Paula Beer, 1995 in Berlin geboren, feierte 2009 ihr Kinodebüt mit der Rolle der Oda in Chris Kraus' Drama "Poll" . Noch vor dem Kinostart im Januar 2011 erhielt sie für diese Rolle den Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin. Es folgten weitere Rollen, unter anderem in dem Historienfilm (2012), dem preisgekrönten Spielfilm Das finstere Tal (2014), in Volker Schlöndorffs Zum Filmarchiv: "Diplomatie" (2014) sowie in dem Jugenddrama (2015). Für ihre Rolle der Anna in Zum Filmarchiv: "Frantz" erhielt Paula Beer auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2016 den Marcello-Mastroianni-Preis als Beste Nachwuchsdarstellerin.

Frau Beer, im Alter von 14 Jahren waren Sie in dem Drama "Poll" zu sehen, das kurz vor dem Ersten Weltkrieg spielt. Was hat Sie nun an der Rolle in "Frantz" gereizt?

Ich finde Annas Entwicklung toll und insgesamt gefällt mir, mit welchen Themen und Fragen sich der Film auseinandersetzt und wie sich das alles in Anna bündelt. Wie sie es schafft, sich aus ihrer Trauer zu befreien, aus diesem festgefahrenen emotionalen Zustand, und sich dabei auch um andere kümmert statt nur um sich selbst – das ist für mich eine wahnsinnig schöne Geschichte.

Anna ist mit gerade mal 21 Jahren praktisch Witwe. Das ist schon ungewöhnlich.

Stimmt, aber vielleicht gerade weil mein erster Film auch schon historisch war, hatte ich einen anderen Zugang: Es ist nur eine Geschichte, die auch heute so stattfinden könnte, vielleicht nicht in dieser Form und in anderen Farben, aber ich finde generell, dass sich Probleme oder Themen, die Menschen beschäftigen, wiederholen. Es ist egal, ob die Geschichte im 17. Jahrhundert spielt oder in der Zukunft. Ich glaube, die Themen, die Menschen umtreiben, sind oft die gleichen, nur eben in anderen Umständen.

Welche Beziehung haben Sie persönlich zu Frankreich?

Ich habe dort Fahrradfahren gelernt (lacht). Ich habe von klein auf immer in Frankreich Urlaub gemacht. Dann bin ich mit 18 nach Paris gegangen und habe dort die Sprache richtig gelernt. Ich mag die französische Sprache, die Mentalität und die Lebensart wahnsinnig gerne.

In Deutschland steht der Erste Weltkrieg eher im Schatten des Zweiten. Das ist in Frankreich anders. Hat sich Ihr eigener Blick auf diese Zeit gewandelt?

Ja, insofern als ich Sachen zwar faktisch wusste, aber im Geschichtsunterricht immer alles durcheinandergeworfen habe. Durch Anna habe ich einen emotionalen Zugang zu dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bekommen und dadurch auch zu den Konflikten jener Jahre. Diese Zeit aus der Perspektive einer Figur zu entdecken, macht sie für mich nachvollziehbar. Man versteht, was die Ereignisse dieser Zeit tatsächlich für die Menschen bedeutet haben und kennt nicht nur die Fakten aus dem Geschichtsbuch.

Anna erlebt zuerst die Liebe und trägt dann eine Lüge mit. Wie würden Sie diese Entwicklung beschreiben?

An Anna ist zunächst die Frage interessant, was sie überhaupt in Adrien sieht. Ist es Adrien, den sie toll findet? Oder mag sie das Gefühl, das er in ihr weckt? Diese Leichtigkeit, die sie durch ihn wiederfindet? Die gemeinsamen Erlebnisse? Schmerz zu teilen kann Menschen ja auch zusammenbringen. Ich glaube, ganz entscheidend für die Verbindung von Anna und Adrien ist es, dass sie sich beide irgendwie auffangen, dass sie einander vertrauen und sich allmählich wieder öffnen. Und dann kommt diese Lüge ans Licht. Für Anna ist das ein Rückschlag, der den Schmerz vom Anfang noch verstärkt.

Wie spielt man eine Lüge?

Die Lüge war für mich schauspielerisch interessant, weil: Wie spielt man Lügen? Man macht sich ja überhaupt nicht bewusst, wie man lügt. In "Frantz" kann man sehen, was eine Lüge ausmacht und wie man sich selbst beim Lügen verhält.

Warum bleibt Anna in Frankreich?

Ich glaube, sie musste raus aus Quedlinburg. Hätte sie die Reise nicht gemacht, wäre die Enthüllung des Geheimnisses ein noch härterer Schlag für sie gewesen. Durch diese Reise erfährt sie so viel über sich selbst. Sie entdeckt, was das Leben bedeutet und worauf sie neugierig ist. Ich glaube, dass man sich in der Fremde besser finden oder neu definieren kann. Sich geografisch und zeitlich zu distanzieren, ist für Anna wie eine Neugeburt.

Welche Rolle spielt Manets Bild vom "Selbstmörder" dabei?

Ich finde ihren Satz sehr schön: "Es gibt mir wieder Kraft zu leben." Und ich glaube, das ist wieder eine von François’ besten Übungen: Er gibt einem damit so viel, was man darin sehen und interpretieren kann. Ich habe für mich gar nicht entschieden, was dieser Satz für Anna bedeutet. Und auch diese Ironie, in dem Selbstmord die Lebenskraft zu sehen, und dass damit für sie eine Zeit zu Ende geht, um mit diesem Kapitel endlich abschließen zu können.