Nicht jeder Schlag auf den Hinterkopf erhöht das Denkvermögen: In Zum Filmarchiv: "Heil" wird ein afrodeutscher Schriftsteller, bekannt geworden mit einem Bestseller über den Alltagsrassismus in Deutschland, nach einem Gedächtnisverlust zum Sprachrohr rechten Gedankenguts. In seiner Satire kommentiert Dietrich Brüggemann nicht nur die Arbeit staatlicher Behörden, die in der Verfolgung rechtsextremer Straftaten eklatant versagen. Auch der Umgang der Medien mit rechtsextremer Gewalt wird zum Gegenstand seiner Kritik. Der Autor ohne Erinnerung, der in einer von aufgeregter Sensationslust bestimmten Debattenkultur durch die Talkshows gezerrt wird, enthüllt die Mechanismen des Medienbetriebs. Die geschichtsvergessene, fahrlässige und teilweise ignorante Auseinandersetzung mit rechten Themen bildet den Hintergrund für Brüggemanns Mediensatire.

Deutsche Geschichte im Schnelldurchlauf

Die satirische Stoßrichtung des Films zeigt sich bereits im Vorspann. Die assoziative Montage stimmt auf den Tonfall von "Heil" ein und liefert dabei im Schnelldurchlauf einen polemischen Kommentar auf den deutschen Geschichtsdiskurs. Das rasant geschnittene Feuerwerk vermischt Bilder unterschiedlicher Herkunft: historische Fotos von Hitler auf dem Obersalzberg, Aufnahmen von Neonazi-Aufmärschen, dazu in Cut-up-Manier Archivbilder von Willy Brandts Kniefall von Warschau oder das Händehalten der Staatsmänner Helmut Kohl und François Mitterrand in Verdun. Kurz kommen Schnipsel aus Hitler-Satiren von Walter Moers ("Adolf, Der Bonker" ) und Dani Levy () ins Bild. Eine Zum Inhalt: Einstellung von Hitler beim "Deutschen Gruß" wird gegen Helmut Kohl und Angela Merkel bei ihren Vereidigungen Zum Inhalt: geschnitten, während der sie in gleicher Weise den rechten Arm heben. Jubelnde Deutschland-Fans der Fußball-WM 2006 geben das Bild einer gleichförmig-patriotischen Masse, die – so suggeriert zumindest der Schnitt – an die Wehrmachtsaufmärsche im Dritten Reich erinnert.

Sinn oder Unsinn – Desorientierung als satirisches Mittel

In der nur scheinbar willkürlichen Zum Inhalt: Montage vermischt sich die Erinnerung an die NS-Zeit mit der Polit-Ikonografie der Bundesrepublik. Die Popkultur in Form von Comics und Filmkomödien gehört wie selbstverständlich dazu. Der Witz besteht in der Kontextualisierung der Bildquellen. Ihre Nebeneinanderstellung wirkt stets sinnfällig, doch ist es auch der richtige Sinn – oder bloß blanker Unsinn? Im Vorspann spitzt Brüggemann zu, wie die öffentlichen Auseinandersetzungen mit der deutschen Vergangenheit und dem Erbe des NS-Regimes seiner Ansicht nach ablaufen: Zwischen historischer Aufklärung, Erinnerungspathos und medialer Rekonstruktion besteht kein qualitativer Unterschied. Fernsehnachrichten, History-TV und Satire erzeugen einen gleichförmigen Strom ungefilterter Information. Die Hierarchie der Bilder ist aufgehoben, jede Seite nutzt sie für ihre Zwecke. Das vorherrschende Gefühl ist eines von Desorientierung und Beliebigkeit.

Heil, Szene (© X Verleih)

Das Fernsehen – ein Trauerspiel als clevere Medienmontage

Erfordert der rasante Einstieg ein gewisses Maß an Vorabinformation (und an Aufmerksamkeit), um die Bilder einzuordnen, dürften die Mechanismen der im Mittelteil des Films auftauchenden Fernsehmontage auch jüngeren Medienkonsument/innen vertraut sein. Die neuen, fremdenfeindlichen Thesen des "Integrationsbuchautors" Sebastian Klein sind Thema auf allen Kanälen. Der fiktive Sender ARB zeigt ihn auf Parteiveranstaltungen von den Grünen bis zur CDU. Dass er offensichtlich seinen Verstand verloren hat, spielt ebenso wenig eine Rolle wie der Unsinn seiner Argumente. Stattdessen stellen sich die nun reihenweise in Talkshows berufenen "Expert/innen" selbst in den Mittelpunkt. Eine Gender-Expertin wettert gegen die "Heteronormativität" der Diskussion. Ein Fernsehphilosoph stellt Ferndiagnosen über den Autor anhand der Medientheorie Friedrichs Kittlers an, eine weitgehend sinnfreie Aneinanderreihung akademischer Fachbegriffe. Brüggemanns Urteil ist verheerend: Die Medien bauschen Themen auf, denen sie intellektuell nicht gewachsen sind. Ein ernsthafter, investigativer Journalismus findet nicht statt. In den Kommentaren von Bürger/innen in Straßeninterviews, die gespickt sind mit rassistischen Vorurteilen und politischen Phrasen, spiegelt sich das Niveau der medialen Berichterstattung.

Die klassischen Mittel der Satire

"Heil" erschöpft sich nicht im Klamauk über "dumme Nazis". Seine satirischen Spitzen zielen vielmehr auf die demokratische Gesellschaft an sich ab, in der rechtes Gedankengut immer wieder auf mitunter aberwitzigen Wegen Verbreitung findet. Zur Demaskierung dieser Mechanismen wendet Brüggemann die klassischen satirischen Mittel der Überzeichnung, des uneigentlichen Sprechens und des ‚Overacting’ auf die deutsche Medienlandschaft an – und führt en passant auch das liberale, vermeintlich politisch-korrekte Weltbild der demokratischen Gesellschaft als selbstgefällig vor. In einem weiteren Schritt hinterfragt er auch die eigene Rolle als Filmemacher innerhalb einer mit öffentlichen Geldern geförderten Kulturindustrie, die sich "Nazis" gern als Schockeffekt bedient.

Die Polit-Talkshow – Im Reich der leeren Floskeln

Die Talkshow "Auf die Zwölf" bringt das Dilemma um die mediale Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus auf den Punkt. In dieser Persiflage einer politischen Talkshow dominiert die populistische Meinungsmache: Die Gäste reden konsequent aneinander vorbei und stellen ihre eigene politische Agenda über das eigentliche Thema der Diskussion. Der CSU-Mann kanzelt die linke Abgeordnete mit Hinweis auf die DDR-Diktatur ab, irgendwann fällt völlig zusammenhanglos auch das unvermeidliche Reizwort "Islam". Der Neonazi-Anführer Sven sitzt währenddessen wie der berühmte weiße Elefant im Raum und wird von niemandem wahrgenommen. Einen interessanten selbstreferentiellen Auftritt hat "der Regisseur Dietrich Brüggemann" (gespielt von Tom Lass), der die Frage beantworten muss, ob man über Nazis lachen darf. "Ja", antwortet er mit erhobenem Zeigefinger, "aber nur, wenn das Lachen im Halse stecken bleibt" – eine Floskel. Bei der Gender-Expertin kommt er damit nicht durch: "Lachen ist immer auch ein Zeichen von Macht!" Auch im Metier der Satire, weiß der Regisseur, ist er nicht unangreifbar.

Heil, Szene (© X Verleih)

Macht und Ohnmacht – Satire als Notwehr

Bei Brüggemann ist das Lachen kein Zeichen von Macht, sondern von Ohnmacht. Seine Analyse: Rechtsextreme Gewalttaten (wie die NSU-Morde, die in "Heil" einen inhaltlichen Bezugspunkt darstellen) werden erst von der Politik und später durch eine falsche Berichterstattung in den Medien ignoriert, Themen wie Integration und "Überfremdung" dagegen für populistische Zwecke instrumentalisiert. Eine konstruktive Diskussion ist auf diesem Niveau nicht möglich. Also wendet sein Film, in einer Art Notwehrreflex, die negativen Mechanismen des Mediendiskurses – Sensationssucht, Desinformation, Überspitzung und Verdrehung der Argumente, dreiste Unterstellung als politische Technik der Denunziation – gegen diesen selbst. Indem Brüggemann diese Methoden jedoch bewusst macht, betreibt er Satire statt Demagogie.