Die Filmpädagogik sucht angesichts der Schwierigkeit, wie sie ihren Gegenstand erfassen soll, meist vor allem nach gesichertem Wissen. Sehr viel wichtiger jedoch ist eine angemessene Haltung zu diesem vielschichtigen, lebendigen und sperrigen Gegenstand. Ein Lehrer, der wenig weiß, aber offen ans Kino herangeht und es nicht verfälscht, ist immer besser als einer, der sich an ein paar erstarrte Wissensbrocken klammert und zunächst einmal die Definitionen der Zum Inhalt: Kamerabewegungen und der Zum Inhalt: Einstellungsgrößen erläutert, so als dächte der Filmemacher seine Entscheidungen zuerst in Wörtern. Doch die Wörter drücken Entscheidungen lediglich aus, während des Schaffensprozesses sind sie keinerlei Hilfe. Ich möchte hier einige Wege skizzieren, die zum Wesentlichen hinführen, d.h. zu dem, was den realen filmischen Schaffensakt ausmacht. Zu diesem Zweck will ich einige wichtige Punkte klären, die bisher noch kaum oder nur unzureichend in Betracht gezogen wurden und der Pädagogik die meisten Schwierigkeiten bereiten. Es sind die Grundelemente des kinematographischen Akts: Auswahl, Anordnung, Ansatz; die realen Bedingungen bei der Entscheidung des Regisseurs; die zentrale Frage des Verhältnisses von Ganzem und Fragment; das Zusammentreffen von «Programm» und Wirklichkeit beim Drehen; (…)

Wenn man sich in der Schule vor allem an den Schnittplan bzw. das Zum Inhalt: Storyboard hält, die grob die Zum Inhalt: Kadrierung und die Perspektiven jeder Einstellung festlegen, riskiert man, alles zu vernachlässigen, was an einer Einstellung die sinnliche Wahrnehmung betrifft: Zum Inhalt: Licht, Materialien, innere Rhythmen der Schauspielerbewegungen, Klangfarbe, kurz alles, was eher zum Sinnlichen als zum Sinn gehört. Wenn man Kino wirklich als Kunst vermitteln will, ist es das wichtigste, nicht weiterhin die filmsprachliche Dimension dem sinnlichen Zugang vorzuziehen. Walter Benjamin hat in einem Rezensionsentwurf zu Georges Salles’ „Blick“ einen Satz zitiert, dem er voll und ganz zustimmte: "Ein wirklich erzieherisches Museum wird sich zum ersten Ziel setzen, unsere Wahrnehmungen zu verfeinern."

(Auszüge aus den Seiten 91 und 132)

Alain Bergala, Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo
Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Schärer (Schüren Verlag, Marburg)
Herausgegeben von Bettina Henzler und Winfried Pauleit, 144 S.

Wichtiger Hinweis:

Alain Bergala war Chefredakteur der Filmzeitschrift Cahiers du cinéma und leitete das im Jahr 2000 von dem damaligen französischen Bildungsminister Jack Lang ins Leben gerufene Schulfilmprogramm "Le cinéma à l’école", in dessen Rahmen er unter anderem eine DVD-Reihe für den Unterricht entwickelte. In dieser Funktion war er auch Berater des französischen Bildungsministeriums. Bergala dreht selbst Spiel- und Dokumentarfilme und publiziert Werke zu Bildender Kunst, Fotografie und Film.