Kategorie: Sequenzanalyse
Let it glow: Lichter in der Dunkelheit
"Tony, Shelly und das magische Licht" handelt von der Kraft der Freundschaft – und davon, dass für Kinder Fantasie von der Realität nicht zu trennen ist. Unsere Sequenzanalyse zeigt, wie das im Animationsfilm umgesetzt ist.
Tauben fliegen über die blaugraue Stadt und landen schließlich auf dem Fenstersims vor dem in warmen Farben erleuchteten und heimelig wirkenden Zimmer von Tony. Schon von der ersten Zum Inhalt: Szene an spielt "Tony, Shelly und das magische Licht" mit Kontrasten. Warme Farben (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) treffen auf kalte, Licht konkurriert mit Dunkelheit (Glossar: Zum Inhalt: Lichtgestaltung), leeren großen Räumen werden kleine gemütliche gegenübergestellt. Diese gestalterischen Kontraste werden zu einem bedeutenden erzählenden Mittel des Zum Inhalt: Animationsfilms, in dem es – nicht nur metaphorisch gesprochen – über den Sieg des Lichts über die Dunkelheit geht.
Das Kinderzimmer als geschützter Raum der Fantasie
Sein inneres Leuchten ist für Tony dabei von Beginn an zweischneidig. In seinem direkten Umfeld sorgt es für Misstrauen. Seine Eltern leinen ihn an und verbieten ihm, sich frei zu bewegen, so dass Tony sich für sein Aussehen schämt und am liebsten versteckt. Die Nachbarstochter findet ihn zwar interessant, hat aber nie gelernt, ihre Gefühle adäquat auszudrücken, und ist schließlich dazu übergegangen, ihn zu hänseln, damit sie von ihm beachtet wird. Nur Shelly erkennt, was in Tony steckt und freundet sich mit ihm an. So, wie Shelly im Lichtkegel ihrer Taschenlampe die Welt bunter, fantasievoller und freundlicher machen kann, indem sie etwa Blumen erscheinen lässt oder dem Hausmeister einen prächtigen Federschmuck auf den Kopf zaubert, so kann auch Tony die Grenzen der Realität aufheben. Sichtbar wird dies, als er Shelly in einer Szene des Films seine "Festung" zeigt.
In Tonys Zimmer befindet sich eine Burg aus Kissen und Decken, genau so, wie viele Kinder sie manchmal in ihrem Zimmer bauen, um sich darin zu verstecken. Doch sobald Shelly und Tony den Eingang zu dieser Festung passieren, geschieht etwas Überraschendes. Wir tauchen nicht etwa ein in eine enge kuschelige Höhle, sondern in einen riesigen Saal. Tony und Shelly können aufrecht durch diesen Raum gehen, dessen Boden mit bunten Kissen bedeckt ist und dessen Decke aus wallenden Tüchern und Decken besteht – eine zwar große, aber doch auch sehr gemütliche, ungemein farbenfrohe Höhle. "Ich lebe hier drin", erklärt Tony Shelly, weil seine Eltern seine Leine kurz hielten. Die Festung steht für Tony also auch für Freiheit, es ist ein Raum der Fantasie, in dem er geschützt ist vor der dunklen Außenwelt, den Regeln der Eltern, den unangenehmen Blicken der anderen. Die Klaviermusik (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) schwillt in diesem Augenblick an und mit ihrer Taschenlampe setzt Shelly noch gleich eins oben drauf: Sie lässt – flächige, aber ebenso farbenfrohe – Dinosaurier in der Kissenwelt erscheinen, Tierschreie sind zu hören, alles wird noch fantastischer, als es ohnehin schon ist.
Aufhebung der Grenzen: Das Fantastische wird real
Bemerkenswert ist, wie selbstverständlich die Figuren mit den unrealistischen Größenverhältnissen umgehen. Shelly findet die Festung zwar cool, aber wundert sich nicht über die Größe. Sie interessiert eigentlich nur, wie lange Tony daran gebaut habe. So führt der Film vor, was auch für viele junge Kinder selbstverständlich ist: dass fantastische Welten und reale Welten nicht strikt getrennt sind.
Während die Musik immer komplexer wird, wobei helle Glockenklänge das Traumhafte der Szene unterstreichen und hörbar machen, springen Tony und Shelly auf eine Matratze und beginnen eine abenteuerliche Schlittenfahrt durch die Höhle, bei der Tonys Leuchten die ohnehin schon hellen Deckenwände noch mehr erstrahlen lässt. Die Zum Inhalt: Bildkomposition ändert sich dabei zum ersten Mal, die Nahaufnahmen werden ersetzt durch Totalen und weite Kameraeinstellungen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen), die die Größe von Tonys magischer Festung noch deutlicher werden lassen. Es ist eine ganze Welt, die Tony hier erschaffen hat, mit Abhängen und Brücken, später auch einem See, über den Tony und Shelly mit einem Kissenboot fahren, was aus der Vogelperspektive (Glossar: Zum Inhalt: Kameraperspektiven) so aussieht – Zum Filmarchiv: "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger" ("Life of Pi" , Ang Lee, USA/GB/TW 2012) lässt grüßen –, als würden sie durch ein buntes All schweben.
Diese Szene hebt sich deutlich vom Rest des Films ab. Metaphorisch vermittelt sie einen Einblick in Tonys Gefühle und visualisiert seine Sehnsucht nach Freiheit. Dass diese Welt anders ist, veranschaulicht der Film auch durch ein weiteres gestalterisches Mittel. Denn sobald die Kinder die Festung betreten, wechselt das normale Breitbildformat von etwa 1,85:1 zu einem breiteren Zum Inhalt: Bildformat. Das Bild wirkt dadurch epischer. Die Breite der Räume wird deutlicher betont, während die in der Realität angesiedelten Filmszenen seitlich eher begrenzt wirken.
Wie Räume durch die Farbgestaltung und das Szenenbild (Glossar: Zum Inhalt: Production Design/Ausstattung) im Gegenzug eher kleiner wirken können, zeigt eine Szene später im Film. Shelly hat Tony bei einem Streit als "Freak" bezeichnet. Dennoch besucht Tony sie danach zu Hause. Aus der Zum externen Inhalt: Over-Shoulder- (öffnet im neuen Tab)Perspektive sehen wir einen Raum voller Kisten, der kaum Raum zur Bewegung lässt. Nach hinten läuft der Raum eng zusammen, die Wände sind grau, die überall gestapelten Kisten grau, weiß oder schwarz, dazwischen steht Shellys Mutter mit der strengen Frisur, dem schwarzen Kleid und der blassen Haut. Inmitten dieser Nicht-Farben wirkt Tony mit seinem in warmem Gelb leuchtenden Kopf und seiner gelben Kleidung wie ein Fremdkörper. Wenn eine Kamerafahrt ihn (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) beim Gang durch die Wohnung begleitet und dabei im Zentrum des Bildes platziert, dann scheint Tony die Dunkelheit links und rechts von sich durch seine Präsenz zu vertreiben.
Leuchtende Kraft der Fantasie
In wenigen Worten begraben Tony und Shelly ihren Streit, wobei auch Tonys Gutmütigkeit und seine Bereitschaft, Shelly zu verzeihen, durch sein Leuchten visualisiert wird. Mit einer langsamen Fahrt bewegt sich die Kamera hinter Kisten durch den Raum, während Tony und Shelly sich umarmen und im Hintergrund eine Coverversion von John Denvers Leaving on a Jet Plane, das gerade im Radio im Nebenzimmer gespielt wird, immer lauter anschwillt und den bevorstehenden Umzug von Shelly und ihrer Mutter auch durch den Songtext spiegelt. Auch in diesen Zum Inhalt: Einstellungen bringt Tony, ganz bildlich, durch sein Leuchten Wärme und Menschlichkeit in den Raum. Kleine Geisterwölkchen, die an die Rußmännchen aus Miyazakis Mein Nachbar Totoro (JP 1988) erinnern, machen unterdessen Shellys Mutter zu schaffen. Sie umschwirren sie, sind stets präsent – wie pessimistische Gedanken, die man einfach nicht loswird.
Auf geradezu poetische Art und Weise gelingt es "Tony, Shelly und das magische Licht " durch seinen durchdachten Einsatz einer Vielzahl filmischer Gestaltungsmittel immer wieder, das eigentlich Unsichtbare sichtbar zu machen. Sorgen, Ängste und Sehnsüchte werden so in Bilder gefasst, dass sie begreifbar werden. Und über allem stehen das magische Leuchten von Tony und die magische Taschenlampe von Shelly als Metaphern für die Kraft der Fantasie, für Menschlichkeit und Empathie.