Lars Kraume, Jahrgang 1973, arbeitete nach dem Abitur zwei Jahre als selbstständiger Fotograf. 1994 nahm er das Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin auf. Für seinen Abschlussfilm "Dunckel" wurde er 1998 mit dem Adolf-Grimme-Preis auszeichnet. 2001 kam sein Spielfilmdebüt Zum externen Inhalt: Viktor Vogel – Commercial Man (öffnet im neuen Tab) ins Kino, für das er das Drehbuch mitverfasste. Auch bei späteren Filmen wie Zum externen Inhalt: Keine Lieder über Liebe (öffnet im neuen Tab) (2005) und "Die kommenden Tage" (2010) wirkte Kraume als Autor und Regisseur. In den letzten Jahren drehte Kraume mehrere Folgen der Krimi-Reihe „Tatort“.

Herr Kraume, Fritz Bauer erfreut sich seit einiger Zeit unter Filmemachern großer Beliebtheit. Es gibt den Dokumentarfilm "Fritz Bauer – Tod auf Raten" , Christian Petzold widmete ihm seinen Spielfilm "Phoenix" , im letzten Jahr folgte Zum externen Inhalt: Im Labyrinth des Schweigens (öffnet im neuen Tab). Warum entstanden Filme über diesen wichtigen Mann der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht schon früher?

Das mag der menschlich verständliche Reflex erklären, über das unglaubliche Grauen im Dritten Reich einfach nicht reden zu können. Ich habe unlängst den englischen Dokumentarfilm "Night Will Fall" über die Befreiung der Konzentrationslager gesehen. Er erschien den britischen Offizieren offenbar so hart, dass sie ihn den Deutschen direkt nach dem Krieg nicht zeigen wollten, weil man dachte, dass die Bevölkerung das nicht ertragen kann. Und so kam es eben schnell dazu, dass im Grunde alle einen Schlussstrich ziehen wollten: die Alliierten, die Täter, die Opfer. Nur wenige sprachen über dieses Grauen. Bauer beharrte aber darauf und deshalb war er auch so wichtig. Ihm war klar, dass die neue Republik sonst keine Zukunft hätte. Es gibt einige kluge Texte von ihm, in denen er fordert, dass wir uns nicht nur um unseren wirtschaftlichen Aufschwung kümmern, sondern auch eine neue Idee von diesem Land haben müssen.

Fritz Bauer hat sehr viel geleistet: Er hat den Remer-Prozess geführt, er hat wesentlich zur Festnahme Adolf Eichmanns beigetragen und die Frankfurter Auschwitzprozesse initiiert. Ihr Film konzentriert sich ganz allein auf die Festnahme Adolf Eichmanns. Warum?

Zum Inhalt: Biopics sind ein schwieriges Zum Inhalt: Genre, sie folgen oft einer „Und-dann-Dramaturgie“, die keinen wirklichen Höhepunkt für den Zuschauer bildet. Wir wollten diese Suche nach Eichmann als dramatischen Rahmen nehmen, und daran unser Porträt von Bauer zeichnen. Neben den dramaturgischen Erwägungen fanden wir es auch erstaunlich, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, dass hinter der Verhaftung dieses Mannes ein deutscher Staatsanwalt steckte. Bauer selber hat die Geschichte ja geheim gehalten. Sie kam erst lange nach seinem Tod raus.

Welche Rolle spielte bei Ihren Recherchen das Fritz Bauer Institut?

Ich bin in einem ganz frühen Stadium meines Projekts mit dem Fritz Bauer Institut in Kontakt getreten, dort kennt man es von der ersten Stunde an. Das Institut stand mir jederzeit für alle Fragen und Recherchen zur Verfügung. Meine Ansprechpartner haben mir auch zu strittigen Punkten beide Positionen genannt und mich auch immer darauf hingewiesen, wenn neue Publikationen zu der einen oder anderen Debatte erschienen. Niemand hat versucht, mich mit dem Projekt zu vereinnahmen.

Es gibt mittlerweile große Dispute über unterschiedliche Details zu Bauer, vor allem um seine behauptete Homosexualität und seinen Tod, von dem einige sagen, dass es Mord war. Inwiefern war das für Ihr Projekt relevant?

Ich hab diese Debatten verfolgt. Es existiert die Meinung, Bauer sei nicht homosexuell gewesen, oder es sei falsch, ihn als Juden darzustellen. Er sei ermordet worden und habe sich nie den Nationalsozialisten unterworfen. Diese Menschen sorgen sich darum, dass das Andenken an diesen großen Mann geschmälert würde, zumal ihm auch Rachsucht als Jude unterstellt wurde. Sie sagen, seine Sexualität täte nichts zur Sache. Das stimmt insofern nicht ganz, finde ich, weil Homosexualität zu dieser Zeit unter Strafe stand. Und wenn man als Generalstaatsanwalt tätig sein wollte, konnte man seine Sexualität nicht leben. Wenn er homosexuell war, was ein Ausländerreport der dänischen Polizei aus den 1940er-Jahren nahelegt, kann ich nicht nachvollziehen, warum das sein Ansehen schmälern soll. Für mich ergibt sich daraus viel eher, dass dieser Mann wahnsinnige Opfer gebracht hat.

Man hat ja in Deutschland auch noch sehr lange gebraucht, bis der Paragraf 175 abgeschafft wurde. Das geschah erst 1994.

Man hätte nach 1945 zu einem größeren Schritt kommen und sagen können, wir orientieren uns wieder an der Weimarer Republik und anderen demokratischen Grundideen. Hat man nicht gemacht, man war in dieser Zeit offenbar doch ganz schön indoktriniert von verschiedenen moralischen Vorstellungen der Nationalsozialisten.

Wie Giulio Ricciarelli in "Im Labyrinth des Schweigens" erfinden Sie einen fiktiven jungen Staatsanwalt dazu. Warum?

Wir haben eine solche Figur aus dramaturgischen Gründen fiktionalisiert, sonst hätte man dem Leben einer weiteren realen Person auch gerecht werden müssen. Angermann ist genau in dem Alter der Leute, an die Bauer sich gerichtet hat: zu jung, um im Dritten Reich Funktionen übernommen zu haben, alt genug, um in der Bundesrepublik aber Verantwortung zu übernehmen. Das war die interessante Generation für Fritz Bauer. Angermann symbolisiert alle jungen Leute, zu denen Bauer ein mentorenhaftes Verhältnis gepflegt hat.

Was können Jugendliche aus Ihrem Film mitnehmen?

Fritz Bauer war ein vollkommen isolierter Außenseiter der Gesellschaft, in der er lebte. Seine selbstgesteckten Ziele waren groß und seine Chancen, sie zu erreichen, standen schlecht. Dennoch hat er Zeit seines Lebens nie aufgegeben, und selbst wenn er nur einen Teil dessen erreicht hat, was er zu erreichen suchte, hat er diese Republik mit geprägt und verändert. Ich hoffe, dass die Erzählung den Zuschauern ein besseres Verständnis für unsere jüngere Geschichte gibt.