Die Welt des Hausschweins Gunda besteht aus einem Stall, einer Wiese sowie einem guten Dutzend Ferkeln. Victor Kossakovsky zeigt in seinem Zum Inhalt: Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Gunda" (USA/NO 2020) die Sau und ihren Wurf, außerdem Hühner und Kühe. Obwohl diese nicht wie die Titelfigur auf dem norwegischen Land leben, sondern auf Gnadenhöfen in Großbritannien und Spanien, entsteht durch die Zum Inhalt: Montage der Eindruck, dass das Geschehen an einem Zum Inhalt: Schauplatz stattfindet.

Mit seiner zurückgenommenen, aber sehr planvollen Zum Inhalt: Inszenierung steht der Film im Kontrast zu opulenten Naturfilmen mit ständigen Drohnenflügen und Orchestermusik (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik). Stattdessen gesellt sich das Werk in die Riege technisch versierter und ästhetisch ausgeklügelter Dokumentarfilme wie etwa "Mikrokosmos – das Volk der Gräser" ("Microcosmos – Le peuple de l’herbe" , FR 1996, Claude Nuridsany, Marie Pérennou). Kossakovsky zeigt das Leben der Tiere in Schwarz-Weiß-Bildern. Diese Zum Inhalt: Farbgestaltung kann durchaus als romantisierend gelesen werden, zugleich verweist sie per Abstraktion auf eine allgemeingültige Ebene. Damit richtet sich der Blick auf das Grundlegende. Zugleich legt diese Farbgebung offen, dass die Materialauswahl, Montage und filmische Bearbeitung (Glossar: Zum Inhalt: Postproduktion) das Ergebnis bewusster gestalterischer Überlegungen ist. "Gunda" bildet reale Vorgänge ab und weist darüber hinaus: Der Regisseur will das Publikum nicht mit "rosa Schweinchen" verführen, sondern zur Reflexion über das Verhältnis der Menschen zu Tieren anregen, insbesondere im Umgang mit Nutztieren.

Zwischen Realismus und Poesie regt der Film das Publikum zu diesem Nachdenken an, ohne dieses einzufordern. Kossakovsky verzichtet darauf, sein Publikum mit Kommentar (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover), Zum Inhalt: Textinserts oder Musik bewusst zu leiten. Er versucht vielmehr, das Erleben der Tiere abzubilden. Wir schauen ihnen zu und sinnen fast zwangsläufig über unser Verhältnis zur Natur nach. Der Blick über Gundas Schulter weist somit auf uns selbst zurück. Mehrmals durchbrechen die Schweine, Hühner und Kühe zudem die Zum Inhalt: vierte Wand, indem sie direkt in die Kamera und damit auch auf das Publikum blicken. Anhand eines kurzen Filmausschnitts, der im Wesentlichen die Machart des Films beinhaltet, lässt sich das Konzept aufzeigen. Welche inszenatorischen Mittel stellen die poetisch-realistische Wirkung her? Wie entsteht die Erzählperspektive?

Gunda, Szene (© Filmwelt Verleihagentur)

Eine Sequenz unter der Lupe

Diese Zum Inhalt: Szene aus den ersten Minuten des Films greift das Eröffnungsbild von "Gunda" auf: ein Blick von außen auf den Eingang des Schweineverschlags, der Gunda und den Ferkeln als Stall dient. Die Kamera ist auf Augenhöhe der Tiere frontal vor dem Eingang platziert. Es regnet. Die Ferkel stehen an der Stallöffnung, strecken ihre Schnauzen den Regentropfen entgegen und ziehen sich wieder ins Innere zurück. Der Bildausschnitt bleibt statisch. Kossakovsky setzt keine Schnitte und fügt keine zusätzlichen Informationen bei, sondern lässt die Zum Inhalt: Einstellung minutenlang für sich stehen. So wie sich die Ferkel mit dem Regen befassen, setzen wir uns mit den Tieren auseinander, ohne dabei durch die Gestaltung abgelenkt zu werden.

Filmwelt Verleihagentur / Sant & Usant/ V. Kossakovsky/Egil H. Larsen

Die Rückwärtsbewegung der Ferkel leitet den Schnitt zur nächsten Szene ein, in der das Muttertier im Mittelpunkt steht. Der visuelle Übergang ist fließend, weil die Bewegung des Ferkels von Gunda fortgesetzt wird: Ein Ferkel aus der vorherigen Szene wendet sich nach rechts und tritt mit dem linken Huf auf, als der Schnitt auf eine Nahaufnahme (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) erfolgt: der hintere Schenkel, mit Matsch bedeckt.

Filmwelt Verleihagentur / Sant & Usant/ V. Kossakovsky/Egil H. Larsen

Gunda befindet sich in einer seitlich wegdrehenden Bewegung und hebt, als die Szene beginnt, den rechten Vorderlauf an. Die fortgesetzte Drehbewegung lässt einen runden Übergang entstehen, der auch eine erzählerische Funktion erfüllt, da die Symbiose zwischen Gunda und den Ferkeln gewissermaßen intuitiv an das Publikum vermittelt wird. Auf der Tonebene erfolgt indes ein eher harter Schnitt vom Prasseln des Regens zu Gundas deutlich hörbaren Stapfen durch den Matsch.

Wie generell im Film besteht die Soundkulisse (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound Design) einzig aus den natürlichen, jedoch stark betonten Umgebungsgeräuschen, denen der Tiere, der Natur und der Interaktion beider Sphären. Wir hören Gundas Stapfen, das im Tonstudio hochgepegelt wurde. Die Kamera folgt dem fressenden Tier in einer flüssigen Bewegung, die als Zum Inhalt: Plansequenz keine Schnitte setzt.

Filmwelt Verleihagentur / Sant & Usant/ V. Kossakovsky/Egil H. Larsen

Abermals – auch das ein fast durchgängiges Stilmittel des Films – bleibt die Kamera nah am Boden auf Augenhöhe des Tiers. Der perspektivische Kniff befördert das Hineinfühlen – ebenso wie der Verzicht auf eine musikalische Gestaltung oder einen Voiceover-Kommentar. Gunda bewegt sich über die Wiese, quittiert den Kontakt mit einem Elektrozaun mit erschrockenem Quieken, im Hintergrund sind deutlich Kühe, Vögel und Insekten zu hören. Gegen Ende der Plansequenz laufen von links die Ferkel ins Bild und – nach einem kurzen Beschnuppern der Mutter – zum Teil direkt auf die Kamera zu.

Filmwelt Verleihagentur / Sant & Usant/ V. Kossakovsky/Egil H. Larsen

Dann folgt die Kamera ruhig der Sau, die ihren Weg fortsetzt. Gunda bleibt stehen und scheint den kurzen Moment der Ruhe zu genießen.

Filmwelt Verleihagentur / Sant & Usant/ V. Kossakovsky/Egil H. Larsen

Mit dem Tier über die Wiese

Wie der gesamte Film ist diese Szene nah und damit oft bodennah an den Tieren dran, ohne aufdringlich zu sein (für manche Einstellungen wurde die Kamera ohne Personal auf einem Stativ positioniert, Gundas Stall wurde zu diesem Zweck nachgebaut). Die Kamerafahrt (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) funktioniert als teilnehmender Blick, der die Lebenswelt von Gunda und den anderen Hoftieren darstellt. Denn das Tier folgt keinen Regieanweisungen, es ist vielmehr die Kamera, die dem Schwein und seinen Wegen folgt. Die gestalterischen Elemente treten dabei dezent in den Hintergrund. Die Beobachtung wirkt unverfälscht und natürlich. Obwohl bereits das Schwarz-Weiß die filmische Konstruktion anzeigt, verschwindet die Inszenierung durch die Intensität der Beobachtung. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Kameraarbeit, die einerseits auf minimale Bewegungen und langsame Zooms bis hin zu Stativaufnahmen setzt, andererseits immer wieder in Plansequenzen den Bewegungen der Tiere folgt. Dass die Einstellungen ungewohnt lang, mitunter über mehrere Minuten, stehen bleiben, ist ein weiteres Mittel, das emphatische Einfinden des Publikums zu ermöglichen. In "Gunda" bleibt immer genug Zeit, eine Situation komplett zu erfassen, den Blick und die Gedanken schweifen zu lassen. Denn die Zum Inhalt: Regie verzichtet darauf, über das unabdingbare Maß der filmischen Gestaltung hinaus eine bestimmte Interpretation vorzugeben oder mit zusätzlichen Mitteln wie dramatischer Musik zu erzeugen.

Was fühlt das Hausschwein?

Zum Ende des Films fährt ein Transporter vor, der ebenfalls aus der bodennahen Sicht der Tiere gefilmt ist und wie ein monströser Eingriff ins Idyll wirkt. Die Ferkel sind Schlachtvieh und werden abgeholt. Eine Plansequenz zeigt den Vorgang, ohne dass ein Mensch zu sehen ist, und fängt anschließend Gunda ein, die offensichtlich nach ihren jäh verschwundenen Nachkommen sucht. Das Tier durchbricht die vierte Wand und blickt direkt in die Kamera. Nun liegt es am Publikum, den Blick zu deuten: Ist Gunda irritiert oder traurig? Schaut sie fragend oder anklagend? Die Sau zieht sich in den Stall zurück, der Zum Inhalt: Abspann ist stumm, was einen letzten Reflektionsraum eröffnet. Die Frage, was Gunda fühlt oder womöglich sogar denkt und die Frage, was wir darüber denken und fühlen: All das kulminiert in den letzten Momenten und im Abspann dieses Dokumentarfilms, der sich stark macht für Tierrechte, aber nie mit einem ideologischen Zeigefinger oder der Überzeugung des "besseren Wissens" moralisiert.

Mehr zum Thema