Steffi Niederzoll studierte Zum Inhalt: Regie an der Kunsthochschule für Medien Köln und an der Internationalen Hochschule für Film und Fernsehen in Kuba. Ihre Zum Inhalt: Kurzfilme wurden auf verschiedenen Festivals gezeigt, sie arbeitet erfolgreich als Regisseurin und als Drehbuchautorin. Zum Filmarchiv: "Sieben Winter in Teheran" ist ihr erster langer Kino- Zum Inhalt: Dokumentarfilm.

kinofenster.de: Frau Niederzoll, wie und unter welchen Umständen sind Sie auf die Geschichte von "Sieben Winter in Teheran" gestoßen?

Steffi Niederzoll: Das war Zufall. Ich hatte einen iranischen Partner und der war 2016 als Artist in Residence in Istanbul. Als ich ihn besuchte, habe ich Familienmitglieder von Reyhaneh kennengelernt. Wir haben uns angefreundet und sie haben mir einige der Handy-Aufnahmen gezeigt. Bis dahin wusste ich über den Fall nicht viel. Doch dann hat mich die Familie gefragt, ob ich nicht mit diesem Material einen Film machen möchte. Erst habe ich gezögert. Ich spreche kein Persisch, ich war nie im Iran. Das bedeutet, es muss viel übersetzt werden, viel verstanden und viel erklärt werden. Dass ich mich dafür entschieden habe, lag vor allem an dem unglaublich spannenden Material und daran, dass ich Reyhanehs Mutter Shole kennengelernt habe und gleich das Gefühl hatte, ihr sehr nah zu sein. Wir haben sehr lange miteinander gesprochen, bevor ich überhaupt angefangen habe, etwas zu schreiben.

kinofenster.de: Haben Sie daran gedacht, für den Film auch offizielle Stellen im Iran zu befragen, die Ermittler oder die Familie des Täters einzubeziehen?

Steffi Niederzoll: Letztlich habe ich mich ganz bewusst dafür entschieden, den Film aus der Perspektive der Familie zu drehen. Dennoch habe ich vor allem anfangs versucht, sehr kritisch auf ihre Erzählung zu schauen. Aber die Beweise und das schlüssige Narrativ haben mich überzeugt, dass Reyhanehs Version sehr wahrscheinlich ist und das staatliche Narrativ an vielen Stellen Fragen unbeantwortet lässt. Was mich darüber hinaus interessiert hat, war, wie das iranische System darauf reagiert, dass sich eine junge Frau wehrt. Aber die Ermittler oder auch die Richter standen nicht für Interviews zur Verfügung. Es gibt nur ein paar wenige Aufnahmen, die Unterstützer/-innen im Iran heimlich für mich gemacht haben, um die verschiedenen Orte des Geschehens wenigstens von außen zeigen zu können. Schon das war sehr gefährlich und ich bin den Helfer/-innen, die aus verständlichen Gründen anonym bleiben, für ihre Hilfe sehr dankbar. Ein Gespräch mit der Familie des erstochenen Täters Sarbandi hätte ich sehr gerne geführt, doch dazu kam es nicht, weil die Familie keinen Kontakt wollte.

kinofenster.de: Ihr Materialfundus ist vielfältig: Es gab das Handy-Footage, aber kaum professionell gedrehtes Material aus dem Iran. Die Interviews mit den weiblichen Familienmitgliedern, die den Iran verlassen hatten, haben Sie selbst gedreht, das Gespräch mit Reyhanehs Vaters, der bis heute im Iran bleiben muss, wurde via Video-Chat aufgenommen. Dazu kamen Audio-Aufnahmen und Telefonate von Reyhaneh aus dem Gefängnis und die Modelle der wichtigen Orte der Handlung. Wie haben Sie aus diesem Material-Mix Ihren Film gebaut?

Steffi Niederzoll: Der Impuls, mit Modellen von Räumen zu arbeiten, entstand, weil mir Aufnahmen der authentischen Orte fehlten, denn diese Orte – wie die Gefängnisse oder der Gerichtssaal – waren nicht zugänglich. Ich habe viel Zeit in die Recherche investiert, um einen möglichst realistischen visuellen Resonanzraum zu schaffen, in dem das, was gesprochen wird, wirken kann. Dem gegenüber stand unglaublich viel Text. Reyhaneh hat nicht nur Tagebuch geschrieben, sondern immer auch nach draußen kommuniziert mit Briefen, aber auch mit Audiofiles, die als Selbstverteidigungsreden aufgenommen wurden, damit Shole mit diesem Material draußen für Reyhaneh kämpfen konnte. An manchen Stellen hört man also im Film wirklich Reyhanehs Stimme, die ich überall verwendet habe, wo es möglich war. Für die weiteren Texte, meist Briefe und Tagebucheinträge, die nur schriftlich vorlagen, habe ich dann nach einer persisch-sprachigen Zum Inhalt: Schauspielerin gesucht, die sie einspricht. Zum Glück habe ich die bekannte Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi dafür gewinnen können, die das großartig gemacht hat.

kinofenster.de: Ich muss gestehen, mir ist das beim Schauen erstmal gar nicht aufgefallen, dass das verschiedene Stimmen waren. Warum erfährt man nur, wenn man im Zum Inhalt: Abspann genau hinschaut, dass auch eine Schauspielerin spricht?

Steffi Niederzoll: Ich habe durchaus überlegt, das im Film zu thematisieren, aber mir ist keine gute Möglichkeit eingefallen, das zu tun. Ich wollte nämlich unbedingt vermeiden, dass ich als Erzählerin dieser Geschichte auftrete, denn hier geht es nicht um mich. So eine Art der Nabelschau hätte ich unangemessen gefunden angesichts der krassen Geschichte, die ich zu erzählen hatte.

kinofenster.de: Es gibt eine berührende Zum Inhalt: Szene, nämlich als Shole im Auto vorm Gefängnis sitzt und nicht weiß, ob ihre Tochter gerade in diesem Moment hingerichtet wird oder nicht. Diese Szene ist sehr wichtig, aber auch sehr intim. Haben Sie bei dieser oder anderen Szenen gezögert, sie zu verwenden?

Steffi Niederzoll: Diese Szene wollte ich immer im Film haben, weil ich sie so wichtig finde. In einem fiktionalen Zum Inhalt: Drehbuch würde man so eine Szene nie schreiben, weil man denkt, dass es so eine Situation eigentlich gar nicht geben kann, aber sie ist eben tatsächlich passiert. Und ich finde, in diesem Nebeneinander von Hoffnung und Schmerz ist sie so stark, dass man intuitiv begreift, wie furchtbar die Todesstrafe ist und was es heißt, in einem Staat zu leben, in dem die Menschen- und die Frauenrechte nichts zählen. Es gab tatsächlich andere Szenen, die ich für den Film zu gewalttätig fand und die ich rausgelassen habe. Aber hier hatte ich diese Bedenken nicht, auch weil Shole damit einverstanden war, dass ich diese Szene nutze. Es war in unserer Zusammenarbeit eher so, dass ich die zurückhaltendere war und Shole lieber die Gewalttätigkeit und Grausamkeit, welcher sie und ihre Familie durch die Regierung ausgesetzt war, expliziter zeigen wollte. Aber sie hat mir sehr vertraut, dass ich für den Film die richtigen Entscheidungen treffe. Sie und die gesamte Familie sind sehr zufrieden mit dem Film und stehen voll hinter ihm.

kinofenster.de: Wie gefährlich ist es für die Familie, vor allem den Vater im Iran, dass der Fall jetzt so eine Öffentlichkeit bekommt?

Steffi Niederzoll: Mir hatten alle Expert/-innen vorausgesagt, dass es vor allem in der Zeit gefährlich ist, solange der Film noch nicht öffentlich ist. Deshalb haben wir die Produktion absolut geheim gehalten, damit nicht bekannt wird, dass wir an dem Thema arbeiten und wir die Leute, die uns geholfen haben, schützen können. Der Vater hat nach der Veröffentlichung des Films einen Anruf bekommen, in dem ihm nahegelegt wurde, Einfluss auf seine Frau zu nehmen, damit die den Mund hält, aber er hat schlicht geantwortet, dass er seiner Frau in Deutschland gar nichts befehlen kann. Und seitdem wurde Fereydoon im Iran bisher in Ruhe gelassen. Aber die Chancen, dass er den Iran auch noch verlassen kann, stehen leider nicht gut. Man muss sich bewusst machen, dass sich Reyhanehs Familie bewusst dafür entschieden hat, ihre Stimme zu erheben und sich nicht einschüchtern zu lassen.

kinofenster.de: Welche Bedeutung hat dieser Fall über die Grenzen des Irans hinaus?

Steffi Niederzoll: Reyhanehs Fall hat so viele Facetten und ich merke bei jeder Vorstellung, wie sehr Reyhanehs Schicksal die Menschen berührt. Es kommen immer wieder nach dem Film Frauen zu mir, die sagen, ich habe deinen Film gesehen, ich bin auch vergewaltigt worden. Und jetzt zeige ich diesen Mann an. Viele Iranerinnen erzählen auch, dass sie jemanden kennen, der hingerichtet oder gefoltert wurde. Es ist, als würde ich ihre Geschichte erzählen. Und ich merke, dass es wichtig ist, Reyhanehs Familie zu zeigen – eine moderne Familie jenseits der Stereotype, die man über iranische Familien im Kopf haben könnte. Ich merke immer wieder, wie froh ich bin, nicht dieser vollkommenen Willkür ausgesetzt zu sein, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Natürlich sehe ich auch manches, was hier gesellschaftlich passiert, kritisch, aber gleichzeitig wird mir klar, dass wir wertschätzen und schützen müssen, was viele andere Frauen und Männer hier in Deutschland und Europa für uns erstritten haben.

kinofenster.de: Für wie wichtig halten Sie Filmbildung?

Steffi Niederzoll: Filmbildung halte ich für essenziell. In meiner eigenen Schulzeit gab es das überhaupt nicht. Es wurden schon mal Filme gezeigt, aber eigentlich vor allem, wenn es eine Literaturverfilmung war, oder die Ferien vor der Tür standen und man mit dem Stoff schon durch war. Dass Film nicht nur ein Unterhaltungsmedium, sondern eine Kunstform ist, dass man im Schauen geschult werden kann, und und und, das kam in meiner Schulbildung nie vor. Ich hoffe für alle Schüler/-innen, dass sich da die Schule und die Lehrenden weiter entwickelt haben.