Kategorie: Hintergrund
Begegnungs-Kino: Die Überwindung von Grenzen in den Filmen von Eran Riklis
Eran Riklis ist einer der renommiertesten Filmemacher im israelischen Gegenwartskino. Der Hintergrundartikel beleuchtet das Werk des Regisseurs und erläutert einige wiederkehrende Motive in dessen Filmen.
Eran Riklis ist einer der renommiertesten Filmemacher im israelischen Gegenwartskino. Sein aktueller Film Zum Filmarchiv: "Mein Herz tanzt" ist ein schönes Beispiel für Riklis’ Oeuvre, das die Facetten des politischen und gesellschaftlichen Alltags in Israel beschreibt und seine ernsten Geschichten dabei mit einer humorvollen Note erzählt. Damit steht Riklis einerseits in der Tradition israelischer Filmemacher der 1980er-Jahre, die wie Rafi Bukai in "Feinde unter sich" (1986) oder Uri Barabash in "Jenseits der Mauer" (1986) stärker die palästinensische und arabische Perspektive in den Mittelpunkt ihrer Filme rückten. Zum anderen beerben Riklis' Filme den tragikomischen Humor des israelischen Unterhaltungskinos, den insbesondere Ephraim Kishon mit Filmen wie "Sallah oder Tausche Tochter gegen Wohnung" (1964) oder "Der Blaumilchkanal" (1969) geprägt hat.
Ort der Begegnung
Riklis verbrachte einen Teil seiner Kindheit im Ausland, das Filmhandwerk lernte er in England. Auch seine Filme handeln von diesem Gefühl der Entwurzelung, die Handlungen sind oft in Grenzregionen angesiedelt oder lassen Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Gesellschaften und Kulturen aufeinandertreffen. Man könnte Riklis’ Kino auch als einen Ort der Begegnung bezeichnen. "Die Reise des Personalmanagers" (2010) beschreibt das Verhältnis der israelischen Gesellschaft zu ihren Arbeitsmigranten, "Playoff" (2011) handelt von der Erinnerung an den Holocaust. Fast alle seine Filme thematisieren in irgendeiner Form das Verhältnis von Israelis zu ihren arabischen Nachbarn – und umgekehrt. Dabei spiegelt sein "Begegnungs-Kino" immer wieder die unterschiedlichen Perspektiven ineinander und macht somit die Probleme in der israelisch-palästinensisch-arabischen Annäherung sichtbar.
Kein Handbuch für den politischen Konflikt
Allerdings versteht Riklis seine Filme nicht als bloße Abbildungen der politischen Realität im Nahen Osten. Sie funktionieren vielmehr als Parabeln, die in konkreten Situationen, Begegnungen und – oftmals ungewollten – Beziehungen die Schwierigkeiten von Dialog und Annäherung verhandeln. Statt einer "Anleitung" für einen friedlichen Umgang miteinander bringen seine Filme durch die in ihren Geschichten angelegten Konfliktsituationen Spannungen, Vorurteile und verzerrte Wahrnehmungen erst zur Sprache.
Seine Geschichten konzentrieren sich meist auf eine Gruppe Menschen, die sich zufällig oder durch die Auswirkungen des politischen Konflikts in einer unvorhergesehen Lebens- und Alltagssituation wiederfinden. In "In der Schusslinie" (1991) ist es die Gefangennahme des israelischen Soldaten Cohen während des Libanonkrieges 1982 durch palästinensische Terroristen. Ihr Rückzug hinter die Frontlinien erweist sich als eine Odyssee durch das vom Krieg gezeichnete Land, auf der Entführer und Entführter in ihrer Liebe zum Fußball (gerade findet die Weltmeisterschaft in Italien statt) Gemeinsamkeiten entdecken.
Gemeinsamkeiten entdecken
In (2004) steht die Hochzeit von Mona bevor, einer jungen drusischen Frau aus der im israelischen Teil des Golangebirges gelegenen Stadt Majdal Shams. Ihr zukünftiger Ehemann lebt in Syrien und so muss Mona erst die scheinbar unüberwindliche Grenze in das Nachbarland überqueren. Mitten im Niemandsland kommt es zu ungeahnten Schwierigkeiten, die die Widersprüche der israelisch-syrisch-drusischen Realität auf teilweise absurde Art spiegeln. Während eine junge UN-Angestellte zwischen dem israelischen Notar und dem syrischen Grenzposten buchstäblich eine "Pendeldiplomatie" betreibt, verarbeitet die Hochzeitsgesellschaft in der heißen Sonne ihre Konflikte. Mona überschreitet schließlich selbständig die Grenzlinie.
In von 2008 wird der Zitronenhain einer Palästinenserin in der Westbank zum Mikrokosmos des Konflikts. Aufgrund von Sicherheitsbedenken ihres neuen Nachbarn, des israelischen Verteidigungsministers, sollen die Bäume verschwinden, wogegen sich Salma, unterstützt von der Ehefrau des Ministers, zur Wehr setzt. Und in (2012) finden sich der israelische Pilot Yoni und der palästinensische Flüchtlingsjunge Fahed, ähnlich wie in "In der Schussline" , auf einer Reise durch den Süden Libanons in Richtung der israelischen Grenze wieder. Alle Filme handeln davon, wie sich wechselseitige Feindschaft durch gegenseitiges Kennenlernen und gemeinsame Interessen im Kleinen überwinden lassen.
Das Motiv der Reise
Reisen ist ein wiederkehrendes Motiv in den Filmen von Eran Riklis. Das Genre des Zum Inhalt: Road Movie ermöglicht ihm, entlang konkreter Situationen und Stationen zu erzählen. In seinen beiden Filmen über den Libanonkrieg, "In der Schusslinie" und "Zaytoun" , gelingt es Riklis auf diese Weise, die klassischen Regeln des Kriegsfilms, insbesondere die Reproduktion von Freund-Feind-Schemata, zu durchbrechen. "Die syrische Braut" wiederum handelt von einer symbolischen Reise. Mona muss von ihrer Familie Abschied nehmen, weil sie zu ihrem Mann nach Syrien zieht. "Mein Herz tanzt" greift das Motiv in Form einer Zum Inhalt: Coming-of-Age-Erzählung auf. Eyad „reist“ aus seinem arabisch-israelischen Dorf nach Jerusalem, in die Lebenswelt der jüdischen Israelis. Die beiden Welten werden immer wieder durch Autofahrten miteinander verbunden. Doch gleichzeitig zeigt Riklis, wie sie in der Wahrnehmung Eyads immer fremder werden.
Doppelgänger-Figuren
Ein anderes Motiv, das sich durch Riklis’ Filme zieht, ist das des Doppelgängers. Es steht für die Verwicklung zwischen den verschiedenen Kulturen, Gesellschaften und ihren politischen Vorstellungen. In "Mein Herz tanzt" tauscht Eyad seine Identität mit der Yonatans. Der Ausweis des kranken Freundes öffnet Eyad Türen, die ihm zuvor aufgrund der gesellschaftlichen Ungleichbehandlung verschlossen waren. In ähnlicher Weise fungieren auch Salma und die Ehefrau des Verteidigungsministers in "Lemon Tree" als palästinensisch-israelische Doppelgängerinnen. In ihrer Rolle als selbständige Frauen können sie sich trotz der Konflikte, die ihre Gesellschaften trennen, miteinander identifizieren, und diese Gemeinsamkeit durchkreuzt die strenge Unterscheidung zwischen beiden Seiten. Letztlich sollte das Verbindende über das Trennende siegen. Doch die Grenzlinien des Konflikts sind schwer zu überwinden. Trotz aller tragikomischen Wendungen siegt in den filmischen Versuchsanordnungen Riklis’ am Ende meist die politische Realität.
Es geht um Erkenntnis
Wichtiger aber als eine Lösung ist der erste Schritt der Begegnung. Indem sich Riklis auf menschliche Geschichten und Begegnungen konzentriert, gelingt es ihm, die Komplexität des politischen Konflikts in Mikrosituationen zu spiegeln. In einem Interview mit dem New Jersey Jewish Standard erklärte der Regisseur kürzlich, dass es ihm um einen Erkenntnisgewinn gehe. In seinen Filmen verbinden sich die sozialen, politischen, psychologischen und politischen Dimensionen des Konflikts miteinander. Mit filmischen Mitteln schafft er Räume, die bestehende Grenzen zumindest für einen kurzen (Kino-)Augenblick überwinden können.