Kategorie: Interview
"Für die Kinderdarsteller war es wichtig, sich emotional von ihrer Figur zu lösen"
Regisseur Eirik Sæter Stordahl im Interview über seinen Kinderfilm "Lars ist LOL"

1988 in Oslo geboren, hat Eirik Sæter Stordahl an der National Film School of Denmark studiert. Nach zahlreichenZum Inhalt: Kurzfilmen sowie Projekten für Theater und Radio feiert der Regisseur mit dem Zum Inhalt: Kinderfilm Zum Filmarchiv: "Lars ist LOL" ("Lars er LOL", Eirik Sæter Stordahl, NO 2024) sein Spielfilmdebüt. Das Interview wurde auf Englisch geführt.
kinofenster.de: "Lars ist LOL" erzählt eine Mobbing-Geschichte aus ungewöhnlicher Perspektive. Wie haben Sie den Stoff gefunden, und was hat Sie daran besonders gereizt?
Eirik Sæter Stordahl: Die Geschichte basiert auf dem Buch Lars, mein Freund von Iben Akerlie. Ich kenne die Autorin recht gut, und wir haben beide in Kopenhagen gelebt, als sie das Buch schrieb. Damals fragte sie mich schon, ob ich Interesse an der Verfilmung (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) hätte. Als ich dann das fertige Buch las, war ich sehr bewegt: Ich fühlte eine ganz besondere Verbindung zu den Themen der Geschichte. Es war vor allem Amandas Perspektive, die mich so berührt hat: ihre Angst anders zu sein, ihre Angst aufzufallen und ihre Versuche ihre Andersartigkeit zu verbergen. Das war etwas, das mich sofort daran erinnert hat, wie es war, ein elfjähriges Kind zu sein – mit all den Schwierigkeiten, die wir beim Heranwachsen durchmachen: Freundschaft, Liebe, aber auch viel Schmerz und Unsicherheiten.
kinofenster.de: Wie haben Sie die Kinderdarsteller/-innen und speziell Adrian, den Darsteller von Lars, gefunden?
Eirik Sæter Stordahl: Für die Kinderrollen hatten wir Hunderte von Bewerber/-innen. Bei der Rolle von Lars war der Kreis allerdings sehr klein. Adrian und seine Familie waren sehr offen für unser Projekt. Adrian wollte von Anfang an spielen und sich ausprobieren. Wir hatten mit ihm von August bis Februar drei Castings und einen Testdreh. Adrian hat sich in dieser Zeit als Schauspieler sehr entwickelt, bis am Ende klar war, dass er perfekt passt.
kinofenster.de: Was ist das Besondere am Casting von Darsteller/-innen mit Down-Syndrom?
Eirik Sæter Stordahl: Das Schwierige an der Besetzung einer Rolle mit einem Jungen mit Down-Syndrom ist, dass es gar nicht so viele Optionen gibt. In Norwegen werden pro Jahr nur etwa 80 Kinder mit Down-Syndrom in einer Altersgruppe geboren, davon sind die Hälfte Jungen. Wir mussten einen Jungen in einem bestimmten Alter finden, so dass überhaupt nur etwa 120 Jungen in Norwegen in Frage kamen. Viele von ihnen haben noch andere Diagnosen wie Autismus, was es schwieriger macht, sie für eine Filmproduktion zu engagieren. Die Chancen sind also von vornherein ziemlich gering. Aber wir hatten großes Glück, weil wir Adrian sehr früh gefunden haben.
kinofenster.de: Einige Szenen sind – auch als Zuschauer/-in – nur schwer auszuhalten. Wie haben Sie insbesondere bei diesen Szenen mit Adrian gearbeitet?
Eirik Sæter Stordahl: Wir haben relativ schnell gemerkt, dass es für Lars, aber auch alle anderen Kinderdarsteller/-innen, sehr wichtig war, sich emotional von ihrer Figur zu lösen. Sich also immer wieder bewusst zu machen: Ich bin ich, und das ist Lars. Das hört sich einfach an, kann aber emotional für die Kinder ziemlich schwierig sein. Denn wenn man am Zum Inhalt: Set ist und es sich echt anfühlen soll, damit es auf der Leinwand echt wirkt, fühlen sie sich ja automatisch in ihre Figur ein. Spannend war, dass Adrian eines der Kinder war, denen das am leichtesten gelungen ist. Gegen Ende der Dreharbeiten war das wie ein An- und Ausknipsen der Figur: Vor einer Zum Inhalt: Szene unterhielt er sich mit den Statisten oder mit mit Øystein Røge, seinem Vater im Film. In dem Moment, in dem ich "Action" sagte, schlüpfte er in die Rolle und war da, präsent in seiner Figur. Sobald ich sagte "Cut", war er sofort wieder er selbst. Adrian hat die Figur komplett von sich selbst getrennt.
kinofenster.de: "Lars ist LOL" ist Ihr erster Langfilm. Hatten Sie vor dem Film Erfahrungen mit inklusiver (Film-)Arbeit?
Eirik Sæter Stordahl: Nein, aber ich hatte in einigen meiner Kurzfilme mit Kinderdarsteller/-innen gearbeitet und war auch schon – vor der Filmhochschule – als Betreuer in einer Einrichtung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und auch als Aushilfslehrer tätig gewesen. Diese Erfahrungen fand ich bei den Dreharbeiten zu "Lars ist LOL" sehr nützlich.
kinofenster.de: Wie erging es den Kinderdarsteller/-innen, als sie den fertigen Film das erste Mal gesehen haben? Und welche Erfahrung haben Sie bei der Vorführung von "Lars ist LOL" vor Kinderpublikum gemacht?
Eirik Sæter Stordahl: Wir haben dafür gesorgt, dass die Kinderdarsteller/-innen den Film schon lange vor der Premiere zu sehen bekamen. Dazu haben wir einen Kinderpsychologen engagiert, der uns zusammen mit den Eltern bei dieser Erfahrung begleitet hat. Der Psychologe stand ihnen auch nach dem Kinostart zur Verfügung, wenn sie Hilfe dabei brauchten, mit der Tatsache umzugehen, dass ihre Gesichter überall im Land auf Plakaten zu sehen waren und Zehntausende von Menschen ihre Arbeit sahen. Aber zum Glück ist alles sehr gut gelaufen. Die Reaktionen waren ausschließlich positiv. Wir haben den Film in ganz Europa und Norwegen gezeigt, und jede Vorführung war zutiefst bewegend. Die Kinder im Publikum sind neugierig auf das Filmemachen, und sie sind neugierig auf die Kinder im Film, auch auf Lars. Bei jeder einzelnen Vorführung, die ich erlebt habe, hat ein Kind gefragt, ob der Schauspieler, der Lars spielt, im wirklichen Leben das Down-Syndrom habe. In vielerlei Hinsicht ist Adrian ganz anders als Lars, und was man auf der Leinwand sieht, ist Schauspielerei. Aber beide sind Jungen mit Down-Syndrom.
kinofenster.de: Warum ist Filmbildung wichtig?
Eirik Sæter Stordahl: Wir hatten das Privileg, über fünfzig Schulvorführungen in Norwegen zu organisieren, überall im Land – durch die wunderbare Initiative in Norwegen namens Den Kulturelle Skolesekken (auf Deutsch: "Die kulturelle Schultüte", Anmerkung der Redaktion). Nach dem Film haben wir mit den Schüler/-innen gesprochen, was, denke ich, auch sehr wertvoll für die Kinder war. Viele von ihnen haben nicht die Möglichkeit, regelmäßig oder überhaupt ins Kino zu gehen. Durch die Initiative können sie das in der Schule tun: Einen für sie gedrehten Film sehen und den Filmemacher treffen, um zu erfahren, wie Filme gemacht werden. Kinokultur ist so wichtig. Das Kino ist der Ort, an dem Filme erlebt werden sollen. Diese kollektive Erfahrung, allein und gemeinsam in der Dunkelheit. Wenn wir wollen, dass die Kinokultur noch weitere hundert Jahre besteht – wovon ich überzeugt bin, weil sie unser Einfühlungsvermögen stärkt und Erinnerungen fürs Leben schafft –, dann müssen wir dafür sorgen, dass Kinder diese Erfahrung machen können.