Der Zum Inhalt: Animationsfilm für Kinder Zum Filmarchiv: "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" (Ralf Kukula, Matthias Bruhn, DE/BE/LU/CZ 2019) erzählt von den Massendemonstrationen in Leipzig im Wendejahr 1989. Die Buchvorlage zum Film, Fritzi war dabei von Hanna Schott, beruht auf Erfahrungsberichten von Bürgerinnen und Bürgern aus der Stadt.

kinofenster.de hat in Zusammenarbeit mit DOK Bildung, dem filmpädagogischen Angebot von DOK Leipzig, mit drei Menschen aus Leipzig über ihre Erinnerungen an die Zeit gesprochen. Die drei Personen gehören unterschiedlichen Generationen an: Sie waren im Jahr 1989 jeweils 40, 16 und 12 Jahre alt. Im Video beantworten sie aus ihrer persönlichen Perspektive vier Fragen:

  • Wie war Ihre Situation im Herbst 1989?

  • Wie haben Sie die Proteste in Leipzig miterlebt?

  • Mit dem Umbruch 1989: Welchen Wandel haben Sie erwartet?

  • Nach der Wende: Ist eingetreten, was Sie sich erhofft haben?

Wichtiger Hinweis:

Hinweis: Einige der von den Interviewten benutzten Begriffe werden im Zum Inhalt: Glossar: Begriffe aus dem historischen Kontext von "Fritzi" erläutert. Unter dem Video finden Sie zudem ein Transkript.

Leipzig vor und nach der Wende – Fragen an drei Generationen

Wie war Ihre Situation im Herbst 1989?

Gregor Schmitt: "Im Herbst '89 war ich 40 Jahre alt, war ich im 40. Lebensjahr. Unsere Familienplanung war eigentlich abgeschlossen. Wir hatten zu der Zeit drei Kinder – zwei Mädchen einen Jungen, 14, zwölf und acht Jahre. Und wir waren beide beruflich eigentlich abgesichert. Da hatten beide zu tun – Arbeit in einem Krankenhaus, in einem konfessionellen Krankenhaus."

Heike Graichen: "1989 war ich 16 Jahre alt. Das heißt, ich hatte meine 10. Klasse beendet und hatte einen wunderbaren Sommer, weil 10. Klasse heißt, im Mai waren die Prüfungen und im September fing die Ausbildung an. Also ich war dann ab September ‚89 … da hab3 ich eine Ausbildung zum Schriftsetzer begonnen."

Ansgar Asperger: "Ja, also ich war '89, zwölf oder knapp 13, bin im Januar dann 13 geworden, und ich war eigentlich relativ gut behütet katholisch aufgewachsen. Und, sagen wir mal, meine Eltern sind relativ zeitnah zu den Montagsdemonstration beziehungsweise zum Friedensgebet gegangen und meine älteste Schwester war eigentlich auch so eine treibende Kraft, die dann letztendlich im Oktober auch vehement mit auf die Straße wollte.“

Wie haben Sie die Proteste in Leipzig miterlebt?

Gregor Schmitt: "Am 9 Oktober selbst mussten wir mehrmals Blut holen fahren, ins Sankt-Georg-Krankenhaus. Vier Fahrten waren das gewesen und die Kraftfahrer, einmal musste ich sich selbst fahren, die Kraftfahrer kamen alle zurück und sagten: In der Stadt ist heute was los und geht da bloß nicht hin, da sind überall Polizeiautos. Und natürlich waren wir da erstmal sehr verängstigt und haben uns zurückgehalten. Zu den ersten zwei Demonstrationen sind wir nicht in die Stadt gegangen, aus Angst, dass dort ähnliche Verhältnisse eintreten könnten wie ich in China."

Heike Graichen: "Meine persönliche Situation war die, also ich war in Ausbildung, und wir wurden mittags nach Hause geschickt, dass wir keine Chance haben, wieder – nachmittags, abends – in der Stadt zu sein, um nicht an dieser Demo teilzunehmen. Für mich hat das bedeutet, ich bin einfach in der Stadt geblieben, habe mich auf den damaligen Karl-Marx-Platz herumgetrieben. Du hast die Lkws gesehen mit den NVA-Leuten hinten drauf und es ging so ein Gerücht herum: Auf der Hauptpost steht das Maschinengewehr."

Ansgar Asperger: "Meine Eltern waren, wie gesagt, und meine älteste Schwester auch mit dabei. Wir Jüngeren durften auch nicht mit, also unsere Eltern haben uns letztendlich verpflichtet, zu Hause zu bleiben. Von daher war das eher so eine gewisse Spannung, ob die Eltern wieder zurückkommen, und so eine gewisse Panik dabei, wie der Staatsapparat reagiert. … war, glaube ich, eher darüber was die Älteren letztendlich auch mitgebracht haben oder worüber sie sich unterhalten haben. Ich persönlich habe das, glaube ich, relativ nüchtern betrachtet, was da abgeht. Also, ich habe jetzt nicht sofort realisiert, was da letztendlich alles passiert oder passieren könnte dabei."

Mit dem Umbruch 1989: Welchen Wandel haben Sie erwartet?

Heike Graichen: "Ich weiß gar nicht, ob ich einen Wandel erwartet hatte. Also, eigentlich war das ja so ein so Unmut-Äußern und mit dem bestehenden System nicht leben zu wollen."

Gregor Schmitt: "Zunächst hatte ich gehofft, dass wir in einen kleinen Schritt da vorankommen, dass wir diese DDR für eine bestimmte Zeit noch etwas demokratischer, etwas freizügiger erleben könnten. Ich habe einfach nicht geglaubt, dass ein Zeitfenster da, wo es gleich zur Wiedervereinigung kommt. Ich habe gesagt, gut zehn Jahre noch, und wenn wir dort freier und demokratischer, wenn wir frei wählen können, wenn wir reisen dürfen, dann wird sich einiges ändern. Die meisten wollten ja hier bleiben. Die haben mir gesagt. Wir bleiben hier. Es gab nur ganz wenige, die riefen: Wir wollen raus!"

Ansgar Asperger: "Eigentlich ging das schon mit den Flüchtlings- oder Fluchtbewegungen – in die Tschechoslowakei beziehungsweise in Ungarn – da ging es eigentlich m Sommer schon los. Wo letztendlich schon ein relativ großer Drang aus dem Land heraus war. Und meine sowohl mütterliche wie auch väterliche Verwandtschaft, da waren halt viele in Westdeutschland oder auch in Österreich. So dass, sagen wir mal, die Idee dahinter, dass man irgendwie außerhalb der DDR sich irgendwie bewegen kann, natürlich schon nett klang."

Heike Graichen: "Also mit diesen Grenzen dicht – '89, da war natürlich die Hoffnung, dass man mit diesem Wandel reisen kann, dass einem die Welt offen steht und gerade als junger Mensch will man die Welt erleben. Das kam."

Nach der Wende: Ist eingetreten, was Sie sich erhofft haben?

Gregor Schmitt: "Also, die Reisefreiheit war schon eine große Geschichte. Zumal man Verwandte drüben hatte. Mein Vater stammt aus der Rheinpfalz und hatte alle seine Geschwister drüben mit Kindern und Cousins und Kusinen – durften alle besuchen. Dass unsere Kinder, wie gesagt, ohne Einschränkungen ihren Ausbildungsweg gehen konnten, das war eine gute Erfahrung und das war gut so, dass es gekommen ist. Dass wir, ich hatte auch gehofft, dass, wie gesagt, die Umwelt uns etwas verbessert wird, auch das haben wir erlebt."

Ansgar Asperger: "Also, ich bin, sagen wir mal, mit dem Ausgang der Wende oder so nicht besonders zufrieden. Also weil dadurch letztendlich im Prinzip so eine gewisse Okkupationsmaschinerie auch aufgetreten ist."

Heike Graichen: "Für uns uns als junger DDR-Bürger war das eigentlich eine Chance, aus beiden Systemen etwas Neues zu machen. Also auch eine Chance für die BRD, über deren Strukturen nachzudenken und zu überlegen, was läuft bei uns, was ist da drüben gut?"

Ansgar Asperger: "Also, insofern, muss ich sagen, war damit eigentlich auch eine Möglichkeit erloschen, sagen wir mal, eine Alternative zu geben, Ja, dass man im Prinzip, die DDR länger hätte halten können, damit vielleicht auch einen sanfteren Übergang zur Wiedervereinigung oder so vollzieht."

Heike Graichen: "Wir haben uns … naja, Welt erobert. Unsere Freiräume zurückgenommen. Das war eine gute Zeit."