Kategorie: Hintergrund
Film im Film
Spiegelungen - oder: Was die Globalisierung mit Christoph Kolumbus gemeinsam hat
"Und dann der Regen - También la lluvia" erstellt mit seiner "Film im Film"-Struktur einen Bezug zwischen dem 15. Jahrhundert und der Gegenwart.
Die Geschichte von Zum Filmarchiv: "Und dann der Regen – También la lluvia" (Icíar Bollaín, Spanien, Frankreich, Mexiko 2010) spielt sich auf mehreren Ebenen ab. Der Film erzählt von den Dreharbeiten eines kritischen Historienfilms über Christoph Kolumbus, die darüber hinaus wiederum von der Regieassistentin im rauhen, Zum Inhalt: schwarz-weiß gefilmten Look einer Videokamera Zum Inhalt: dokumentiert werden. Gezeigt werden aber auch Szenen aus dem Kolumbus-Film selbst, der von der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung durch die spanischen Eroberer erzählt. Zudem beinhaltet der Film eine rahmende Parallelgeschichte, die von dem im Jahr 2000 stattgefundenen Wasserkrieg in bolivianischen Cochabamba handelt. Mit fortschreitender Handlung lässt die Regisseurin Icíar Bollaín dabei Historienfilm und Ereignisse der Gegenwart zunehmend miteinander in Verbindung treten und aufeinander Bezug nehmen. Die verschiedenen Handlungsstränge spiegeln und beeinflussen sich.
Parallelen: damals und heute
Anhand einer Zum Inhalt: Sequenz aus dem ersten Drittel des Films, in der die verschiedenen erzählerischen, thematischen und ästhetischen Ebenen miteinander verbunden sind, lässt sich diese Verfahrensweise exemplarisch beschreiben. Der indigene Hauptdarsteller Daniel, der die historische Figur des Widerstand leistenden Häuptlings Hatuey spielt, besichtigt mit seiner Tochter das Requisitenlager des Films. In langsamen Zum Inhalt: Fahrten und Schwenks sieht man Gegenstände, die im Kolumbus-Film eine Rolle spielen: das nachgebaute Schiff, historische Kostüme und Rüstungen, schwere Kanonen und in Schalen aufbewahrte Goldstücke, die die Spanier von den Ureinwohnern/innen als Steuer abverlangten. Es sind Requisiten der Kolonisation, zu Symbolen der Unterdrückung gewordene Gegenstände, die Daniel und seine Tochter Belén zögerlich staunend betrachten. Währenddessen telefoniert Filmproduzent Costa auf Englisch mit einem Finanzier. Nicht ahnend, dass Daniel ihn versteht, berichtet er überheblich von den preiswerten Statisten/innen. Die Arbeit der Indios werde weit unter handelsüblichem Tarif vergütet, beruhigt Costa den Geldgeber.
Die in ruhigen, Zum Inhalt: langsam bewegten Einstellungen aufgenommene Szene ist auf die handelnden Figuren und deren fortschreitenden Erkenntnisstand fokussiert, der sich in den Gesichtern der Darsteller/innen spiegelt: Vor den Ausstattungsgegenständen, die für den Beginn der historischen Ausbeutung stehen, erfährt Daniel, dass er und seine indigenen Freunde/innen auch in der Jetztzeit von der Filmproduktion ausgebeutet werden. Das Verhältnis zwischen Costa und Daniel hat sich deutlich angespannt, was auch Daniels Tochter Belén erkennt, ohne jedoch die Ursache für die Veränderung zu begreifen. Und Costa, mit dessen Blick die Szene endet, begreift, dass er gegenüber Daniel nicht mehr glaubhaft als der menschenfreundliche Produzent auftreten kann.
Zwei Erzählebenen
Ohne Vorankündigung springt die Handlung nun aus der Gegenwart in den historischen Kolumbus-Film. In den folgenden Szenen werden die Themen von Kolonisation und Ausbeutung, die in der Requisitenhalle den Hintergrund der Szene bildeten, in die historische Zeit des 15. Jahrhunderts transponiert. Die Zuschauer/innen sehen ihre Verwendung im "Film im Film" - das heißt, im Film, der auf Ebene der Filmhandlung gedreht wird - und können ihre Bedeutung so konkret erfahren: Im Vordergrund schürfen Indios im Fluss nach Gold, wobei sie von spanischen Eroberern überwacht werden. Wer zu wenig Gold abliefert, wird rücksichtslos bestraft. Die Szene ist dabei aus der Perspektive eines kleinen Mädchens erzählt, das von Daniels Tochter gespielt wird. Im Zum Inhalt: Schuss-Gegenschuss-Verfahren sehen wir ihre Reaktionen auf die brutale und unmenschliche Verhaltensweise der spanischen Konquistadoren. Zum Inhalt: Ihr Blick auf die Situation nimmt dabei den Blick auf, den sie in der Szene zuvor auf das Gespräch zwischen Costa und ihrem Vater geworfen hat. Die Ausbeutung, die in der Jetztzeit-Szene als Konstellation im Dialog zur Sprache gebracht wurde, nimmt in der historischen Szene konkrete Formen an, wird in ihrer vergangenen Praxis gezeigt. Abrupt wird dann aus der historischen Handlung in die Jetztzeit geschnitten und damit die "Film im Film"-Konstruktion für den Zuschauenden visuell deutlich: Die Schauspieler/innen und die Filmcrew sehen sich in einem Kino die Fortsetzung der Szene an, in der die Indios grausam bestraft und verstümmelt werden.
Erkenntnisse aus der "Film im Film"-Struktur
Erneut ist die Perspektive des kleinen Mädchens dabei in den Mittelpunkt gerückt. Im "Film im Film", also im Kolumbus-Film, beobachtet sie zunächst ungläubig, dann erschüttert und hilflos die brutale Bestrafungsaktion. Zugleich sieht man das Mädchen in der Jetztzeit im Kinosaal als Betrachterin der Szene. Ihr überwältigter Blick zeigt, dass sich für sie die drei beschriebenen Sequenzen (in der Requisiten-Halle, bei der Goldübergabe im Kolumbus-Film und bei der Bestrafung der Indianer) noch nicht zu einem von Erkenntnis getragenen Zusammenhang fügen. Doch spätestens wenn bald darauf von der Bezahlung des Mädchens gesprochen wird, verbinden sich die drei Sequenzen für die Zuschauenden. Gefragt nach ihrem Honorar, antwortet sie, dass sie mehr Geld als die Statisten/innen erhält, worauf der Kolumbus-Darsteller von seiner wiederum viel höheren Gage berichtet. Wieder ist es Costa, auf dessen Blick die Szene endet. Er, und mit ihm das Filmpublikum, erkennt die ökonomische Doppelmoral, aus der heraus er als Produzent des Films agiert. Die Verhältnisse der Ausbeutung, die der Film aus einer historisch gesicherten Perspektive anprangern will, werden somit in der gegenwärtigen Realität nur verlängert.
Ein politischer Appell
Auf der dramaturgischen und filmsprachlichen Ebene in der "Film im Film"-Struktur angelegt operiert Zum Filmarchiv: "Und dann der Regen" durchgehend mit solchen Spiegelungen und Referenzen. So schafft der Film eine Verbindung zwischen der im Kolumbus-Film dargestellten historischen Ausbeutung der Indios durch die spanischen Eroberer und der heutigen Lebenssituation der indigenen Bevölkerung, die immer noch von Diskriminierung und Benachteiligung geprägt ist. Auch das in die Handlung eingeflochtene Making-of, das die Assistentin mit einem Camcorder aufnimmt, verdeutlicht die politischen Probleme der Gegenwart, nämlich dann, wenn sie den Alltag der indigenen Statisten/innen Zum Inhalt: dokumentiert: Wie einst die Indios gegen die Truppen von Kolumbus wehren sie sich gegen den international agierenden Wasserkonzern und den ihn unterstützenden bolivianischen Staat. Das Interesse von Zum Filmarchiv: "Und dann der Regen" richtet sich bei diesen Spiegelungen vor allem auf die psychologische Entwicklung der Hauptfiguren. Besonders einzelne Mitglieder des spanischen Filmteams - hier vor allem der Produzent Costa - durchlaufen bei dieser Vergegenwärtigung spannende Entwicklungen. Durch die Verknüpfung von historischen mit aktuellen Ereignissen stellt der Film jedem der Protagonisten/innen - und mit ihm den Zuschauern/innen - die Notwendigkeit vor Augen, die Widersprüchlichkeit der eigenen Handlungen zu reflektieren und aus den historischen Erfahrungen heraus Haltungen für die Gegenwart einzunehmen.