Manuela Marin arbeitet seit fast 20 Jahren als selbstständige Diplom-Ökotrophologin in Berlin. Sie hat Ökotrophologie, Fachrichtung Ernährungswissenschaften, an der Universität Bonn und der Washington State University studiert. Nach einer zweijährigen wissenschaftlichen Tätigkeit an der Universität Bonn und der Technischen Universität Berlin arbeitete sie als Dozentin/Referentin in Aus- und Weiterbildungseinrichtungen sowie in der betrieblichen Gesundheitsförderung. Sie ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und des Berufsverbands Ökotrophologie (VDOE).

Frau Marin, ist der Zuckerkonsum für die menschliche Gesundheit tatsächlich so schädlich, wie "Voll verzuckert – That Sugar Film" behauptet?

Da möchte ich den Arzt und Philosophen Paracelsus zitieren: "Die Dosis macht das Gift." Zucker ist per se nicht schädlich. Wenn aber der Mensch so viele gezuckerte Produkte zu sich nimmt, wie es in Industrieländern der Fall ist, dann ist das des Guten zu viel. Darunter leidet dann oft die Gesundheit.

Im Film wird erläutert, dass nicht alle Zuckerarten gleichermaßen nachteilig sind. Warum ist gerade Fruchtzucker so ungesund?

Das Bundesinstitut für Risikobewertungen hat dazu 2009 Stellung genommen. Es hat die frühere Empfehlung von Fruktose als Ersatzstoff für Diabetiker zurückgenommen, denn die Fruktose ist bei einem Konsum in hohen Mengen – wie es im Film geschildert wird – mitverantwortlich für das Metabolische Syndrom, also das gleichzeitige Vorliegen von Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes. Man hat herausgefunden, dass die Fruktose das normale Sättigungsgefühl beeinträchtigt, sodass der Appetit auf Süßes zunimmt. Wenn die Fruktose in der Leber eingelagert und in Fett umgebaut wird, entsteht wie bei zu viel Alkohol eine Fettleber. Das ist das erste Anzeichen des Metabolischen Syndroms. Deshalb muss man beim Fruchtzucker unbedingt auf die Menge achten.

Die Nahrungsmittelindustrie hat Tricks entwickelt, um Zucker auf der Zutatenliste zu verschleiern. Wie kann man ihn dennoch erkennen?

Alle Zutaten eines Fertiglebensmittels müssen auf der Zutatenliste gekennzeichnet werden. Wenn Zucker dort erst am Ende steht, glauben Verbraucher gern, dass das Produkt zuckerarm ist. Wenn man genauer hinsieht, findet man aber oft Begriffe, die auf „-ose“ oder „-sirup“ enden. Sie weisen auf Zucker hin. Ob Fruktose, Dextrose, Glukose, Maltose oder Maltosesirup, das alles ist letztlich nichts anderes als Zucker, ebenso wie die „natürliche Fruchtsüße“.

In einer Passage des Films ist von neurologischen Störungen bei Kindern durch Zuckerkonsum die Rede. Kommen die tatsächlich vor? Wie können Eltern dies verhindern?

Hier befinden wir uns wie so oft beim Thema Ernährung im Grenzbereich zur Psychologie. Die Nahrungsmittelaufnahme ist ein multifaktorieller Prozess, der auf sozialen, physischen und ernährungsphysiologischen Voraussetzungen beruht. Es wird schwierig sein herauszufinden, ob der Zucker oder eine Verknüpfung diverser Faktoren eine solche Störung verursacht. An der Stelle wäre ich sehr vorsichtig. Ich verweise nur auf das Thema hyperaktive Kinder, das lange Zeit gerne mit Zucker und Phosphaten zusammengebracht wurde. Man konnte das nie endgültig beweisen, ebenso wenig allerdings das Gegenteil.

Wie definiert die Wissenschaft nach jüngsten Erkenntnissen „gesunde Ernährung“? Gehört dazu auch der Verzehr von Zucker?

In dieser Hinsicht richte ich mich nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die zehn Regeln für eine ausgewogene Ernährung aufgestellt hat. Grundsätzlich lässt sich sagen: Es kommt auf die gesunde Mischung an. Natürlich haben pflanzliche Nahrungsmittel Vorrang. Aber Zucker ist keineswegs verboten. Andererseits nennt die DGE Obergrenzen. So sollte ein Mensch maximal zehn Prozent seiner täglichen Energiezufuhr durch Zucker bestreiten. Wenn wir einen durchschnittlichen Tagesverbrauch von 2000 Kalorien ansetzen, sollte man also Zucker im Wert von nur 200 Kalorien aufnehmen. Diese Menge ist mit Süßigkeiten oder Softdrinks relativ schnell erreicht.

Welchen Einfluss können Eltern nehmen, um ihre Kinder für den Zuckerkonsum zu sensibilisieren?

An erster Stelle steht natürlich immer das eigene Verhalten. Wie viel Zucker esse ich selbst? Welche Produkte konsumiere ich? Nur Fertigprodukte oder auch mal ein selbst gekochtes Gericht? Da werden sich Kinder viel abschauen. Vor allem sollten Eltern auch auf die Getränke schauen, die ihre Kinder konsumieren. Bei Kindern sind gesüßte Getränke sehr beliebt, dennoch sollte man sie nur in Ausnahmefällen anbieten.

Wie kann die Aufklärung über die Wirkungen von Zucker auf den menschlichen Körper generell an den Schulen verbessert werden?

Wir plädieren schon seit Jahren dafür, dass Ernährungslehre zum Schulfach wird. Es gibt bereits lobenswerte Initiativen wie den Auswertungs- und Informationsdienst der deutschen Landwirtschaft, der einen Ernährungsführerschein in Grundschulen anbietet. Aber das ist natürlich alles andere als flächendeckend, allein schon wegen der Kosten. In diesem Zusammenhang muss man bedenken, dass das Wissen ja im Prinzip oft schon vorhanden ist. Am Ende hapert es bei Kindern wie Erwachsenen an der Umsetzung. Diese Schwelle zu überschreiten, fällt leichter, wenn ich mit den Kindern auch etwas Praktisches machen kann, wie zum Beispiel das Kochen in der Schulküche.

Am Ende des Films will sich der Regisseur gesund ernähren, indem er vollständig auf Zucker verzichtet. Geht das?

Ja, das Gehirn ist zwar in jeder Sekunde auf Glukose, sprich Traubenzucker, angewiesen. Durch stärkehaltige Produkte oder Obst mit natürlichem Traubenzucker kann der Körper das Gehirn aber ausreichend mit Glukose versorgen. Industriezucker oder andere Zuckersorten wie Maltose braucht der Mensch nicht. Insofern kann sich jeder ohne künstlichen Zucker ernähren.