Regisseur, Drehbuchautor und Komponist Dietrich Brüggemann hat bis 2006 an der ehemaligen Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam "Konrad Wolf" Regie studiert und debütierte im selben Jahr mit seinem Film "Neun Szenen" auf der Berlinale. Für das Religionsdrama erhielten er und seine Schwester Anna auf der Berlinale 2014 den Silbernen Bären für das beste Zum Inhalt: Drehbuch. In Zum Filmarchiv: "Heil" ist Anna Brüggemann in der Rolle der Kameradschaftsführerin Doreen zu sehen. Gelegentlich dreht Brüggemann, der auch die Zum Inhalt: Musik für "Heil" schrieb, Musikvideos für Judith Holofernes und Thees Uhlmann.

Herr Brüggemann, was brachte Sie auf die Idee, eine Satire über Neonazis zu drehen?

Ich finde, die Komödie ist das einzig wahre Format, um einer Wahrheit auf die Spur zu kommen. Der Zwillingsbruder dieser Idee war aber auch: Bei einer Komödie über Nazis kann es nicht bleiben. Denn einen Film allein über Neonazis zu machen, ist psychologisch eine Art Abspaltung. Nazis – das sind dann irgendwie fremde Figuren, mit denen ich selber überhaupt nichts zu tun habe und von denen ich mich klar distanzieren kann. So wie ein Forschungsobjekt, zu dem ich keine Verbindung habe. Viel interessanter fand ich es, die Nazis mit der Gesellschaft interagieren zu lassen – und ihnen somit Unterstützung aus allen Teilen der Bevölkerung zu geben. Ich behaupte nicht, dass die Deutschen insgeheim noch Nazis sind. Aber die Leute sind oftmals so vernagelt in ihrem jeweiligen Eifer, dass sie – ohne es zu merken – ähnliche Vorurteile pflegen.

Gab es filmische Vorbilder?

Es gibt Vorbilder, die man mag, ohne dass der Film notwendigerweise eine ähnliche Geschichte erzählen muss. Das ist für mich "Brazil" von Terry Gilliam. Ein weiteres Vorbild hinsichtlich Wirkung und Komik ist das Gesamtwerk von Monty Python. Es gibt aber auch Vorbilder, die sich thematisch ähneln. Zum Beispiel "Four Lions" . Das ist eine Komödie über eine Zelle von islamistischen Selbstmordattentätern in England. Der ist wirklich sehr lustig und nimmt überhaupt nichts ernst. Ich dachte mir, genauso müssen wir das machen.

Aber mit Neonazis?

Diese Art von Satire betreibt die Titanic schon seit den 1990er-Jahren. In linken Kreisen kennt man diese Dumpfbackenwitze. Das kann man schon machen. Aber der Film muss auch ein Rundumschlag sein, sodass die ganze Gesellschaft dran glauben muss. Meistens spielen diese Filme in nur einem Milieu. Es gibt die Politsatire, die Mediensatire. Wir wollten aber eine Satire machen, die ein ganzes Land am Wickel packt.

Dass Ihr Film verharmlosend wirken könnte, fürchten Sie nicht?

Irgendwas wird einem immer vorgeworfen. So ein Film ist wahnsinnig komplex. Ich finde, ein Film, der auf eine Message hinausläuft, taugt nichts. Für eine einzige Botschaft braucht man auch keinen Film, da kann ich gleich einen Zeitungsartikel schreiben. Ein Film ist dagegen eine Verhandlung, ein dialektisches Nebeneinander und Gegeneinander und Durcheinander von Ideen. Und dann ist Film primär auch eine Erfahrung. Man schickt nicht nur Messages und Ideen und abstrakte Aussagen, sondern auch Ängste und Dämonen auf ein Spielfeld.

Warum sind alle Figuren im Film Knallchargen?

Jede Figur besteht aus einer einzigen Idee und jeder reitet beharrlich auf dieser herum. Darin erkennt man sich als Zuschauer irgendwann wieder. Es hat etwas Befreiendes, sich selbst im Film wiederzuerkennen. Danach geht man aus dem Kino und sagt: So bin ich, ich kann aber auch ganz anders. Das liegt an mir. Im Film sind allerdings auch nicht alle Figuren gleichermaßen dämlich. Die einen sind einfach nur dämlich, andere sind dämlich und bringen reihenweise Leute um. Das ist ein großer Unterschied.

Es gibt im Film einige Talkshow-Parodien. Setzt das eine gewisse Kenntnis der deutschen Medienlandschaft voraus?

Ich glaube, es reicht, wenn man nur wenige Talkshows gesehen hat. Die Art und Weise, wie in solchen Talkshows geredet wird, ist in allen Ländern ziemlich ähnlich. Das steckt anscheinend im Format. Und das Format hat ja auch etwas sehr Komisches: Der eine hat diese Meinung, der andere hat jene Meinung und dann wird noch jemand eingeladen, der eine ganz andere Meinung hat – da steht ein unsichtbares Drehbuch ja schon im Raum. Selbst auf den "Eklat" ist eine Talkshow immer schon hin konzipiert.

Wie hat sich die Recherche für das Zum Inhalt: Drehbuch, das Sie ja auch geschrieben haben, gestaltet?

Eine Recherche gab es in dem Sinne eigentlich nicht. Denn das Manöver des Films ist ja nicht, in die Tiefe zu bohren und dort eine Wahrheit zu finden. Ich versuche, die Wahrheit an der Oberfläche zu finden.

Ist es schwierig, für dieses Thema öffentliche Fördergelder zu akquirieren?

Man hat schon gemerkt, dass viele Leute erst mal schlucken mussten. Im persönlichen Gespräch, wie es mit einem Fernsehredakteur ja der Fall ist, kann man die Idee eigentlich schnell vermitteln. Schwieriger ist es eher bei den anonymen Gremien, denen man einfach einen Antrag auf den Tisch legt – da gab es vermutlich schon Befremden, hochgehende Augenbrauen. Aber nachdem "Kreuzweg" auf der Berlinale viel Aufsehen erregte und einen Preis gewann, haben wir uns gesagt: Jetzt haben wir eine Chance.

Was erklärt "Heil" einem jugendlichen Publikum über die Mechanismen der Mediengesellschaft und über unsere demokratische Zivilgesellschaft?

Dieser Film gibt kein vollständiges, abgerundetes Bild, weder von der Mediengesellschaft noch von unserer Demokratie. Wilhelm Buschs "Max und Moritz" ist ja auch kein abschließendes Porträt einer Generation. Es liegt im Wesen der Karikatur, dass sie charakteristische Züge zuspitzt. In dieser Zuspitzung kann eine Karikatur aber manche Analyse ersetzen, indem sie die Schwachstellen benennt.