Kategorie: Interview
"Es war schwierig, sich Freiheit vorzustellen"
Ein Gespräch mit dem Filmproduzenten Tom Zickler über Freiheit, Vorurteile und wie eine Reise in die USA sein Leben verändert hat.
Ein Gespräch mit dem Filmproduzenten Tom Zickler über Freiheit, Vorurteile und wie eine Reise in die USA sein Leben verändert hat.
Tom Zickler, Jahrgang 1964, studierte von 1988 bis 1994 Filmproduktion an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam-Babelsberg. Nach dem Mauerfall flog er gemeinsam mit seinem Freund Fayd in die USA. basiert auf seinen Erinnerungen an diese Reise. 1996 gründete Tom Zickler gemeinsam mit den Schauspielern Til Schweiger und André Hennicke die Produktionsfirma Mr. Brown Entertainment, mit der er die Komödie "Knockin on Heaven's Door" (Thomas Jahn, D 1996) produzierte. Von 1999 bis 2003 war er bei der Produktionsfirma Checkpoint Berlin, seit 2004 ist er Geschäftsführer von Barefoot Films, einer gemeinsamen Firma mit Til Schweiger. Zu Zicklers Produktionen zählen unter anderen Barfuss (Til Schweiger, D 2004), "KeinOhrHasen" (Til Schweiger, D 2007) und "Phantomschmerz" (Matthias Emcke, D 2008).
Herr Zickler, erzählt von einer USA-Reise, die Sie mit einem Freund kurz nach dem Mauerfall gemacht haben. Warum haben Sie sich damals für dieses Ziel entschieden?
Wenn man die ganze Zeit eingesperrt ist, wird alles sehr eng. Die USA waren einfach am weitesten von der DDR entfernt. Ich hatte von meinem Opa ein Buch über San Francisco geschenkt bekommen, und ich fand darin schon die Golden Gate Bridge so faszinierend. Aber auch diese Philosophie der Pioniere, die einst losgezogen sind, um das Land zu entdecken.
War Amerika für Sie also ein Sehnsuchtsort?
Ja, auf jeden Fall. Ich war damals viel in Russland und hatte mir vorgestellt, dass Amerika als andere Supermacht von der Größe und Weite her so ähnlich sein könnte – nur eben viel cooler und vor allem freier. In Russland wurde man ja ständig kontrolliert und musste seinen Ausweis zeigen. Allerdings war es schwierig, sich Freiheit vorzustellen, wenn man sie noch nie erlebt hat.
Wie haben Sie denn dann diese Freiheit erlebt?
Mit dem Auto durch Amerika, dabei Musik hören und eine halbe Stunde einfach geradeaus fahren, ohne dass dir einer entgegenkommt – das war grandios! Da konnte man einfach machen, was man wollte. Natürlich war ich etwas naiv, sonst hätte ich die Reise mit nur 55 Dollar in der Tasche gar nicht machen können. Ich erinnere mich noch, als wir damals ankamen, habe ich zu meinem Freund Fayd gesagt: "Ist gleich 18 Uhr. Lass uns mal für das Wochenende einkaufen. Die Läden machen gleich zu." Und das in New York, wo die Läden fast rund um die Uhr offen haben!
Hat sich durch die Reise Ihr USA-Bild verändert?
Zuerst hatte ich nur diese Klischees aus Fernsehsendungen im Kopf. Was mich dann aber im Mittleren Westen negativ überrascht hat, war diese Ignoranz gegenüber allem, was nicht aus Amerika kam. Die Leute hatten zum Teil wirklich Null Ahnung von der Welt. Da kam ständig diese Frage, ob wir Nazis seien. Oder ob es in Europa überhaupt Strom gäbe. In San Francisco hingegen war das ganz anders mit einer großen Offenheit gegenüber Europa. Darüber hinaus fand ich dieses Prinzip faszinierend, dass man einfach etwas macht, und dass alle diesen Traum haben, dass sie es eines Tages schaffen werden. In Amerika habe ich erstmals mitbekommen, dass deutsche Eigenschaften, für die ich mich fast schon geschämt habe, super waren. Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit zum Beispiel. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass das typisch Deutsche anerkannt wurde. Wenn ich sagte: "Ich komme aus Deutschland", bekam ich den Job.
Was hat die Reise bei Ihnen selbst bewirkt?
Wenn du neun Monate Amerika überlebt hast, ohne deine Eltern zu fragen, ob sie dir Geld schicken können, entwickelst du ein grenzenloses Selbstbewusstsein. Als ich dann nach Hause zurückkam, habe ich gleich am nächsten Tag eine Firma gegründet – auch weil mich dieser Pioniergeist total fasziniert hatte. Dass ich also Filmproduzent geworden bin, hat mit dieser Reise zu tun. Ich habe mich außerdem nicht mehr so klein gefühlt wie anfangs viele andere Leute aus Ostdeutschland, die in ein neues System kamen und nicht wussten, wie es funktioniert.
Inwiefern ist die Geschichte von auch nach 20 Jahren noch relevant?
Es ist eine Geschichte über Freundschaft und über Freiheit. Freiheit ist ein ganz kostbares Gut, mit dem viele Menschen viel zu selbstverständlich umgehen. Außerdem möchte ich sagen, dass es in der Diskussion um die DDR immer nur zwei Extreme gibt: Entweder heißt es: "Die waren alle blöd im Osten!" oder "Sie waren gerissene Stasi-Schweine". Diese Extreme sind mir zu groß. Es gibt viele Zwischentöne, aber die werden häufig weg gelassen. Dennoch wollte ich auch klarstellen, dass dieser Staat ein Unrechtsstaat war. Sie haben Menschen eingesperrt und gebrochen. Das darf nie wieder sein.
Wären das Drehbuch und der Film anders geworden, wenn sie direkt nach der Reise entstanden wären?
Auf jeden Fall. Wahrscheinlich wäre der Film euphorischer für Amerika gewesen. Mit der Distanz konnte man schauen, was wirklich gut war und was nicht. Außerdem hätte ich damals beispielsweise auch niemandem erzählt, dass ich dort in einer Schwulenbar Striptease gemacht habe.
Sehr USA-kritisch ist aber nicht ausgefallen ...
Das sollte der Film auch nicht sein. Als wir das Drehbuch entwickelten, war Barack Obama noch lange nicht Präsident und durch George W. Bush gab es in Europa eine große Feindseligkeit gegenüber den USA. Ich liebe aber Amerika. Ich mag die Menschen und wie die verschiedenen Kulturen dort zusammenleben. Das Klischee des Oberflächlichen kann ich nicht bestätigen.