Kategorie: Hintergrund
Carmen Losmann über ihren Film "Oeconomia"
Ökonomische Prozesse lassen sich visuell nur schwer vermitteln. Gerade das hat Carmen Losmann an ihrem Dokumentarfilm "Oeconomia" gereizt. Für kinofenster.de hat die Regisseurin ihre Herangehensweise erklärt.
Die Dokumentarfilmerin Carmen Losmann hat sich nach ihrem mehrfach prämierten Film
Wenn ich gefragt werde, warum ich Filme über die kapitalistische Wirtschaft mache, frage ich mich eher: Warum wird das im Film eigentlich so wenig behandelt? Ich bin der Auffassung, dass unser aller Leben durchdrungen ist von der Ideologie des Kapitalismus. Und ich selbst will gerne begreifen, wie sie auf mich und durch mich hindurch wirkt. Deshalb mache ich Filme zu diesen Fragen.
Bei meinen letzten beiden Filmen, "Oeconomia" und "Work Hard - Play Hard," scheine ich damit Themen gewählt zu haben, die sich zumindest auf den ersten Blick nicht für eine filmische Erzählweise anbieten. Ökonomische Prozesse funktionieren strukturell und nicht individualisiert, sind also schwierig in Bildern zu vermitteln, aber gerade das hat mich auch herausgefordert. Während der Recherche versuche ich, ausgehend vom jeweiligen Thema, eine passende Filmästhetik zu konzipieren. Die ist dann in jedem Film ein wenig anders. Als ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert habe, war mein Ausgangspunkt der beobachtende Zum Inhalt: Dokumentarfilm-Stil. Bei "Work Hard - Play Hard" konnte ich in den Unternehmen noch Zum Inhalt: Szenen filmen, die auch ohne die Präsenz der Kamera so oder so ähnlich stattgefunden hätten. Beim Dreh von "Oeconomia" war das nicht mehr möglich.
Ein schwieriger Produktionsprozess
Begonnen hat die Arbeit an "Oeconomia" 2012, als ich das Gerd-Ruge-Stipendium bekommen habe und mich einige Jahre der Recherche widmen konnte. Ich hatte zunächst etwa zwölf Stationen recherchiert und wollte eine ähnliche episodische Struktur wie in "Work Hard - Play Hard" entwickeln. Aber in dieser Form war der Film nicht zu realisieren. Einige Drehgenehmigungen wurden wieder zurückgenommen, in anderen Fällen wurden Bedingungen kurzfristig geändert. Die Möglichkeiten, diesen Film zu machen, waren also an enge Vorgaben gebunden. Das hat mich in der Zum Inhalt: Montage dazu veranlasst, diese Schwierigkeiten zu thematisieren: Ich bin durch den Zum Inhalt: Voiceover oder im Zum Inhalt: Off als Figur präsent, man hört die Kommunikation im Vorfeld, erfährt den Kontext, in dem Interviews geführt und Szenen für die Kamera simuliert wurden.
Grundsätzliche Fragen, paradoxe Antworten
In den Interviews hatte ich kein investigatives Interesse in dem Sinne, Geheimnisse oder Skandale aufdecken zu wollen. Sondern ich bin ich mit grundsätzlichen Fragen an meine Gesprächspartner herangetreten, und zwar bei jeder Institution mit einem anderen Schwerpunkt. In der Szene auf der Hauptversammlung von BMW zum Beispiel wird verkündet, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr 7,2 Prozent Gewinn gemacht hat. Von Nicolas Peter, dem Finanzvorstand, wollte ich wissen, wie dieser Gewinn entsteht, wo das zusätzliche Geld dafür herkommt. BMW steht hier stellvertretend für einen gesamten Unternehmenssektor, der Produkte nur produziert, wenn es Aussicht auf Gewinn gibt. Das erscheint selbstverständlich, bedeutet gesamtwirtschaftlich aber – und das bestätigt das Interview –, dass die Geldmenge wachsen muss. Und wenn die Geldmenge wächst, wächst eben auch die Gesamtverschuldung im System.
Ich habe mich mit grundsätzlichen, letztlich naiven Fragen dem Thema genähert und bin dabei auf manche Paradoxie gestoßen. Die Verblüffung mancher Interviewpartner über die Fragen ist dann natürlich ein Teil von dem, was Film zu leisten imstande ist, weil diese Momente der Sprachlosigkeit sichtbar werden. Wirtschaftsakteur/-innen stellen sich diese Fragen im Alltag offenbar nicht und sie müssen auch keine Widersprüche und Leerstellen in diesem System hinterfragen. Die Verblüffung zeigt vielleicht auch, dass wir uns hier in Narrativen, in ideologischen Frameworks ökonomischer Modelle bewegen, die einen wesentlichen Teil der Realität nicht erkennen können.
Eine didaktische Formsprache
Wirtschaftliche Zusammenhänge sind für einen Dokumentarfilm eine komplexe Materie, deshalb habe ich mit Testscreenings gearbeitet. Als ich die Rohschnittfassung von "Oeconomia" einer Filmklasse gezeigt habe, kam bei den Studierenden die Frage auf: "Ist das ein Film, bei dem man nichts verstehen soll?" Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis, denn ich wollte dieses Thema, das mich seit Jahren beschäftigt, unbedingt in eine verständliche Form bringen. Um selbst einen besseren Zugriff zu finden, haben mein Editor Henk Drees und ich die Zusammenhänge mit grafischen Darstellungen visualisiert. Aus der Not haben wir dann eine Tugend gemacht: Aus den Grafiken hat sich peu à peu die Formsprache mit dem Computer-Desktop entwickelt. Ich habe die Schaubilder zunächst mit einem simplen Mindmapping-Programm erstellt und als Desktop-Aufnahme gefilmt, erst später hat der Grafikdesigner Michael Deeg das noch mal ausgefeilt. Über diese didaktische Ebene im Film bin ich froh, weil sie hoffentlich auch Leuten, die wenig Vorwissen zum Thema haben, ein Verständnis ermöglicht.
Spiegelungen und Glasfassaden
Die Bildästhetik von "Oeconomia" habe ich gemeinsam mit dem Kameramann Dirk Lütter entwickelt. Wir haben vom Stativ gefilmt, dementsprechend hat die Zum Inhalt: Kadrage einen festen Rahmen. Innerhalb dieses Bildrahmens wollten wir die "Rahmenbedingungen" dieser Räume sichtbar machen: Wir haben versucht, die Muster oder die Matrix der Architektur darzustellen, einer nach ökonomischen Kriterien in Form gebrachten Welt. Das sind zumindest meine Assoziationen. Das zweite Prinzip ist das der Spiegelkabinette. Die Zum Inhalt: Inszenierung der Spiegelungen und Glasfassaden öffnet einen Raum für die Frage: Wie transparent sind eigentlich die Vorgänge in diesen Institutionen für uns Menschen? Die Komposition von Peter Rösner soll diese Bilder zum Klingen bringen, aber nicht düster wirken. Es ist gar nicht so leicht, über die Zum Inhalt: Musik einen Raum zu öffnen, der eine gewisse Uneindeutigkeit behält.
Es gibt Alternativen zum Kapitalismus
Die Episoden, in der sechs Personen in der Fußgängerzone von Frankfurt am Main Monopoly spielen, ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film. Die überarbeitete Version von Monopoly stammt von der Wirtschaftspublizistin Samirah Kenawi. Im Originalspiel bekommen die Spielenden Geld, wenn sie über Los gehen, und können damit investieren und ihre Vermögen aufbauen. Die Variante von Samirah Kenawi ist näher an der realen Form kapitalistischer Gelderzeugung: Geld entsteht hier durch Bankschulden – und mit steigenden Investitionen geht auch ein Wachstum der Geldmenge einher. Im Verlauf des Spiels wird deutlich, dass dies auch Probleme aufwirft, vor allem wenn der Markt gesättigt ist und keiner mehr neue Kredite aufnimmt und damit neues Geld in Umlauf bringt. Dann sind nämlich auch keine Gewinne mehr möglich. Im antiken Drama hat der griechische Chor die Aufgabe, das auszusprechen, was die Hauptcharaktere nicht zu sagen wagen. In diesem Sinne sind in "Oeconomia" die Monopoly-Spielenden eine Art griechischer Chor geworden.
Wenn ich am Ende des Films auf dem Computer-Desktop einen Ordner mit dem Namen "Recherche Alternativen" anlege, verweist das auf die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Mit dem Statement "There is no Alternative" hat Thatcher in den 1980er-Jahren das Programm des Neoliberalismus durchgesetzt und die Ideologie verfestigt, dass der Kapitalismus quasi ein "Naturgesetz" sei. Ich will das Publikum dazu anregen, selbst zu recherchieren, und auf eine Denk- und Handlungsrichtung hinweisen, die wir mittlerweile fast vergessen haben: Die kapitalistische Ökonomie ist ein gemachtes System – es gibt Alternativen.