Kategorie: Interview
"Unser Ziel war es, Kindern der Welt eine Stimme zu geben."
Regisseurin Sigrid Klausmann erläutert, warum sie die Perspektive von Kindern in den Mittelpunkt ihres Films "Nicht ohne uns!" stellt und erzählt von dem Projekt "199 kleine Helden".
Sigrid Klausmann arbeitete zunächst als Sportlehrerin, Tanzpädagogin und Choreografin mit Kindern und Jugendlichen zusammen, bevor sie das Filmemachen für sich entdeckte. Auch hier sind es die Themen der Kinder, die sie hauptsächlich interessieren. Sie ist Mitbegründerin des Projektes "199 kleine Helden", aus dem heraus der Zum Inhalt: Kinodokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Nicht ohne uns!" entstanden ist. Der Film lief mittlerweile auf über 20 Festivals weltweit und gewann unter anderem den Hauptpreis auf dem 24. Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz.
Welche Idee war zuerst da: einen langen Kinofilm zu drehen oder das Projekt "199 kleine Helden"?
Die Grundidee war, Kinder auf der ganzen Welt auf ihrem Schulweg zu begleiten und erlebbar zu machen, was Kinder eigentlich alles unternehmen, um jeden Tag ihre Bildung zu bekommen. Damals hieß das Projekt noch "199 Schulwege". Alle, die sich unsere Pilotfilme angesehen haben, meinten, dass sie nicht nur die Schulwege faszinierten, sondern vor allem die Kinder. Das seien doch alles kleine Helden. Uns hat das sofort eingeleuchtet, weil es unser Ziel war, Kindern der Welt eine Stimme zu geben und zu erfahren, wie sie die Zukunft sehen, wofür sie sich einsetzen wollen.
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
Zunächst waren natürlich die Wege zur Schule ein Ansatz: Wo, in welchem Land legen Kinder noch eine Strecke zurück, auf der sie wirklich eine Reise unternehmen, beispielsweise mit dem Schiff, dem Esel oder einer Gondel? Vor Ort haben wir dann oft Kontakt zu den Schulen aufgenommen und gute Tipps bekommen. Denn die Lehrer kennen ihre Schüler ja gut und wissen, welches Kind offen ist und gerne erzählt.
Können Sie etwas zu den Dreharbeiten mit den Kindern erzählen?
Um überhaupt ein starkes Interview führen zu können, müssen Kinder spüren, dass man sich wirklich für sie interessiert und nicht nur auf sensationelle Antworten abzielt. Dann machen sie zu. Ich mute Kindern auch viel zu, weil ich weiß, dass sie schon sehr viel von ihrer Umwelt mitbekommen. Und wenn ein Kind wie Sanjana aus Indien im Film vorgestellt wird, die zwar nicht selbst von Prostitution betroffen ist, aber ihre Nachbarinnen, und sie macht sich darüber Gedanken, ist das doch die beste Gelegenheit, gleichaltrigen Kindern dieses Thema nahezubringen.
Welche Reaktionen kamen von Kindern aus dem Publikum zu den Themen HIV oder Prostitution, die unter anderem im Film angesprochen werden?
Die Kinder fragen uns nach dem Film förmlich ein Loch in den Bauch. (lacht) Aber die Zeit im Rahmen eines Filmgesprächs ist beschränkt und ich kann keinen Vortrag zu HIV halten. Ich versuche, alle Fragen kurz zu beantworten, sage aber immer, die Kinder sollen ihre Eltern fragen, ihre Lehrer und Lehrerinnen.
Der Film ist also ein Anstoß, damit die Diskussion in den Familien oder in der Schule weitergehen kann?
Absolut. Lehrer und Lehrerinnen haben mir nach den Vorstellungen oft gesagt, dass sie denken, dass die angesprochenen Themen den Kindern noch eine Weile durch den Kopf gehen werden. Es wird ja nicht nur das Schicksal eines Kindes verfolgt, sondern wir gehen in die Welt hinein. Nach der Preisverleihung zum Goldenen Spatz haben wir mit den Sprechern der 24-köpfigen Kinderjury ein Interview geführt, weil wir wissen wollten, warum sie gerade "Nicht ohne uns!" als besten Film ausgewählt haben. Und da fiel der Satz: "Wir glauben, dass der Film auf der Erde etwas bewegen wird".
Film als Botschaft?
Wir hören tatsächlich immer wieder: Dieser Film kommt genau zur richtigen Zeit. Damit sprechen die Menschen natürlich die Angst und Unsicherheit vor dem Fremden an, die leider bizarre Formen angenommen hat. Wir zeigen dem Publikum, dass alle Kinder letztlich die gleichen Bedürfnisse haben: den Wunsch nach Sicherheit, danach geliebt zu werden, überhaupt eine Zukunft zu haben. Wir hoffen damit der Angst etwas Starkes entgegenzusetzen.
Was können speziell Kinder in Deutschland aus Ihrem Film mitnehmen?
Es gibt bewegende Reaktionen von Kindern, die sich ins Verhältnis setzen, sich und ihr Leben hinterfragen. Sie ziehen den Vergleich, ohne dass wir in unserem Film den moralischen Zeigefinger schwingen. Denn das kommt bei Kindern nie gut an. Es ist eine Stärke des Filmes, dass die Kinder selbst auf ihre Art über ihr Leben erzählen – gerade heraus, unsentimental und nicht kitschig. Manchmal bekommen wir von unserem jungen Publikum zu hören: "Da reden ja nur Kinder, da dürfen Kinder offen und ehrlich die Wahrheit sagen". Mit solchen Aussagen haben wir nicht gerechnet. Für mich war es von Anfang an selbstverständlich, dass es keinen erwachsenen Zum Inhalt: Kommentar geben wird, der etwas erklärt und eine bestimmte Stimmung erzeugt.
Wie empfinden Sie Situationen, in denen Sie merken, den Mitwirkenden geht es nicht gut, weil sie etwa wie Alphosine nicht in die Schule gehen dürfen. Haben Sie da als Filmemacherin den Impuls, direkt einzugreifen?
Natürlich gibt es immer diesen Impuls. Gleichzeitig können wir es nicht leisten, alle Filmprotagonisten und -protagonistinnen, die wir im Laufe unseres Arbeitslebens kennenlernen, nach dem Dreh zu unterstützen. Ich persönlich unterstütze regelmäßig die Initiative "Generation Ubuntu", die Kinder mit HIV betreut, denn mit Luniko aus der Township verbindet mich schon eine längere Geschichte. Wir haben deshalb auch unser Projekt auf drei Füße gestellt: Es gibt die Einzelporträts aus der "199 kleine Helden"-Reihe, den Kinofilm und eine interaktive Plattform im Internet. Wenn man sich also beispielsweise für Luniko oder Alphonsine interessiert, kann man recherchieren und Kontakt aufnehmen. Wir geben durch unsere Filme den Kindern und ihrer Situation Bekanntheit und unsere Hoffnung ist, dass daraus soziale Projekte und Partnerschaften entstehen.