Mercy Njueh ist Journalistin. Sie arbeitet als Menschenrechtsaktivistin bei der National Gay and Lesbian Human Rights Commission (NGLHRC) in Nairobi und setzt sich in ihrer Arbeit für die rechtliche Gleichstellung von Minderheiten in Kenia ein. Bei der NGLHRC ist sie für Kommunikation und Pressearbeit zuständig.

Der Film Zum Filmarchiv: "Rafiki" ist nach seinem Erscheinen in Kenia verboten worden. Warum?

Das Kenya Film Classification Board (KFCB), die nationale Zensurbehörde, hat den Film verboten. Das Verbot wurde damit begründet, dass "Rafiki" das Thema gleichgeschlechtliche Liebe positiv beleuchte und damit die Homosexualität fördere.

Wie sieht die rechtliche Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*personen in Kenia heute aus und was bedeutet das für ihren Alltag?

Diskriminierung gehört leider zum Alltag. Das Strafgesetzbuch kriminalisiert Homosexualität noch immer und schreibt eine Strafe von bis zu 14 Jahren für "Geschlechtsverkehr gegen die Naturordnung" und für "unanständige Praktiken zwischen Männern" vor. Momentan gehen wir und andere LGBGTIQ-Organisationen vor Gericht gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen vor.

Sie arbeiten für die Nichtregierungsorganisation National Gay & Lesbian Human Rights Commission (NGLHRC). Wann wurde sie gegründet und aus welchem Anlass?

Die NGLHRC wurde 2012 von sechs jungen Anwält*innen gegründet, die der Meinung waren, dass Diskriminierung nicht nur durch Gesetze vorgebeugt werden kann. Ein sozialer Wandel funktioniert nur dann, wenn er durch öffentliche Aufklärung ergänzt wird. Kenia durchlief nach der Verkündung einer neuen Verfassung im August 2010 viele wichtige demokratische Prozesse. Einige der NGLHRC-Gründer*innen waren damals an Einreichungen für die neuen Verfassungstexte beteiligt. Es ging ihnen dann nach Inkrafttreten der Verfassung darum, die Werte, die hinter der neuen Verfassung stehen, mit Leben zu füllen. Heute liegt unser Schwerpunkt auf der Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Liebe.

Wie genau sah Ihre Arbeit am Anfang aus?

Die Grundlage unserer Arbeit war eine Studie, die wir durchgeführt haben, um die Bedürfnisse und Prioritäten der LGBTIQ-Community zu verstehen. Die Studien-Ergebnisse haben gezeigt, dass vor allem die diskriminierenden Gesetze ein wesentliches Hindernis für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen sind. Denn sie wirken sich natürlich auf die gelebte Realität der Community in Kenia aus. Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass vor allem die Rechtshilfe gefördert werden muss, um Diskriminierung und Ausgrenzung zu verhindern. Wir haben 2013 ein Pilotprogramm zur Rechtsverteidigung eingeführt. Dieses sollte einerseits Rechtshilfe für LGBTIQ-Personen gewähren, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität Opfer von Diskriminierung werden. Anderseits diente das Programm dazu, solche Verstöße überhaupt erst einmal aufzuzeichnen und Schritte zur Beseitigung dieser Verstöße zu unternehmen. Die Rechtsmittel, die wir haben, umfassen eine Beratung und die Unterstützung bei Verwaltungsverfahren und auch die direkte rechtliche Vertretung vor Gericht.

Wie sieht ihre Arbeit heute und ganz praktisch aus?

Seit 2012 sind wir die zentrale Anlaufstelle für Rechtshilfe und bieten diesen Service über unser Büro in Nairobi an. Unser geschultes Team von Anwält*innen bietet LGBTIQ-Personen in Kenia täglich kostenlose Rechtsberatung und Unterstützung in den Bereichen Diskriminierung, körperliche und verbale Angriffe, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, gewaltsame Vertreibungen, Erpressung und rechtswidrige Entlassungen. Die Arbeit umfasst aber auch andere Programme, die darauf abzielen, LGBTIQ-Personen den Zugang zu Rechtsmitteln zu erleichtern und ihre Gefährdung durch Gewalt und Diskriminierung zu verringern.

Wie wichtig ist dabei die Öffentlichkeitsarbeit?

Wir organisieren und veranstalten Kunstausstellungen. Wir richten die Annual Upinde Awards aus, bei denen jährlich Menschen geehrt werden, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen. Wir halten aber auch Vorträge an Universitäten. Die politische Bildung von LGBTIQ-Personen in Bezug auf ihre Rechte als queere Bürger*innen ist uns wichtig. Sensibilisierungstrainings mit Polizeibeamten, Politikerinnen und Richtern, Staatsanwältinnen, Gerichtsdienern und Ermittlungsbeamten führen wir ebenso durch, um in diesen Gruppen auf die Bedürfnisse von LGBTIQ-Personen hinzuweisen. Das ist wichtig und wir sind in einem ständigen Prozess, da unser Land den Konstitutionalismus und die Rechtsstaatlichkeit zunehmend anerkennt.

Erhalten Sie Unterstützung von der Politik?

Nicht offiziell.

Welche Rolle spielt die Religion im Kontext der Gleichstellung von LGBTIQ-Personen in Kenia?

In den meisten Fällen wird Religion noch immer dazu benutzt, LGBTIQ-Personen zu diskriminieren, da ein großer Teil der Religionsangehörigen Homosexualität als unreligiös und gegen Gottes Wünsche und Willen bezeichnet.

Wie wird Homosexualität heute in der kenianischen Öffentlichkeit diskutiert?

In der Öffentlichkeit wird nicht mehr flüsternd über Homosexualität gesprochen – und damit ist schon viel gewonnen. Es wird immer noch nicht überall offen diskutiert, aber die Tatsache, dass die Leute darüber reden, ist schon ein Fortschritt. Es gibt immer mehr öffentliche Diskussionen, in denen für die Menschenrechte und die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen eingetreten wird. Trotzdem wird das Thema von politischer Seite oft als "westliche Agenda" bezeichnet. Der Film "Rafiki" hat dahingehend etwas bewegen können, weil er das Thema öffentlich gemacht hat. Aber es muss noch viel getan werden, um die Meinungen und Überzeugungen in Bezug auf Homosexualität zu entmystifizieren.

Welche Rolle spielt die Kunst in Kenia für die Gleichberechtigung von Homosexuellen?

Kunst kann genutzt werden, um die Herausforderungen von LGBTIQ-Personen
in Kenia hervorzuheben und die Kenianer dazu aufzufordern, die Rechte
aller Kenianer unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität zu respektieren.