilmen?

Stefan Zweig hat sein Leben lang davon geträumt, Weltbürger zu sein. Er ist viel gereist und wollte, dass sich alle Menschen ebenso als Weltbürger sehen, ohne von Grenzen aufgehalten zu werden. Sein Ideal bestand darin, dass die Menschen viele Sprachen beherrschen, damit sie sich überall zu Hause fühlen können. Auch in seiner Arbeit hat er sich für seine Idee von Europa eingesetzt. Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, sagte er einmal, dass es das Schönste wäre, staatenlos zu sein: nicht an einen Ort zu gehören, sondern an alle. Als er dann tatsächlich staatenlos war, wurde ihm dies zum Verhängnis.

Wie haben Sie sich dem Menschen Stefan Zweig angenähert?

Ich habe das Gefühl, dass Stefan Zweig am Ende seines Lebens zu einer fast literarischen Figur geworden war, an der sich die Problematik des Exils besonders deutlich zeigte. Er hat z.B. nicht die Nähe seiner Schicksalsgenossinnen und Schicksalsgenossen gesucht, sondern flüchtete immer wieder aus den Metropolen. Er ist nicht in London geblieben, sondern nach Bath gezogen. Er ging von New York nach New Haven und hat schließlich Petrópolis Rio vorgezogen. Das heißt: Die Einsamkeit in der Fremde zeigte sich ihm vielleicht noch gewaltiger als vielen anderen Exilanten. Das fand ich an Zweig so interessant: Er lebte eigentlich in Sicherheit, es ging ihm besser als Millionen anderer Menschen. Zweig war finanziell gut ausgestattet, befand sich nicht in unmittelbarer Gefahr und hatte das Paradies vor Augen – und gleichzeitig den Albtraum im Kopf. Er konnte den Gedanken an den Untergang Europas nie verdrängen.

Es ging Ihnen also in erster Linie um die Exilerfahrung? In ihren Worten: um die literarische Figur Zweig und nicht um den Literaten Zweig?

Zweig schreibt es selbst im Vorwort seiner Autobiografie. Er habe sich als Person nie so interessant gefunden, dass er glaubte, über sich ein Buch schreiben zu müssen. Er sehe sich eher als Stellvertreter – einen Pazifisten, einen Humanisten, einen weltberühmten Schriftsteller, einen Juden –, der sich just an den Orten befunden habe, an denen die Zeit die größten Wellen schlug. Ähnlich haben wir, mein Koautor Jan Schomburg und ich, in unserem Film Stefan Zweig behandelt.

Warum haben Sie sich auf sechs Stationen beschränkt?

Uns erschienen schon die letzten Lebensjahre Stefan Zweigs so komplex, so ereignisreich, so widersprüchlich, dass sie niemals in einem klassischen Zum Inhalt: Biopic erzählbar gewesen wären, ohne dabei erhebliche Kompromisse einzugehen. Für mich gibt es ein grundsätzliches Problem mit Biopics – dass man Ereignisse eines Lebens immer in eine dramaturgische Kette bringen muss, als gebe es im Leben eine sinnstiftende Kontinuität. Das Leben aber ist willkürlich und nicht immer nachvollziehbar. Also sind die Leerstellen ein Teil der Geschichte. Und dass man sich so genau einzelnen Momenten widmen kann, regt auch die Fantasie an, sich all die Momente vorzustellen, die der Film überspringt.

Zweigs Weigerung, das NS-Regime öffentlich zu kritisieren, wurde von vielen Zeitgenossen kritisiert. Ging es Ihnen auch darum, Zweigs Position zu erklären?

Unsere Motivation bestand erst einmal darin, Zweigs Position überhaupt zu zeigen. Ich finde sie auch diskussionswürdig. Aber gerade in Bezug auf unsere Zeit – die "Bekenntniskultur", in der wir leben – finde ich es bewundernswert, dass jemand sagt: Ich werde mein liebstes Instrumentarium, meine Sprache, nicht missbrauchen und sie so behandeln wie meine Gegner. Insofern ist "Vor der Morgenröte" auch ein Film über Sprachlosigkeit. So viel im Film auch geredet wird, geht es doch um ein Verstummen.