Deniz Gamze Ergüven wurde in der Türkei geboren und wuchs in Frankreich und den USA auf. Die türkisch-französische Regisseurin und Drehbuchautorin studierte an der renommierten Pariser Filmhochschule La Fémis und absolvierte 2006 ihren Master im Fach Regie. Im selben Jahr hatte ihr Abschlussfilm "Bir Damla Su" seine Premiere in der Nachwuchsreihe auf den Filmfestspielen in Cannes. Ihr Langfilmdebüt Zum Filmarchiv: "Mustang", zu dem sie zusammen mit Alice Winocour auch das Zum Inhalt: Drehbuch schrieb, ist dieses Jahr für den Oscar für den besten ausländischen Spielfilm nominiert.

Frau Ergüven, Sie sind in der Türkei geboren, aber in Frankreich aufgewachsen. Warum widmen Sie sich in Ihrem Debütfilm der türkischen Gesellschaft?

Ich hatte zuvor an einem Skript zu einer ganz anderen Geschichte gearbeitet, die aber viel zu ambitioniert war. Meine Kollegin und Koautorin Alice Winocour befand sich damals mit einem eigenen Drehbuch in einer ähnlichen Situation. Sie riet mir, meinen ersten Langfilm über eine persönliche Geschichte zu schreiben.

Inwieweit ist "Mustang" biografisch?

Als junges Mädchen habe ich in der Türkei die im Film thematisierten Diskriminierungen von Frauen regelmäßig erfahren. Die Eröffnungsszene am Meer hat sich beispielsweise tatsächlich in meiner Kindheit abgespielt. Das bloße Spielen mit Jungs im Meer löste einen Eklat aus. Nur war ich als Kind weniger widerständig. Die Mädchen im Film sollten anders sein. Wie ein fünfköpfiges Monster, das zwar einige Glieder verliert, aber bis zum Schluss weiterkämpft.

Welche Rolle spielt die Wahl der Zum Inhalt: Kleidung im Emanzipationsprozess der Schwestern?

Wir haben uns die Mädchen in der Gegend angesehen, um herauszufinden, was dort getragen wird. Viele der jungen Mädchen waren gekleidet wie unsere Protagonistinnen, aber genauso gab es auch Frauen in diesen langen, unförmigen Kleidern. Wir gaben den Mädchen letztlich die Wahl, die Kleidung zu tragen, die sie gerne tragen wollten – vor allem während der Dreharbeiten, die im heißen Sommer stattfanden.

Ihre Zum Inhalt: lichterfüllten Bilder werden durch die sommerliche Jahreszeit geprägt, Sie kreieren damit einen märchenhaften Charakter. Haben Sie sich "Mustang" als eine Art Märchen vorgestellt?

Ich hatte nicht vor, die Realität abzubilden. Darum habe ich mich bewusst für stilisierte Mittel entschieden und entsprechend den Zum Inhalt: Drehort ausgewählt. Auch wenn "Mustang" teilweise auf eigenen Erfahrungen basiert, ist die Geschichte fiktional. Die Landschaft um İnebolu hat sich dafür hervorragend geeignet. Mit ihrer Küste und den kleinen Wäldern wirkt sie wie aus einem Märchen. Trotzdem ist der Ort sehr isoliert und beklemmend, was zur Geschichte des Filmes passt.

Neben dem Licht prägen vor allem die Körper der Mädchen die Filmsprache. Die Kamera fungiert als stetige Begleiterin, die die Schwestern poetisch in Szene setzt.

Ich wollte die Mädchen in den unterschiedlichsten Zum Inhalt: Perspektiven filmen, um zu verdeutlichen, dass man ihre Körper darstellen kann, ohne sie zu erotisieren. Mein Hauptanliegen bestand darin, zu zeigen, dass fast jeder (Kamera-)Blick auf Frauen durch einen Filter der Sexualisierung fällt. Dies beginnt schon im frühesten Alter, wie die Eröffnungsszene des Films zeigt. Dadurch, dass jegliches Verhalten von Frauen als sexuelle Handlung interpretiert werden kann, kommt es zur Marginalisierung von Frauen in der Gesellschaft.

Die Rolle der Frau in der modernen türkischen Gesellschaft ist vielfältig. Sie wird im frühen Alter verheiratet, führt lesbische Liebesbeziehungen oder studiert wie Sie in Paris Film. Wieso haben Sie sich gerade für diese Repräsentation entschieden?

Für mich existiert die Sexualisierung der Frauen in jeder Gesellschaftsschicht und wird von beiden Geschlechtern gleichermaßen verinnerlicht. Auch in modernen Gesellschaftsgruppen herrscht ein Verhaltenskodex, der klassenübergreifend funktioniert. Ich selbst habe Freunde, die hip und ökonomisch privilegiert sind und deren Kinder an Elitehochschulen studieren. Aber auch sie gehen davon aus, dass junge Frauen und Männer nachts um elf in der Öffentlichkeit nicht gemeinsam an einem Tisch sitzen sollten. Die türkische Gesellschaft ist in der Tat sehr divers, wir leben nicht in einer isolierten Seifenblase. Und doch gibt es diese Verhaltensregeln, an die sich heimlich alle halten.

Gab es schon erste Reaktionen aus der Türkei auf Ihren Film?

"Mustang" ist in der Türkei bisher nicht landesweit angelaufen. Trotzdem habe ich schon gemerkt, dass viele Menschen dort zu einer nationalistischen Haltung tendieren und sehr sensibel sind gegenüber der Art und Weise, wie über ihr Land gesprochen wird. Es besteht noch immer die Vorstellung, ein Film müsse romantische Sehnsüchte bedienen. Viele Menschen möchten im Kino eine perfekte Welt sehen. Ich dagegen denke, dass ein kritischer Anspruch in einem Film nicht zwangsläufig bedeutet, sich gegen eine Gesellschaft aufzulehnen. Sondern dass das Publikum aktiv mitdenkt.