Es werde Licht. Mit diesen Worten begann nach dem biblischen Schöpfungsmythos die Welt. Bis heute wirkt dieses Machtwort nach, es prägt die alltägliche Erfahrung, die durch den Wechsel von Tag und Nacht strukturiert ist, und es beeinflusste auch den Blick auf die Geschichte, die, so dachte man das jedenfalls einmal, die Menschheit auf das Licht der Aufklärung zuführen würde. Fiat Lux, es werde Licht, ist eine universelle Formel, die sich auch ganz elementar auf das Kino beziehen lässt. Es inszeniert mit jeder neuen Vorführung diesen Übergang nach, in dem (eine) Welt überhaupt erst entsteht – durch Trennung von Licht und Dunkel, wie es in der Bibel heißt. Nicht zufällig trägt das nationale italienische Filminstitut den Namen Istituto Luce. Lichtinstitut.

Haus am Rande der Gesellschaft

Land der Wunder

Delphi

Alice Rohrwachers Film Zum Filmarchiv: "Land der Wunder" ist gewissermaßen ein leuchtendes Beispiel für diese prinzipielle Resonanz des Kinos. Die Erzählung beginnt buchstäblich mit einer Fiat-Lux-Einstellung: Zwei leuchtende Punkte tauchen auf der schwarzen Leinwand auf, abstrakte Lichtquellen in einer noch undurchschaubaren Finsternis. Es sind Scheinwerfer eines Autos, Lichtkegel durchbrechen die Nacht. Sie treffen auf ein Haus, das – so die Suggestion dieser rätselhaften Bilder – nicht nur nachts im Dunkeln liegt. Es befindet sich abseits der Gesellschaft in einem unausgeleuchteten Winkel, aus dem sich ganz allmählich die Figuren des Films lösen.

Malerische Stimmung

Mit ihrer Inszenierung von Zum Inhalt: Licht und Dunkel, von Farben und Elementen grundiert Alice Rohrwacher eine Geschichte, die sich zunächst auf eine einfache Formel bringen lässt: Das Mädchen Gelsomina, nicht mehr ganz Kind, aber noch nicht annähernd erwachsen, sucht einen Platz in der Welt. Diese Welt besteht aus Nacht und Tag. Tagsüber scheint die Sonne gleißend hell über Italien, sie lässt den Himmel in einem herrlichen Azurblau erstrahlen, das zur malerische Stimmung beiträgt, und den wilden Honig, ein Symbol der Fruchtbarkeit, goldgelb leuchten. Beim gemeinschaftlichen Baden reflektiert das Sonnenlicht auf dem Wasser und bildet so die trügerische Oberfläche eines Elements, in das man zur Erquickung eintauchen und aus dem man auch wie neugeboren wieder entsteigen kann. Die Sonne aber dörrt den Boden aus. Es ist eine trockene Landschaft, in der Pflanzen sich nur geduckt behaupten.

Land der Wunder, Szene (© Delphi)

Diese Landschaft ist auch filmhistorisch durch das Licht bestimmbar. Im italienischen Neorealismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der wichtigsten Reformbewegungen des Weltkinos wurde, stehen die Figuren nicht mehr im künstlichen Licht der Studios, sie befinden sich mitten in der Welt: angestrahlt von der Wirklichkeit. Vom „grausamen Strahlen dessen, was ist“ hat der amerikanische Kritiker James Agee in dem berühmten Buch "Let Us Now Praise Famous Men" gesprochen, einer Reportage über das prekäre Leben von Baumwollbauern in Alabama.

Fantastische Akzente

Wiederfinden lässt sich dieses Strahlen etwa in den Filmen von Giuseppe De Santis, der wie kein anderer Regisseur des Neorealismus das ländliche Leben Italiens und den beschwerlichen Alltag der Landbevölkerung beschrieben hat. In "Kein Friede unter den Olivenbäumen" ("Non c’è pace fra gli ulivi" , 1950) fällt das charakteristische Licht Norditaliens auf eine Nachkriegsgesellschaft, die das Zusammenleben erst wieder lernen muss. In Sandrine Veyssets bäuerlichem Familiendrama "Gibt es zu Weihnachten Schnee?" (FR 1996) bekommt die neorealistische Grundstimmung der Geschichte sogar einen fantastischen Akzent, den Alice Rohrwacher ebenfalls aufgreift. Die ästhetische Strategie, einen filmischen Realismus mit märchenhaften Wirklichkeitsfragmenten zu verbinden, überführt die Regisseurin in "Land der Wunder" in eine schlüssige Licht-Konzeption.

Attraktionen in dramatischen Farben

Gibt es zu Weihnachten Schnee?

Arsenal

Der taghellen Welt der landwirtschaftlichen Arbeit stellt Alice Rohrwacher eine parallele Welt entgegen, die zugleich ursprünglich und künstlich ist: Das Fernsehen sucht nach Menschen aus der Gegend, die Produkte auf eine traditionelle Weise herstellen. Das Erbe der Etrusker, das Italien mit einer Zeit vor der klassischen Antike verbindet, taucht in Land der Wunder aber nur als Show-(beziehungsweise Schau-)Effekt auf, und auch hier verfährt Rohrwacher sehr plastisch mit Licht und Farben. Denn die Show wird in einer Höhle produziert. Das ist einerseits romantisch und auch wieder ein bisschen abenteuerlich, nötigt in jedem Fall aber zu technischen Kompromissen. Und so sehen wir die berühmte Moderatorin Milly Catena, gespielt von Monica Bellucci, in einer Kulisse, die improvisiert wirkt – und nicht immer vorteilhaft für die auftretenden Menschen. Die bunten Scheinwerferspots werfen, ähnlich wie in der Anfangsszene, Schlaglichter auf die Menschen in ihren kuriosen Kostümen, die ein buntes, fast schon comicartiges Sammelsurium kultureller Motive ergeben. Die Höhle wird im Licht der Filmleute zu einem eigentümlichen Themenpark, dessen Attraktionen – die Darbietungen der teilnehmenden Familien – von dramatischen Zum Inhalt: Farben gekennzeichnet sind.

Licht und Dunkel

Die Landbevölkerung wird hier von einer Kulturindustrie vorgeführt, die sie in ein schlechtes Licht rückt. Gelsomina sprengt diese schäbige Inszenierung. Später kehrt sie noch einmal in die Höhle zurück, nun in einer ganz anderen, intimen Situation mit Martin. Gemeinsam erleben sie in einer erneut etwas rätselhaften Szene, in der viele Details buchstäblich im Dunkeln bleiben, ein Höhlengleichnis der besonderen Art. Die Zum Inhalt: Lichtdramaturgie verweist in diesem Fall auf den Verlauf der Zeit. Im Film gibt es mehrere solcher Zeitsprünge, die mit Lichtphänomenen oder Dunkelheitserfahrungen verknüpft werden. Gelsomina und Martin verbringen die Nacht in der Höhle, worauf nicht viel mehr hindeutet, als dass nach einer sanften Zum Inhalt: Kamerabewegung kein Tageslicht mehr in die Höhle fällt, sondern plötzlich ein Feuer einen flackernden Schein in den Innenraum wirft. Die gespenstischen Schatten an den Felswänden erinnern an vorzeitliche Höhlenmalereien.

Nebenbei verweist das Flackern auf einen zweiten Schöpfungsakt, nach dem göttlichen: Den Moment, in dem die Menschen das Feuer zähmten und sich in der Welt beheimateten. Das Feuer schafft Geborgenheit, die Höhle beschützt einen kostbaren Moment der Nähe zwischen zwei jungen Menschen. Mit den Etruskern begann die italienische Zivilisation, mit Gelsomina beginnt sie von Neuem.