Den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Außen- und der Innensicht auf die Armee macht eine Frage deutlich, die Touristen den Israelis immer wieder gern stellen: Ob ihnen denn die Anwesenheit von bewaffneten Soldaten im Alltag keine Angst mache? Im Gegenteil, lautet dann die Antwort: "Wir fühlen uns beschützt." Außerdem sind die Uniformierten ja ihre Kinder, Ehemänner, Verwandten, Freunde.

Der Militärdienst gehört zum Alltagsleben in Israel. Nirgendwo sind Zivilgesellschaft und Armee so eng miteinander verknüpft wie hier. Der fliegende Wechsel zwischen dem Berufsalltag – etwa als Jurist in einer Rechtsanwaltskanzlei oder als Arzt in einem Krankenhaus – und dem Einsatz als Reservesoldat ist ganz normal. Die vielen Kriege, der Kampf gegen den Terror und die jahrzehntelange Besatzung der palästinensischen Gebiete haben in der Gesellschaft Spuren hinterlassen und tragen dazu bei, dass die Israelis viel militärischer denken und fühlen, als es die Bürgerinnen und Bürger anderer westlicher Staaten tun, mit denen sie vom Lebensstil her ansonsten durchaus vergleichbar sind.

Zahal – zu Deutsch: Verteidigungsarmee Israels – ist eine Volksarmee. Die Mehrheit der jüdischen Israelis leistet ihren Pflichtwehrdienst ab, der für Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren nun erstmals reduziert wurde. Nach einem Regierungsbeschluss von 2015 sollen männliche Soldaten künftig nur noch zwei Jahre und acht Monate dienen. Wer allerdings zu den Spezialkräften und Eliteeinheiten will, muss sich weiterhin für volle drei Jahre melden. Der Wehrdienst für Frauen zwischen 18 und 26 Jahren wurde hingegen von bisher 24 Monaten auf 28 Monate verlängert. Für Soldatinnen in Kampfeinheiten dauert der Dienst ebenfalls drei Jahre. Männliche Reservisten werden – je nach Dienstgrad – mehrere Wochen im Jahr und bis zu einem maximalen Alter von 45 Jahren eingezogen. Der Reservedienst betrifft auch unverheiratete beziehungsweise kinderlose Frauen bis zum 24. Lebensjahr.

Die Armeezeit, die in der Regel niemand missen will, gilt als Teil der persönlichen Entwicklung und des Alltags. Wer aus Gewissensgründen verweigert, muss ins Gefängnis. Alternativen sind bisher nicht vorgesehen. Dennoch ist es heute viel leichter als früher, um den Wehrdienst herumzukommen – nur knapp 78 Prozent der jungen jüdischen Männer werden gegenwärtig tatsächlich eingezogen. Trotzdem bleibt denen, die nicht gedient haben, eine Lücke im Lebenslauf, die manche später bereuen. Das Stigma ist zwar nicht mehr so stark wie einst, aber die Armeezeit kann bei der Jobsuche immer noch entscheidend sein. Denn der Wehrdienst gilt nicht nur als unerlässliche Pflichterfüllung in einem Staat, dessen Bedrohung außer Frage steht. Er ist zugleich auch Teil der Sozialisierung in einem Einwanderungsland. In den israelischen Streitkräften treffen nicht nur die verschiedensten Gesellschaftsschichten aufeinander – europäische und orientalische Juden, Sabres und Einwanderer, arme und reiche Israelis. Hier lernen auch Neuankömmlinge Hebräisch, holen Schulabschlüsse nach oder machen eine Ausbildung.

Verstärkt seit 2012 wird in Israel über eine "Wehrpflicht für alle" debattiert. Damit sind vor allem junge ultraorthodoxe Männer gemeint, die an Talmudschulen studieren und deshalb bisher aus historischen Gründen nicht eingezogen wurden.

Beim israelischen Militär dienen auch israelische Drusen und – auf freiwilliger Basis – Beduinen. Vom Wehrdienst ausgenommen sind die arabischen Israelis. Zwar könnten sie freiwillig dienen, was sie vereinzelt auch tun. Allerdings stellt dies in doppelter Hinsicht ein Problem dar. Zum einen betrachtet sie die Armee als Sicherheitsrisiko, zum anderen gelten sie in der arabischen Gesellschaft Israels als Verräter.

Wer jedoch nicht gedient hat, muss damit rechnen, nicht überall einen Job zu bekommen – oder seine Arbeit sogar zu verlieren. So entließ die israelische Eisenbahnbehörde im April 2009 vierzig arabische Arbeiter, weil nach einer damals neuen Regelung nur noch Israelis, die Armeedienst geleistet hatten, als Schienenwärter arbeiten sollten. Dieser Beschluss, der auch Wehrdienstverweigerer und Späteinwanderer betroffen hätte, wurde allerdings vor Gericht für unzulässig erklärt und die Entlassung daraufhin zurückgenommen.


Die Armeezeit öffnet auch Türen zu wichtigen Karrieren. So werden hier Netzwerke geknüpft, die oft ein Leben lang halten und später im Beruf hilfreich sein können. Das gilt vor allem für die Hightechindustrie. Und vielen hochrangigen Berufsoffizieren wiederum diente ihre Position in der Armee als Sprungbrett in die große Politik. Diese Verbindung hat allerdings in den vergangenen Jahren nachgelassen. In der Knesset (dem israelischen Parlament, Anmerk. der Red.) von 2013 saßen jedenfalls noch nie so viele Abgeordnete mit zivilem Hintergrund. Prominente Figuren, die sich als Militär einen Namen gemacht haben, bleiben aber potenzielle Kandidaten für das Amt des Premierministers. Darunter der ehemalige Generalstabschef und Verteidigungsminister Moshe Ya'alon, der nach seinem forcierten Rücktritt 2016 ankündigte, ganz oben wieder Verantwortung übernehmen zu wollen.

Risse in der glänzenden Fassade

Nachdem deutsche Offiziersanwärter bei einem Israelaufenthalt zwei Wochen mit Bodentruppen-Einheiten verbracht hatten, waren sie beeindruckt von der "hohen Motivation" der Wehrpflichtigen. Außerdem fiel ihnen auf, dass viele Soldaten häufig per Handy mit ihren Müttern telefonierten. In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung Israels wurde die Armee unhinterfragt verehrt und dadurch gleichsam zum Mythos. Heute muss sie sich kritische Fragen gefallen lassen. "Die Medien von heute lassen nicht mehr zu, dass der Preis eines Krieges vor der Öffentlichkeit versteckt werden kann", sagt der Soziologe Jaron Esrachi. "Das macht jeden einzelnen Gegner eines offenbar unnötigen Krieges viel effektiver."

Schon in den 1990er-Jahren hatte die glänzende Fassade Risse bekommen, weil sich immer mehr Rekruten und Reservisten einfach nicht mit ihrer Rolle als Besatzungssoldaten in den seit 1967 von Israel kontrollierten palästinensischen Gebieten identifizieren konnten. Solche Stimmen werden gehört, vor allem wenn sie wie im Fall des berühmten "Pilotenprotestbriefs" vom September 2003, in dem 27 Reservisten der Luftwaffe die "zivilen Kollateralschäden" bei Vergeltungsschlägen gegen Funktionäre militanter Organisationen wie der Hamas anprangerten, von prestigeträchtigen Armeeteilen stammen.

Neue Herasuforderungen

Dass die Armee heute ganz neuen Herausforderungen – in asymmetrischen Kriegen gegen gut gerüstete Milizen – gegenübersteht, hat die militärische Auseinandersetzung 2006 gegen den Libanon gezeigt, in deren Verlauf die Hisbollah den Raketenbeschuss mehrerer Städte im Norden Israels wochenlang fortsetzte und eine Million Israelis zur Flucht ins Innere des Landes oder in die Bunker zwang. Nach einer harschen Kritik am Missmanagement dieses Krieges waren dann aber die verantwortlichen Militärs viel rücktritts- und reformwilliger als die politischen Instanzen, die ebenfalls in Verruf geraten waren. Es ging darum, sich so schnell und effektiv wie möglich zu rehabilitieren. Denn ohne das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger kann die Armee nicht funktionieren.

Hinweis: Der Text ist eine – im Einverständnis mit der Autorin – gekürzte Fassung des Kapitels "Die Streitkräfte – nationaler Mythos mit Imageproblemen" aus Gisela Dachs (Bonn 2016): Israel kurzgefasst, S. 124-132

Wichtiger Hinweis:

<mittig>Die Armee in Daten und Zahlen</mittig>
Die israelische Verteidigungsarmee Zahal (hebräisch; Abkürzung für: Zva Haganah le-Jisrael) wurde am 31. Mai 1948 gegründet. Sie gliedert sich in Heer, Luftwaffe und Marine. Diese sind einem vereinigten Oberkommando unterstellt, dem Generalstab. An seiner Spitze steht der Generalstabschef, der dem Verteidigungsminister verantwortlich ist. Während im Heer sowohl Berufssoldaten als auch Wehrpflichtige dienen, bestehen Luftwaffe und Marine nur aus Berufssoldaten.


Die Truppenstärke der Armee wird von der israelischen Regierung geheim gehalten. Das Institute for National Security Studies (Tel Aviv) gibt die Anzahl der aktiven Soldaten mit 176.500 an. Davon dienten 133.000 beim Heer, 34.000 bei der Luftwaffe und 9.500 bei der Marine. Im Kriegsfall kann zudem innerhalb von 24 Stunden knapp eine halbe Million Reservisten mobilisiert werden. Damit hat Israel weltweit den höchsten Anteil von Soldatinnen und Soldaten an der Bevölkerung.


Die allgemeine Wehrpflicht dauert seit 2015 für Männer 32 Monate, für Frauen 28 Monate. Wer wehrpflichtig und -tauglich ist, wird in der Regel mit 18 Jahren eingezogen. Wer allerdings von den Männern zu den Spezialkräften und Eliteeinheiten will, muss wie bisher drei Jahre dienen. Für Soldatinnen in Kampfeinheiten dauert der Dienst ebenfalls drei Jahre. Im Mai 2016 betrug die Anzahl der "in den Kriegen Israels und durch Terror" Gefallenen 23.447 Menschen.


Der Verteidigungshaushalt ist traditionell hoch. 2011 belief er sich auf 15 Prozent des Gesamthaushalts. Die Militärausgaben betrugen 12,6 Milliarden Euro. Den Anteil des Wehretats am Bruttoinlandsprodukt bezifferte die Weltbank im gleichen Jahr auf 6,8 Prozent.
Als offenes Geheimnis gilt, dass Israel über Atomwaffen verfügt. Je nach Quelle sollen sich zwischen 100 und 300 Atomsprengköpfe in israelischem Besitz befinden.


Quelle: Nicole Alexander, Gabi Gumbel, aus: Gisela Dachs (Bonn 2016): Israel kurzgefasst, S. 125