Am 18. Dezember 1994 machen die drei Freizeit-Forscher Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel Deschamps und Christian Hillaire in der Ardèche-Schlucht eine sensationelle Entdeckung: Aufmerksam geworden durch einen Luftzug vor einem Geröllhaufen beginnen sie zu graben und steigen in ein fast 500 Meter langes Höhlensystem hinab. "Der Höhlenboden ist überzogen mit einem Film Tausender, winzig kleiner Wellen weiß funkelnder Kalzitkristalle", beschreiben sie ihre ersten Eindrücke. "Wunderschöne, durchscheinende Kalzitröhrchen hängen wie Engelshaar von der Decke (...)." Im Schein ihrer Stirnlampen tauchen die ersten Malereien auf: "Alles ist beinahe zu schön, zu unberührt. Die Zeit ist (...) scheinbar spurlos vorüber gegangen, ganz so, als ob Zehntausende von Jahren, die uns von den Urhebern dieser Werke trennen, nicht existierten." Der renommierte Experte für prähistorische Felskunst Jean Clottes wird über den Fund informiert und eilt nach Vallon-Pont-d'Arc. Als der Höhleneingang gesichert ist, wird am 18. Januar 1995 die Entdeckung bekannt gegeben.

Die Geburt der Kunst

Die Chauvet-Höhle mit ihren künstlerisch perfekten, dynamischen Zeichnungen und Gravuren erschüttert die Wissenschaftswelt. Schnell wird vermutet, die Wandmalereien seien gefälscht, aber einige der Bilder sind von mineralischen Ablagerungen bedeckt, die ihr hohes Alter beweisen. Jean Clottes kratzt winzige Proben vom Felsbild der sich gegenüberstehenden Nashörner ab, die mit der von Chemikern/innen entwickelten Radiokohlenstoffmethode vom französischen Labor für Klima- und Umweltforschung LSCE (Laboratoire des Sciences du Climat et l'Environnement) auf 30.000 bis 32.000 Jahre vor unserer Zeit datiert werden. Die Kunst aus der Chauvet-Grotte ist doppelt so alt wie die qualitativ vergleichbaren frühen Kunstwerke aus den Höhlen Altamira und Lascaux. Die Zweifel einiger Experten/innen dauern trotz der inzwischen mehr als 45 vorliegenden Datierungen bis heute an, denn damit steht am Anfang der Kunst eine Art Urknall. Aus dem Nichts erscheinen plötzlich Künstler/innen, die mit großer Ausdruckskraft ganze Panoramen meisterlicher Bilder an Höhlenwände malen.

Vorsichtsmaßnahmen

Jean Clottes bildet eine Wissenschaftlergruppe, die zwei Ziele gleichzeitig im Auge hat: Einerseits soll der Schutz der Höhle und ihrer Meisterwerke gewährleistet, andererseits sollen möglichst viele Erkenntnisse gesammelt werden. Ein Metallsteg wird erbaut, auf dem sich bis heute alle Forscher/innen nur in Spezialanzügen bewegen dürfen. Der Zugang ist auf einen kleinen Personenkreis beschränkt. Ständig werden Temperatur (13,5 Grad C), Feuchtigkeit (99 %) und Kohlendioxid (3 %) in der Höhle überwacht. Unter keinen Umständen sollen sich die Katastrophen in den Höhlen von Lascaux und Altamira wiederholen, wo sich das Höhlenklima durch die Besucher/innen so veränderte, dass Pilz- und Bakterienbefall die Bilder zu zerstören drohten.

Interdisziplinäres Forschungsteam

Das interdisziplinäre Team, das seit 2006 unter der Leitung des Archäologen Jean-Michel Geneste die Höhle untersucht, besteht aus zwölf Experten/innen für prähistorische Felskunst, für die Fauna der Eiszeit, für Fuß- und Pfotenspuren (Ichnologie) sowie aus Archäologen/innen und Höhlenforschern/innen. Dazu kommen Paläontologen/innen sowie Gäste, die sich beispielsweise fachlich mit prähistorischer Kunst oder Tier Verhaltensforschung beschäftigen, insgesamt etwa 30 Personen, die ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse untereinander abgleichen. So untersuchen Botaniker/innen etwa die Pollen und Samen, die sich auf dem Höhlenboden in Kalzit gehüllt als Negativabdruck erhalten haben, und können daraus Schlüsse auf die damalige Vegetation ziehen. Spezialisierte Geologen/innen ergänzen das Bild der Umweltbedingungen, indem sie die Wachstumsringe der Tropfsteine analysieren, die das lokale Klima, vor allem in Hinblick auf Temperatur und Regenmengen, im Zeitverlauf spiegeln. Hydrologen/innen beschäftigen sich mit der Rolle des Wassers, das die Chauvet-Höhle entscheidend geformt hat: Nach der ersten Felsbilder-Phase überflutete Wasser den feuchten Lehmboden, die Fußspuren der frühesten Maler/innen verschwanden, und auf dem Boden Liegendes wie etwa Knochen wurden quer durch die Grotte geschwemmt.

Erhalten und Erforschen

Nur zweimal im Jahr dürfen die Forscher/innen für jeweils 15 Tage in die eiszeitliche Kunstgalerie, pro Tag nie mehr als zwölf Personen für maximal acht Stunden. Sie fotografieren, vermessen und analysieren weitgehend aus der Distanz. Die erste große Aufgabe des Forschungsteams war das Erstellen eines kompletten Inventars aller annähernd 450 Felsbilder. Jedes der Kunstwerke wurde abgelichtet – auch im Infrarot- und Ultraviolett-Spektrum, um für das bloße Auge nicht Erkennbares wie sich überlagernde Striche oder unter mineralischen Ablagerungen verborgene Motive sichtbar zu machen. Es zeigte sich, dass die Künstler/innen an einigen Stellen vorab den Fels mit ihren Händen reinigten. Offenbar hatten sie ihre Kompositionen bereits vorab fest im Kopf und arbeiteten nach Plan – schnell und präzise, denn es sind kaum Korrekturen erkennbar.

Bären und Menschen

Nicht nur die Felskunst wird analysiert, sondern auch alle anderen Fundstücke sowie die mehr als 4.000 Fuß- und Pfotenabdrücke auf dem Boden, die von Ichnologen/innen unter die Lupe genommenen werden. Es zeigt sich zudem, dass die Chauvet-Höhle von Bären bewohnt war, bevor und nachdem Menschen sie bemalten. Das beweisen zum einen die Kratzspuren von Bärenkrallen unter und über dem Farbauftrag der Malereien. Zudem sind in der Grotte Höhlenbärenknochen und -schädel gefunden worden, die von Biologen/innen eingehend (inklusive DNS-Analyse) untersucht werden. Fast 200 Bären verstarben in der Chauvet-Höhle, im Boden blieben ihre Winterschlaf-Mulden erhalten. An den Wänden finden sich 15 Darstellungen von Höhlenbären (Ursus spelaeus) – es handelt sich dabei um Tiere, die in Europa bereits vor 24.000 Jahren ausstarben.

Viele offene Fragen

Das Forschungsteam um Jean-Michel Geneste weiß mittlerweile auch, dass sich die Steinzeitkünstler/innen nicht dauerhaft in der Höhle aufhielten. Denn es gibt keine Spuren von Mahlzeiten, die gefundenen Feuerstellen dienten lediglich der Beleuchtung und dem Brennen von Holzkohle. Wie oft und wie lange die "Michelangelos im Fellgewand" das Höhlenheiligtum aufsuchten, ist bislang im Dunkel der Geschichte verborgen geblieben, aber noch vor 26.000 Jahren ging ein barfüßiger Junge durch die Grotte. Er war etwa acht Jahre alt und trug eine Fackel, die er gegen die Wand schlug, um ihren Brand zu verstärken, wie die datierten Rußflecke beweisen. Vor rund 20.000 fiel der Vorhang der Altsteinzeitgalerie: Der ursprüngliche Eingang verschwand unter einem Felssturz und verwandelte die Graffiti-Höhle der Vorzeit in eine Zeitkapsel.