„Wir zeigen dir unsere Welt“, verspricht Sonne Victoria, als sich die junge Spanierin gerade auf den Heimweg machen will. Und dann führen er, Boxer, Blinker und Fuß das Mädchen auf ein Hausdach, von dem aus sie ihr Viertel überblicken können. Das Dach ist ein Refugium für die Freunde, ein privater Rückzugsort abseits der Clubkultur, aber auch abseits der öffentlich zugänglichen Stadt. Hier müssen sie sich nicht mehr hinter ihren pubertären Posen und coolen Sprüchen verstecken. Plötzlich zeigen sie, trotz ihres alkoholisierten Zustands, eine verletzliche Seite. Als Victoria an den Rand des Hausdachs tritt, will Sonne sie besorgt zurückzerren. Und Boxer erzählt voller Scham, dass er einmal wegen Körperverletzung im Gefängnis saß. „Ich bin kein schlechter Mensch“, versucht er Victoria zu überzeugen. So sitzen sie eine Weile zusammen auf dem Dach, albern herum, trinken Bier und rauchen Gras: verschworen gegen die Welt unter ihnen.

So feiert die Jugend

Der siebzehnjährige Lukas kennt solche Situationen. "Party findet bei uns nicht nur in Clubs statt", meint der Berliner Schüler. "Im Prinzip braucht man dafür nur ein paar Freunde und etwas Musik." Auch Amelia und Robert betonen, wie vertraut die Situationen am Anfang des Films auf sie wirken. Dass man nachts auf der Straße von anderen Jugendlichen angesprochen wird, finden sie ganz normal – auch wenn sie danach nicht gleich bei einem Banküberfall mitmachen würden. "Wenn ich ein paar Biere getrunken habe, quatsche ich gerne Leute an, die sympathisch aussehen", gibt der sechzehnjährige Robert zu. Amelia nickt. "Das geschieht ganz automatisch. Man kommt schnell miteinander ins Gespräch und chillt danach vielleicht noch zusammen."

Victoria, Szene (© Senator)

Die Kinofenster-Redaktion hat ein kleines Experiment durchgeführt. Wir haben uns nach der Schule mit drei Jugendlichen getroffen und ihnen "Victoria" gezeigt. Wir wollten wissen, wie sie einen Film finden, der in einer einzigen Einstellung gedreht ist und sich um eine Gruppe junger Menschen dreht, die man nicht mehr als Jugendliche bezeichnen würde, die aber dennoch eine große Nähe zur Erfahrungswelt Heranwachsender haben. Als nach fast zweieinhalb Stunden der Zum Inhalt: Abspann läuft, herrscht erst mal Stille. „Krass“, ist Lukas’ erste Reaktion. "Die Wendung im Film hat mich echt mitgenommen, weil man so schnell bei den Figuren ist. Am Anfang dachte ich noch, es geht um einen ganz normalen Abend, wie wir ihn jedes Wochenende haben." Auch Amelia ist begeistert: "Der Film ist anfangs total realitätsnah. Damit kann man sich wirklich identifizieren."

Drogen als Teil der Jugendkultur?

Auch dass die Protagonisten im Film kiffen und härtere Drogen nehmen, finden die drei nicht ungewöhnlich. "Wenn wir im Park sitzen, geht der Joint auch rum. Aber ich habe da keine Lust drauf", sagt Lukas. „Ich kenne viele Leute, die jeden Tag kiffen“, bekräftigt Amelia. "Als meine Schwester ihren 15. Geburtstag feierte, lag auf dem Tisch ein Tütchen mit fünf Gramm drin. Auf der Party waren alle breit und die waren ja noch jünger als wir." Bei härteren Drogen ist das etwas anderes. Die Zum Inhalt: Szene in der Garage, als Sonne, die Jungs und Victoria Speed schnupfen, um sich für den Überfall aufzuputschen, können die drei zwar aus der Situation heraus nachvollziehen, ihrer eigenen Lebenswelt ist das aber eher fremd. "Darüber wird nicht so offen gesprochen wie über Alk oder Gras", hat Robert in seinem Freundeskreis beobachtet. Amelia protestiert: "Ich war neulich mit einer Freundin auf dem Weg zu einer Party. Wir trafen einen Jungen aus der Schule, höchstens 15, der wollte uns was andrehen. Er konnte überhaupt nicht verstehen, dass wir ohne ‚Chemos’ feiern gehen." Dennoch sind sich alle einig, dass aufputschende Drogen soziale Kontakte erschweren. „Man sieht das sehr gut in der Szene in der Garage“, erklärt Lukas. "Sie schnupfen Koks und nehmen Speed. Danach reden sie noch aggressiver miteinander und schreien sich an."

Die Sprache der Jugendlichen

Robert wendet sich an Lukas: "Wenn du ‚noch aggressiver’ sagst, heißt das, dass sie es vorher auch schon waren? Das finde ich nicht. Im Gegenteil, ich fand ihre Sprache authentisch. So reden wir im Freundeskreis auch." In dem Punkt stimmt Lukas mit ihm überein: "Ja, die reden halt wie Jugendliche auf der Straße und die Sprache wirkt auch nicht so aufgesetzt wie in anderen Jugendfilmen. Aber in "Victoria" kommt der Umgang miteinander trotzdem heftiger rüber", beharrt er auf seinem Standpunkt. "Es gibt so einen bestimmten Abstand, den Menschen einhalten, auch wenn sie miteinander streiten. Sonne und Boxer haben diesen Abstand oft nicht eingehalten." Amelia wirft ein, dass trotz aller Streitigkeiten die Figuren vor allem ihre Loyalität auszeichne. Sie mag es, dass die Jungen sich mit 'Bruder' anreden und auch Victoria sofort als 'Schwester' akzeptiert wird. Für Amelia ist das ein Ausdruck echter Verbundenheit: "’Schwester’ würde ich allerdings nie sagen. Ich nenne meine Freundinnen auch ‚Bruder’. Das machen bei uns alle Mädchen, die sich mögen.“ Lukas pflichtet ihr bei: "Echte Freunde sind wie eine Familie, sie stehen füreinander ein."

Die Moral von der Geschichte

Die Loyalität zwischen den Protagonisten geht unseren drei Testguckern spürbar nahe. Einige Filmkritiker hat an "Victoria" gestört, dass die Motive der Titelfigur nicht plausibel seien. Tatsächlich gibt es im Film mehrere Stellen, an denen sie sich von der Gruppe hätte absetzen können. Amelia, Lukas und Robert verstehen allerdings Victorias Entscheidung, ihren neuen Freunden beim Überfall zu helfen. "Ich glaube, gerade das macht die Figuren so sympathisch", sagt Amelia. "Man sieht zwar, dass die etwas moralisch Verwerfliches machen, aber man kann es ihnen nicht übel nehmen, weil die zweieinhalb Stunden Film genau zeigen, wie man an so einen Punkt kommt, an dem man Entscheidungen treffen muss, die krasse Konsequenzen nach sich ziehen." Auch für Robert ist dieser bedingungslose Zusammenhalt vollkommen nachvollziehbar. "Wenn ein Freund unter Druck steht und eine Bank ausrauben müsste, wäre ich auch dabei. Keine Frage." Bei der Aussage muss Amelia kurz lachen: "Das ist doch Unsinn. Das sagst du jetzt nur, weil du noch im Film bist." Robert überlegt kurz und nickt: „Das war einer der intensivsten Filme, den ich je gesehen habe.“ Lukas geht es ähnlich. "Man ist so nah an den Figuren dran. Zum einen, weil sie keine typischen Helden sind, sondern Jugendliche wie du und ich. Zum anderen erlebt man all ihre unterschiedlichen Gefühle. Es gibt ja keine Pausen."

Victoria, Szene (© Senator)

Ungefilterte Emotionen

Die Nähe zu den Figuren durch die ungeschnittene Zum Inhalt: Kamerabewegung hat es den dreien am meisten angetan. Amelia nennt als Beispiel die Szene vor der Bank, als plötzlich der Fluchtwagen nicht mehr anspringt. "Du kannst dich dem Mitfiebern nicht entziehen", erklärt sie, "ich habe einfach nur gehofft, dass die Karre anspringt. Sie sollen nicht geschnappt werden." Diese ungefilterte Emotion hat auch Robert gefallen. Er findet, dass besonders die Momente, in denen nichts passiert, für den Film wichtig seien. Lukas stimmt zu: " Zum Inhalt: Schnitte hätten hier nur wieder eine Distanz zu den Figuren erzeugt." Auch Amelia findet die Filmsprache bemerkenswert, bewertet sie aber nicht zu hoch. "Entscheidend ist doch, dass der Film einen wegen der Handlung und der Message anspricht." Bei unserer letzten Frage sind sich alle wieder einig: Sollte man "Victoria" in der Schule zeigen? Amelia wägt zwar ab. Ihrer besten Freundin würde sie ihn wohl nicht empfehlen, weil ihre Geschmäcker zu verschieden seien. Aber in der Schule sollte "Victoria" auf jeden Fall gezeigt werden. "Als Jugendlicher denkt man nicht immer darüber nach, was man gerade macht. Der Film zeigt, wie eine falsche Entscheidung dein Leben verändert. Für immer."

Wichtiger Hinweis:

Name: Amelia
Alter: 18
Sprache(n): Deutsch, Englisch, Spanisch
Stadt: Berlin
Klasse: 12
Schultyp: Gymnasium
Hobbys: Sport
Lieblingsfilme:
Der Junge im gestreiften Pyjama, The Day after Tomorrow

Wichtiger Hinweis:

Name: Lukas
Alter: 17
Sprache(n): Deutsch, Englisch
Stadt: Berlin
Klasse: 11
Schultyp: Gymnasium
Hobbys: Sport (Radfahren, Ski, Volleyball)
Lieblingsfilme: Star Wars, Der Herr der Ringe


Wichtiger Hinweis:

Name: Robert
Alter: 16
Sprache(n): Deutsch, Englisch
Stadt: Berlin
Klasse: 11
Schultyp: OSZ
Hobbys: Freunde, Sport
Lieblingsfilme: Fight Club, Knallhart