Der Film "Foxtrot" von Samuel Maoz erzählt von einer israelischen Familie, die traumatische Erfahrungen von Generation zu Generation weiterzugeben scheint. Im Zentrum des Films steht Michael, Sohn einer Holocaust-Überlebenden und Vater von Jonathan, der gerade seinen Militärdienst ableistet. Die Nachricht von Jonathans Tod weckt bei Michael Erinnerungen an die eigene Militärzeit – die ihn bis heute verfolgen. Unsere Video-Analyse erklärt, wie der Film anhand der Hauptfigur „vererbte Traumata“ der israelischen Gesellschaft in Szene setzt.

Wichtiger Hinweis:

Die wichtigsten filmanalytischen Begriffe aus der Video-Analyse finden sich übrigens auch im Zum Inhalt: FilmglossarGlossar von kinofenster.de, zum Beispiel: Zum Inhalt: Drehort/Set, Zum Inhalt: Einstellungen oder Zum Inhalt: Kameraperspektiven.

Verletzter Antiheld – Eine Videoanalyse zu Foxtrot (© NFP marketing & distribution)

Im Folgenden können Sie die Video-Analyse auch im Textformat nachlesen:

Ein Schicksalsschlag

Es beginnt mit einer schrecklichen Nachricht. Am Anfang von Zum Filmarchiv: "Foxtrot" sehen wir, wie unterschiedlich ein Ehepaar auf den überraschenden Besuch von drei Militärs reagiert. Dafna befürchtet das Schlimmste und bricht unmittelbar zusammen. Ihr Mann Michael steht dagegen wie angewurzelt in seinem Wohnzimmer und bleibt passiv.

Michael, gespielt von Lior Ashkenazi, ist die Hauptfigur in "Foxtrot" . In dieser Figur verdichtet Regisseur Samuel Maoz die Konflikte einer israelischen Familie, die traumatische Erfahrungen von Generation zu Generation weiterzugeben scheint.

Soldat: "Herr Feldmann, es tut mir sehr leid und es fällt mir sehr schwer, Ihnen mitzuteilen: Jonathan Feldmann ist heute Nacht im Einsatz gefallen."

Ashkenazi spielt Michaels Reaktion auf die Todesnachricht sehr zurückhaltend. Mehr vom Innenleben der Figur erzählt jedoch die Kameraarbeit. Aus der Zum Inhalt: Vogelperspektive und in einer kreisartigen Bewegung zeigt sie, wie Michael langsam, fast wie eine Art Zombie durch die Gänge seiner Wohnung wandert. Der Blick von oben deutet an, dass der sonst so selbstsicher auftretende Mann die Kontrolle verloren hat.

Michaels Hintergrund

In den nächsten Zum Inhalt: Szenen erfahren wir mehr über den biografischen Hintergrund der Hauptfigur. Zum Beispiel, dass Michael und sein Bruder Atheisten sind und ihnen die jüdischen Bräuche der Bestattung wenig bedeuten.

Avigdor (am Telefon): "Nein, ich bin nicht sein Vater, ich bin sein Onkel. Könnte man nicht 'gepflückt' statt 'gefallen' sagen, zu früh oder 'in der Blüte seiner Jugend'?"

Außerdem trifft Michael auf seine Mutter, die in einem Altenheim lebt.

Mutter: "Steck dein Hemd in die Hose."

Das Verhältnis zwischen Michael und seiner Mutter ist von Autorität geprägt. Auch wenn die Mutter an Demenz erkrankt, scheint sich daran nichts geändert zu haben. Zärtlich wird sie ihm gegenüber erst, als sie Michael mit seinem Bruder verwechselt.

"Was hast du verstanden?" – "Dass Jonathan getötet wurde … Avigdor! Avigdor!"

In einer traumartigen Zum Inhalt: Comic-Sequenz erfahren wir später, dass die Mutter in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten war. In den ersten Jahren nach der Gründung des Staates fanden 340.000 Holocaust-Überlebende in Israel eine neue Heimat. Eine kollektive Vergangenheit, die für viele Familien bis heute große Bedeutung hat. Für Michael hängt ein Kindheitstrauma damit zusammen: Ein Erinnerungsstück der Mutter aus dem KZ tauschte er gegen ein Erotikmagazin – und verursachte damit bei ihr einen Nervenzusammenbruch. Zwei weitere Aspekte von Michaels Traumata: Schuld und Scham.

Jonathan: "Michael wurde Kampfoffizier."

Die Comic- Zum Inhalt: Sequenz, aus der Sicht von Michaels Sohn Jonathan erzählt, ist ein Schlüssel zur Interpretation der Hauptfigur. Sie erzählt Michaels privaten und beruflichen Werdegang – und spottet über seine Wahrnehmung als selbstbewusstes Familienoberhaupt.

Jonathan: "Wenn er in den Spiegel schaute, sah er einen schönen Mann. Er sah einen starken Mann. Er bekam davon einen Steifen. Er dachte, niemand sähe das X."

Beherrschung und Emotionalität

Während der Rest der Familie Schmerz und Trauer über die Nachricht von Jonathans Tod deutlich zeigt, gibt sich Michael nach außen hin gefasst.
Geduldig kümmert er sich um die bürokratischen Formalitäten des Todesfalls.

Rabbiner: "Mein herzliches Beileid. Ich bin der zuständige Offizier für die Beisetzung. Ich muss ein paar Details mit Ihnen abstimmen und sie Ihnen vorstellen."
Das Bedürfnis nach Kontrolle spiegelt sich in der sauber und minimalistisch eingerichteten Wohnung des Architekten, in der nichts dort zu liegen scheint, wo es nicht hingehört.

Seinem Selbstverständnis nach darf Michael gerade in diesem Moment keine Schwäche zeigen. Die einzigen Gefühle, die er nach außen hin zulässt, sind die Wutausbrüche, wenn er sich von den Soldaten ungerecht behandelt fühlt. Der tiefe Schmerz über den Verlust bricht erst in den Momenten aus ihm heraus, als er allein ist.

Innere und äußere Wunden

Es liegt in der überraschenden Dramaturgie des Films, dass sich der verletzte Antiheld seiner Fehler bewusst wird. Statt seinen Sohn zu retten, ist Michael – ähnlich wie in einer antiken Tragödie – durch einen Zufall am Ende selbst schuld an Jonathans Tod. Zugleich thematisiert der Film mit Jonathans Erfahrungen bei der Armee erneut ein Trauma, das Vater und Sohn miteinander teilen.

Bereits im ersten Akt deutet "Foxtrot" mehrfach an, dass Michael seine inneren Wunden nach außen kehrt. Es ist die Disziplin eines gelernten Soldaten, der nur körperliche, aber keine seelischen Verletzungen zulassen möchte. Dabei ist ihm nicht klar, dass seiner Familie das Trauma seiner Armeezeit schon immer bewusst war.

Dafna:"Mit deinen Wunden konnte ich leben – und so tun, als ob ich sie nicht sehe, damit du dich nicht schämst. Ich stützte mich auf dich, um dich zu stärken. Du sahst nicht, dass ich wusste, dass du schwach bist, ein Geheimnis hast, dass du dich für dich schämst."

Für Samuel Maoz ist Michaels vererbtes Trauma keine Einzelheit, sondern der fatale Kreislauf einer Gesellschaft, die seit jeher vom Kriegszustand geprägt ist. So, wie man beim Foxtrott immer wieder an derselben Stelle landet, scheint der Film zu sagen, führt der Krieg auch die nächste Generation zu den gleichen Traumata.