Regisseur Lars Kraume setzt in Zum Filmarchiv: "Der Staat gegen Fritz Bauer" zwei inhaltliche Schwerpunkte: die Ermittlungen Bauers zur Ergreifung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann und die Repressionen durch den Paragrafen 175. Der Paragraf 175 war in der jungen Bundesrepublik ein juristisches Relikt aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs, er stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Beide Themen bilden eine überraschende dramaturgische Klammer, da die Thematisierung des Paragrafen ein Augenmerk auf die Gerüchte um Fritz Bauers angebliche Homosexualität legt. 2013 veröffentlichte der Autor Ronen Steinke die Biografie "Fritz Bauer. Oder Auschwitz vor Gericht" (die zweite Biografie nach Irmtrud Wojaks "Fritz Bauer 1903–1968" aus dem Jahr 2009), in der er einen Bericht der dänischen Polizei zitiert, nach dem Bauer einmal mit männlichen Prostituierten gefasst worden sei. Weitere Belege für diese These existieren jedoch nicht. Freunde und langjährige Weggefährten haben Gerüchte um Bauers Homosexualität stets bestritten.

Fakten und Fiktionen

Kraume und sein Kodrehbuchautor Olivier Guez stellen diese Spekulationen als Tatsache dar, um die innere Zerrissenheit Bauers und seine Isolation innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft sowie innerhalb seiner Behörde dramatisch zuzuspitzen. Die erste Einstellung zeigt Bauer, der in der Badewanne neben einer Packung Tabletten einschläft und beinah ertrinkt. Die Nachricht eines vermeintlichen Selbstmordversuchs macht schnell die Runde – ein Gerücht, das Bauer, der den Unfall mit seinem jahrelangen Medikamentenkonsum begründet, gegenüber seinem Vorgesetzten schroff von sich weist: "Ich habe eine Pistole. Wenn ich mich umbringen will, gibt es keine Gerüchte." Tatsächlich starb Bauer in der Nacht auf den 1. Juli 1968 unter ähnlichen Umständen. Die Todesursache ist bis heute strittig, obwohl die Staatsanwaltschaft sowohl Suizid als auch ein Gewaltverbrechen ausschloss. Gegen einen Selbstmord spricht, dass sich Fritz Bauer noch viel vorgenommen hatte. Unter anderem plante er, die Verantwortlichen für die Aktion T4, das berüchtigte Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten, zur Verantwortung zu ziehen. Nach seinem Tod wurden diese Ermittlungen eingestellt.

Der Staat gegen Fritz Bauer, Szene (© Alamode)

"Meine eigene Behörde ist Feindesland"

"Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland" ist ein verbürgtes Zitat von Fritz Bauer, das der Film leicht verändert einsetzt, als Bauer sein Team junger Staatsanwälte in seinem Büro versammelt. Den Hintergrund dieser Szene bilden die Ermittlungen, die schließlich zum ersten Auschwitzprozess führten. Weil der Prozess nicht sein Gesicht tragen sollte, umgab sich Bauer mit jungen Juristen, die seine Arbeit unterstützten. Den meisten etablierten Kollegen misstraute er hingegen, denn die Mehrzahl der Richter, Anwälte und Ankläger aus der NS-Zeit konnte in der Nachkriegszeit ihre Tätigkeit fortsetzen. Ein Generalstaatsanwalt wie Fritz Bauer, der Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden versuchte, wurde da als Störenfried empfunden.

Die alten Strukturen

Im zentralen Handlungsstrang des Films bemüht sich Fritz Bauer, Adolf Eichmann als Organisator des Holocaust in Deutschland vor Gericht zu bringen: „Gerichtstag halten über uns selbst“, so beschrieb Fritz Bauer die gesellschaftspolitische Relevanz des Auschwitzprozesses mit dem Aktenzeichen 4 Ks 2/63. Ebendiese Bedeutung maß er auch einem Prozess gegen Eichmann bei. Neueren Erkenntnissen zufolge war Eichmanns Aufenthaltsort dem deutschen Auslandsgeheimdienst bereits seit 1952 bekannt, und Bauer ahnte zu Beginn seiner Ermittlungen im Jahr 1957, dass er sich auf den BND und das BKA nicht verlassen konnte. Der BND, Nachfolger der Organisation Gehlen, war bis in die 1970er-Jahre ein Sammelbecken ehemaliger SS-, Gestapo- und Wehrmachts-Mitglieder. Diese fürchteten, Eichmann könnte wichtige NS-Größen belasten, die nach 1945 ihre Karrieren fortgesetzt hatten. Bauers Entscheidung, seine Kenntnisse stattdessen an den israelischen Geheimdienst Mossad weiterzugeben, wurde erst zehn Jahre nach seinem Tod bekannt. Dass Eichmann letztlich in Israel und nicht in Deutschland vor Gericht gestellt wurde, nennt Bauer im Film seine größte Niederlage.

Der Staat gegen Fritz Bauer, Szene (© Alamode)

Streitfall Treuebekenntnis

Neben Bauers vermeintlicher Homosexualität greift der Film noch einen weiteren Streitfall mit unsicherer Quellenlage auf. Nach einer Feier anlässlich der Ergreifung Eichmanns gesteht Bauer seinem jungen Kollegen Angermann: "Ich habe mich in einem offenen Brief den Nationalsozialisten unterworfen, den druckten sie in der Zeitung, der Sozialist Bauer unterwirft sich, da kam ich raus. Ich habe mir das niemals verziehen. […] Man darf sich der Tyrannei niemals beugen." Tatsächlich ist der einzige Beweis für ein solches Treuebekenntnis aus der Zeit von Bauers Inhaftierung 1933 ein unter dem Titel "Treuebekenntnis einstiger Sozialdemokraten" publizierter Artikel im gleichgeschalteten Ulmer Tagblatt, der auch in der vom Fritz Bauer Institut organisierten Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt" gezeigt wurde. Eine unterschriebene Erklärung Bauers oder eine zweite Quelle zum "Treuebekenntnis" existieren nicht.

Diese Spekulationen, die der Film dramaturgisch aufgreift, können das Ansehen Fritz Bauers nicht beschädigen, wie Kritiker von Steinkes Biografie behaupten. Aber sie haben ein neues Interesse geweckt, das zwangsläufig auch unser aktuelles Fritz-Bauer-Bild beeinflusst. Lars Kraume muss sich bewusst sein, dass sein Film zu diesem Bild künftig beiträgt und er über die dramaturgische Gestaltung seines Films auch eine Deutung der historischen Fakten vornimmt. Die Zuschauenden wiederum müssen sich vergegenwärtigen, dass im Zum Inhalt: Genre des Zum Inhalt: Biopics gewisse künstlerische Freiheiten erlaubt sind.