Volker Sattel, geboren 1970 in Speyer am Rhein, studierte von 1993 bis 1999 an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seither entstanden zahlreiche Regie- und Kameraarbeiten, unter anderem "Unternehmen Paradies" (Deutschland 2003) und "Ich begehre" (Deutschland 2007). Volker Sattel lebt und arbeitet in Berlin.

Herr Sattel, Ihr Film beschäftigt sich mit einem Thema, das seit der Katastrophe in Fukushima wieder verstärkt öffentlich diskutiert wird. Wie entstand die Idee zum Film?

Ich fing 2008 mit der Recherche an, also lange vor Fukushima und auch vor der Laufzeitverlängerung. Ich bin in der Nähe des Atomkraftwerks Philippsburg groß geworden, hatte mich für die Atomkraftdebatte interessiert und war neugierig darauf, wie es in diesem hermetischen System aussieht. Es gibt nämlich keinen Film über die Innenwelt eines Atomkraftwerks. Die mediale Darstellung beschränkt sich auf die immer gleichen Bilder: das blaue Becken, die Kühltürme, die Reaktorkuppel von außen. Doch dahinter steckt ein interessanter Kinostoff: Diese Gefahr, diese Bedrohung, dieses Risiko – das sind spannende Themen. Ich wollte über Atomkraftwerke aus der Perspektive und mit der Bilderwelt des Kinos erzählen.

War es schwer, die Drehgenehmigungen zu erhalten?

Es war schon ein Glücksfall und hat Monate gedauert. Wir haben in mehreren Etappen über ein halbes Jahr gedreht. Die ganze Zeit über wurden wir von Mitarbeitern der Atomkraftwerke begleitet, jede Szene musste genehmigt werden. Der Deal war so, dass kontrolliert wurde, was und wo ich drehen durfte – das war deren Sicherheit –, und ich behielt dafür den Final Cut.

Verfolgten Sie eine bestimmte Intention mit dem Film?

Der Film will die Perspektive auf die Atomkraft neu öffnen, abseits der medialen Berichterstattung. In der öffentlichen Debatte geht es ja letztlich nur um die Frage: Bist du dafür oder dagegen? Doch das Thema ist zu interessant und zu komplex, um es darauf zu reduzieren. Das drückt sich auch aus im Untertitel: "Eine Archäologie der Atomkraft". Ich wollte die friedliche Nutzung der Atomkraft als kulturhistorisches Experiment betrachten. Sie sollte Wohlstand bringen und ist daran gescheitert, dass sie nicht zum Menschen passt. Der Film ist auch eine Art Requiem.

Warum wollten Sie in Zum Inhalt: CinemascopeCinemascope drehen?

Ich wollte die Faszination, die es lange für diese Technologie gab, sinnlich erfahrbar machen, aber auch die Probleme, die sie mit sich bringt. Beispielsweise die Zwischenlagerung: Ich hatte natürlich schon Fotos gesehen von den gelben Atommüllfässern in Morsleben. Aber ein Foto löst nicht das bei mir aus, was eine Filmszene in einem großen Kinoraum auslösen kann: Ich kann die Zeit miterzählen, wenn man hinunter fährt, man kann die Stille fühlen, die dort herrscht, man kann miterleben, wie weit weg man vom normalen Leben ist. Da wird diese Dimension der Lagerung anders spürbar. Zusammen mit den Informationen, die man als Zuschauer bereits hat, entstehen auf diese Weise interessante Gedanken. Man begreift, dass es sich hier um etwas Irreversibles handelt und dass man so damit nicht umgehen kann. Da muss ich nicht noch alles Mögliche erklären.

In der Tat ist ihr Film in seiner Erzählweise sehr zurückhaltend. Warum?

Ich sehe das gar nicht so. Klar, der Film verwendet keinen Zum Inhalt: VoiceoverKommentarton, er wird nicht polemisch. Aber alleine durch das, was er zeigt, ist so eine starke Positionierung da, die eigentlich von den wenigsten ignoriert wird. Für mich passt die Atomenergie nicht mehr in unsere Zeit.

Wie hat sich durch Fukushima die Resonanz auf Zum Filmarchiv: "Unter Kontrolle" verändert?

Der Film wäre eigentlich erst im September ins Kino gekommen, mit minimaler Kopienzahl und einem kleinen Verleih. Jetzt wurde der Start vorgezogen, um den Film schneller zugänglich zu machen. Dann stieg noch ein weiterer Verleih ein, und nun kommt Zum Filmarchiv: "Unter Kontrolle" bundesweit mit 25 Kopien ins Kino. Das ist natürlich großartig für einen Zum Inhalt: DokumentarfilmDokumentarfilm.

Die letzten Bilder zeigen einen mit Gammastrahlen belichteten Filmstreifen. Warum?

Das Kino spielt ja gerne mit dem Unsichtbaren und kreiert dafür Bilder. Bei der Radioaktivität kreist man um etwas herum, was sinnlich nicht erfahrbar ist. Da sucht man dann nach Möglichkeiten, wie man es für den Zuschauer greifbar machen kann.

Sie haben den Film ja bereits mehrfach in Voraufführungen gezeigt. Wie haben speziell junge Leute darauf reagiert?

Die meisten fanden ihn total spannend. Ich wollte ihm Dichte und Spannung geben, er hat einen klaren dramaturgischen Bogen und vielleicht wird dadurch die offene Erzählweise als etwas Positives betrachtet. Ich höre oft: Endlich ein Film, der mir nicht sagt, wie ich etwas sehen muss, sondern ich darf diese Welt einfach betrachten. Es ist wie im Zum Inhalt: Cinéma VéritéDirect Cinema – man kann sich in eine Situation integrieren, indem man sie beobachtet, und so entsteht die Geschichte in einem selbst.