Kategorie: Hintergrund
In der "Bilderhöhle" - Darstellungen der Welt
Die Wandmalereien der Chauvet-Höhle müssen, wie bildende Kunst insgesamt, als Bestandteil eines kulturellen Kontexts betrachtet werden.
Wenn Werner Herzog in seinem Zum Inhalt: Dokumentarfilm Zum Filmarchiv: "Die Höhle der vergessenen Träume" (Cave of Forgotten Dreams, Frankreich, Kanada, USA, Großbritannien, Deutschland 2010) mit einer 3D-Kamera auf die ältesten überlieferten Bilder der Menschheit blickt, dann umfasst diese Klammer nicht nur eine 30.000 Jahre dauernde Menschheitsgeschichte von den frühesten, von Menschen angefertigten Bildern bis zur heute modernsten Filmtechnik: Mehrmals betont Herzog, dass die Chauvet-Höhle nach heutigem Forschungsstand keinen Lebensmittelpunkt darstelle. Als Ort war sie offenbar den Bildern vorbehalten, man suchte sie wahrscheinlich allein zur Anfertigung und Betrachtung der Werke auf. In gewisser Hinsicht gilt dies auch für den Film, der in seiner Verbindung von großer Leinwand und 3D-Technik unter gegenwärtigen Medienbedingungen unsere "Bilderhöhle", das Kino, gegenüber dem privaten Medienkonsum auf DVD im Fernsehen oder im Internet eindeutig privilegiert.
Die Funktion der Bilder
Gingen also schon die Steinzeitmenschen ins Kino? Zu Recht mahnt Werner Herzog bei diesem Vergleich zur Vorsicht. Zwar belegt schon die bloße Existenz der Höhlenmalereien das Jahrtausende alte Bedürfnis des Menschen, die Welt auch vermittels figurativ-symbolischer Formen begreif- und kommunizierbar zu machen. Doch sind Bilder eben nie nur reine Abbildungen, sondern stehen in ihrer Funktion in einem sozialen Zusammenhang, der insbesondere auch Präsentation und Distribution umfasst. In Zum Filmarchiv: "Die Höhle der vergessenen Träume" weist Herzog darauf hin, dass sich die kunstfertigsten Malereien am hinteren, ganz im Dunkeln gelegenen Ende der in der Steinzeit noch offen zugänglichen Höhle befinden und beim Malen von Fackeln illuminiert wurden. Womöglich, spekuliert der Regisseur, ließen die Menschen ihre Schatten an den Wänden tanzen. Auch wenn die Existenz einer rudimentären Kultstätte in der Höhle, eine Art Altar mit einem aufgebahrten Bärenschädel, einen rituellen Gebrauch der Höhle nahezulegen scheint, ist die kulturelle Funktion der Malereien letztendlich nicht mit letzter Gewissheit zu benennen. Doch weist bereits diese Anordnung auf einige auch für spätere kulturelle Bildsetzungen wesentliche Aspekte hin: Um ihre Wirkmächtigkeit zu behalten, werden Bilder häufig lange verborgen gehalten, bevor sie mit großer Geste präsentiert werden, insbesondere wenn ihr Zweck, im Gegensatz zu einer reinen Signalfunktion, in einer rituellen, sakralen oder Macht legitimierenden Funktion besteht. Und hierzu sind sie meist fest an ihren Ort gebunden.
Der Verlust der Einzigartigkeit
Lang machte sich diese Autorität an der Authentizität und Einzigartigkeit des jeweiligen Bildes fest: Der Teppich von Bayeux etwa, eine um 1070 entstandene Stickarbeit, schildert auf 68 Metern die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer. Er beansprucht in dieser ausgestellten handwerklichen Leistung nicht nur singulären Charakter für sich, sondern auch eine Deutungshoheit über die Geschichte. Mit Fotografie und Film, den lange Zeit bestimmenden Bildtechniken der Massengesellschaft, verlieren Begriffe wie "Authentizität", "Einzigartigkeit" und "Original" jedoch zusehends ihre Bedeutung: Bilder werden mobil und massenhaft verteilbar – zu Lasten ihrer Faszinationskraft: Während das Gemälde der Mona Lisa im Louvre noch immer Scharen um sich zieht, ist die Mona Lisa als Briefmarke banal. Die unbegrenzte Vervielfältigung von bildender Kunst, so der Medientheoretiker Walter Benjamin 1935 in seinem Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", führe zu einem Verlust ihrer Aura. Seitdem ist eine Eskalation der Bildproduktion und -mobilität zu verzeichnen, die mit den Möglichkeiten von Digitalisierung und Internet ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat: Die massenhaft reproduzierten Bilder sind vom einstmals festen Ort ihrer Ausstellung vollständig gelöst und kommen auf Knopfdruck nach Hause.
Das Aufbegehren der Bilder
Dieser Banalisierung der Bildkultur stemmen sich zahlreiche Versuche einer "Re-Auratisierung" gerade auch der massenmedialen Bilder entgegen, in der avancierten Gegenwartsfotografie etwa die übergroßen, detailreichen Arbeiten von Gregory Crewdson. In den Filmen des Bilderanglers Werner Herzog ist es eine materiell verbindliche, poetische Ekstase, die nach einer neuen Wirkungsmacht der Bilder sucht: In "Aguirre, der Zorn Gottes" (BRD 1972) hängt ein Schiff in den Wipfeln eines Dschungelbaums, in "Herz aus Glas" (BRD 1976) rasen Nebelbänke im Zeitraffer durch Alpentäler und für "Fitzcarraldo" (BRD 1982) zog der Regisseur einen Mississippidampfer über einen gerodeten Urwaldhügel. In diesem zweifellos erhabenen Bild liege eine Metapher, von der er selber nicht wisse, was sie bedeute, wie Werner Herzog oft zitiert wird.
Kommunikation in die Zukunft
Ein weiteres Herzog-Zitat: Der Mensch brauche Bilder zum Überleben, ohne Bilder sterbe er aus wie einst die Dinosaurier. Folgerichtig zeigt sich für Herzog in der Chauvet-Höhle die Geburtsstunde des heutigen Menschen als eines Wesens, das in der Lage ist, anhand eines symbolisch-grafischen Systems Äußerungen über die Welt zu treffen oder über die Schluchten der Zeit hinweg anderen Menschen eine Nachricht zu übermitteln: Manche der Malereien, erfahren wir in seinem Film, wurden erst Jahrtausende später vollendet. Ob sich der Maler dieser Spanne bewusst gewesen ist, darf bezweifelt werden. Dennoch markiert diese Kollaboration zumindest ästhetisch den zaghaften Eintritt des Menschen in seine eigene Geschichte, der sich hier noch ganz ohne Sprache, also über Bilder vollzieht. In deren Perfektion und Detailfülle lassen sich bereits Ansätze der Naturbeherrschung erkennen, die den Mensch als solchen im weiteren Verlauf seiner Geschichte auszeichnen.
Beherrschung der Technik(en)
Heute stehen diesen Bildern unseren eigenen zur Seite: In einem anspruchsvollen Verfahren wurde die gesamte Höhle Punkt für Punkt mit einem Laser abgetastet und in einem millimetergenauen 3D-Modell am Bildschirm reproduziert. Einige der Wissenschaftler/innen, mit denen sich Herzog in der Höhle befand, setzten aus Detailfotografien eine übergroße Reproduktion einzelner Höhlenwände zusammen, die ein intensives Studium der Malereien jenseits des bloßen Augenscheins ermöglicht. Schließlich übersetzt Herzogs 3D-Kamera die expressiven Steinformationen im aufwändigen Verfahren direkt auf die plane Kinoleinwand. Auch heute braucht es also eine meisterliche Beherrschung der Technik, um Bilder hervorzubringen, vor deren Geheimnissen man dann versonnen steht, um am Ende also, 3D macht's möglich, doch wieder in der Chauvet-Höhle zu sitzen.