Kategorie: Interview
„Die Bankenkrise war im Grunde eine Vertrauenskrise“
Der Finanzexperte Christoph Große Steffen erklärt im Interview die Hintergründe der Finanzkrise und die Konsequenzen, die die Politik und die Großbanken aus dem Crash zogen.
Christoph Große Steffen studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster und an der Universität Panthéon-Assas in Paris. In seiner Dissertation "Essays on Macro-Financial Linkages in the Open Economy" beschäftigte er sich mit dem Einfluss internationaler Banken auf Konjunkturverläufe und die Entstehung von Finanz- und Staatsschuldenkrisen. Große Steffen arbeitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Bereich der Konjunkturanalyse und forscht zu Fragen der internationalen Makroökonomik.
Herr Große Steffen, es kursieren verschiedene Bezeichnungen im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2007/08. Man liest immer wieder von einer Immobilienkrise, aber auch von der Hypotheken- und Bankenkrise. Worum handelte es sich tatsächlich?
Alle drei Begriffe sind korrekt, sie beschreiben die unterschiedlichen Stadien der Finanzkrise. Die Immobilienkrise entstand dadurch, dass etwa 2007 die Immobilienpreise in den USA stagnierten und schließlich fielen. Das war damals ungewöhnlich, weil die Wachstumsraten über einen Zeitraum von zehn Jahren zum Teil rasant gestiegen waren. Die Preissteigerungen im Immobiliensektor waren jedoch die ersten Anzeichen einer aufziehenden Krise. In dieser Zeit gab es sehr günstige Finanzierungsbedingungen für Haushalte, die unter anderen Umständen keinen Kredit bekommen hätten. Der Grund dafür war das niedrige Zinsumfeld, das die US-Notenbank aus Angst vor einer Inflation in Folge der geplatzten Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre bewusst herbeigeführt hatte.
Sie meinen die sogenannten "Subprimes": minderwertige Kredite, die als Auslöser der Krise gelten?
Genau. Die Entstehung dieses Marktsegments ging auf eine Neuerung im US-Finanzsystem zurück, die dazu geführt hatte, dass Subprime-Kredite in Form von Wertpapieren verbrieft werden konnten und damit handelbar waren. Diese Entwicklung führte zunächst zu einem starken Kreditwachstum bei gleichzeitig sehr laxen Kontrollen der Risiken. Und damit befinden wir uns auch schon mitten in der Hypothekenkrise, denn durch den Werteverfall der Immobilien konnten viele Kreditnehmer ihre Hypotheken, die unrealistisch kalkuliert waren, nicht mehr zurückzahlen. Und weil diese Kredite von Banken vergeben wurden, aber aufgrund der Intransparenz der Geschäfte eigentlich niemand mehr sagen konnte, welche Bank wie viele Hypotheken trug, kam es schließlich zur Bankenkrise, die im Grunde eine Vertrauenskrise war.
Eine Krise des Vertrauens in die Banken?
Eine Krise des Vertrauens der Banken untereinander. Neben der Verbriefung der Kredite ist es üblich, dass sich Banken am Interbankenmarkt gegenseitig Geld leihen. Teilweise nur für ein paar Stunden, manchmal für einige Tage. Weil die Zeiträume so kurzfristig sind, sind diese Kredite nicht besichert. Dieser Markt basiert auf dem Vertrauen, dass in den zwei Tagen, bis der Kredit zurückgezahlt wird, das Institut noch existiert und die Rückzahlung tätigen kann. Als jedoch klar war, dass verschiedene Banken diese minderwertigen Kredite in großer Zahl hielten (und damit haftbar waren) und es gleichzeitig aufgrund schlechter Bilanzierung keine Transparenz darüber gab, welche Bank von dem Szenario betroffen war, hörten einige vorsichtige Institute auf, auf dem Interbankenmarkt Geld zu verleihen. Und dadurch kam der Kreislauf, der die Zahlungsfähigkeit des Finanzsystems kurzfristig aufrechterhält, innerhalb weniger Tage zum Erliegen.
Wann waren die ersten Anzeichen einer Krise in den USA zu erkennen?
Im August 2007 deutet sich bereits an, dass die Banken das Vertrauen ineinander verlieren. Im Herbst 2008 spitzte sich die Lage dann noch einmal dramatisch zu und führte schließlich zum Konkurs des Bankinstituts Lehman Brothers. Und dieser Einbruch löste einen Domino-Effekt aus, weil alle Banken geschäftlich miteinander zusammenhingen.
Wieso reagiert niemand frühzeitig, wenn sich die Krise bereits ein Jahr zuvor abzeichnete?
Die US-Zentralbank hatte sich früh besorgt gezeigt, aber die Situation völlig verkannt. Es stellte sich zum Beispiel erst im Nachhinein heraus, wie intransparent der Handel mit verbrieften Wertpapieren, die aus den erwähnten Hauskrediten bestanden, tatsächlich gewesen ist. Dadurch kam es zu einer gefährlichen Konzentration von im Grunde faulen Hypothekenkrediten. Diese Konzentration war auch von politischer Seite völlig undurchschaubar, weil ein Regulierungsinstrument fehlte.
Die Krise kam noch im selben Jahr auch in Deutschland an. Wie konnte sich diese US-spezifische Konstellation auf den hiesigen Finanzmarkt auswirken?
Indirekt, weil deutsche Banken ebenfalls auf dem globalen Interbankenmarkt agieren. Auf der anderen Seite kauften auch deutsche Banken die verbrieften Hypothekenkredite aus den USA und setzten sich damit einem Risiko aus. In Europa waren die Banken in der Verschleierung dieser Risiken nicht minder kreativ, um die Gewinnaussichten zu erhöhen. Sie haben diese Geschäfte einfach in Zweckgesellschaften ausgelagert. Die deutschen Landesbanken, denen z.B. auch die Sparkassen unterstehen, haben sich da besonders hervorgetan, weil sie nach der europäischen Finanzmarktintegration im Jahr 2005 nicht mehr über den Vorteil verfügten, sich durch Bürgschaften ihrer Landesregierung günstig refinanzieren zu können. Sie standen also plötzlich auf eigenen Beinen und suchten nach rentablen Renditestrategien – z.B. durch die Kreditverbriefung aus den USA. Man muss also auch mangelndes Verständnis in den Kontrollgremien und den Verwaltungsräten der deutschen Institute konstatieren, die diese Produkte schlichtweg nicht verstanden haben. Diese Gremien waren häufig politisch und nicht fachlich besetzt.
Lässt sich rückblickend erklären, warum dieses wirtschaftlich riskante Geschäftsmodell auf Verwaltungsebene so lange gedeckt wurde?
Es ist inzwischen auch wissenschaftlich erwiesen, dass die Anreizsysteme im Bankmanagement, die sich an Boni orientieren, die wiederum an kurzfristige Rendite gekoppelt sind, fehlerhaft waren. Im Gegensatz dazu setzt heute die Basel-III-Regulierung, eine neue EU-weite Richtlinie als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise, die Boni in Relation zum Einkommen im Management fest. Damit sind schon die ersten Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise in Regulierungen umgesetzt worden.
Welche anderen Schritte wurden eingeleitet?
Das ist eine lange Liste. Zu den wichtigsten Änderungen gehören: die neuen Richtlinien bei der Risikobewertung in den Banken, die Erhöhung der Eigenkapital-Anforderungen bei Krediten, schärfere Vorschriften bei der Bilanzierung von Verbriefungen, damit Finanzinstitute zukünftig die Risiken ausweisen, und die Einführung eines Notfallplans, sodass Banken im Konkursfall auch abgewickelt werden können. Letzteres ist eine Reaktion auf das "Too Big To Fail"-Problem, das sich als größte Herausforderung in der Krise 2008 erwies, da man die Großbanken gar nicht effektiv schließen konnte, weil eine Bankenpleite die nächste nach sich gezogen hätte.
Wurde auch in Deutschland eine externe Regulierungsbehörde installiert?
Die gab es schon immer: das Bundesamt für Finanzaufsicht (BAFIN). Das BAFIN ist für die mikroprudenzielle Aufsicht zuständig, d.h. es prüft jedes Institut für sich. Die Krise 2007/08 trug aber zu der Erkenntnis bei, dass sich auch in der Gesamtwirtschaft Risiken aufbauen können – wenn sich z.B. viele Kredite gleichzeitig als faul erweisen. Diese makroprudenzielle Aufsicht untersteht der Bundesbank und auf europäischer Ebene der EZB und ist eine direkte Reaktion auf die Bankenkrise. Diese Institutionen sind mit der Vollmacht ausgestattet einzugreifen, sobald sie etwa feststellen, dass dem Markt eine Immobilienpreisblase droht.
Sie sprachen gerade von einem Mangel an Wissen innerhalb der Kontrollgremien. Michael Lewis behauptet in "The Big Short" aber auch, dass es eine Taktik war, mit dubiosen Begrifflichkeiten gezielt Verwirrung zu stiften. Hatte es tatsächlich Methode, die Kundinnen und Kunden im Unklaren zu lassen?
Das ist ganz schwer nachzuweisen. Im Zuge der Enthüllungen wurden aber immer wieder E-Mails veröffentlicht, an denen man anekdotisch nachweisen kann, dass einige Bankmanager wussten, welchen Sprengsatz sie verkauften. Wenn man es positiv ausdrücken möchte, könnte man sagen, dass ein Irrglaube an die Möglichkeiten der Finanzprodukte vorherrschte: Dass man nämlich Produkte von unterschiedlichem Wert in den Anleihen nur gut durchmischen müsste, damit sich die Risiken gegenseitig aufheben. Viel interessanter ist in diesem Zusammenhang aber der Aspekt der Haftung. Unter Bankmanagern herrschte lange die Haltung vor, dass der Staat die Bank im Notfall schon durch einen „Bailout“ retten würde. Was ja auch tatsächlich geschah. Darum war die Hemmschwelle, sich auf riskante Spekulationsgeschäfte einzulassen, so niedrig. Die kurzfristigen Boni wurden eingestrichen, die über einen langen Zeitraum akkumulierten Schulden dagegen vergesellschaftet.